~ 4. Kapitel ~

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Im Flugzeug war es sehr eng. Von hinten drängten zwei Kleinkinder und vor mir stand ein sehr kräftig gebauter Mann, der mit einer Geschwindigkeit von -100Km/h sich weiterbewegte.

"Entschuldigung, könnten sie sich bitte etwas beeilen?", fragte ich höflich, doch statt einer Antwort bekam ich nur ein aufstöhnen.

Gefühlte zehn Jahre später erreichte ich meinen Platz, Sitz 23 Reihe F. Die Kleinkinder hinter mir waren zum Glück verschwunden und ich konnte ohne Stress meine schwere Handtasche in den oberen Spalt ablegen. Ich hob die große Tasche mit etwas Kraft und versuchte sie so gut wie möglich oben abzulegen.

"Haha, brauchst du Hilfe?", fragte eine raue Stimme. Ich ignorierte diese Stimme und es gelang mir, die Tasche zu verstauen. Genervt krachte ich die Tür der Lade zu und drehte mich kurz um. Ein Junge, der fast drei Köpfe größer als ich war, mit hellbraunen Haaren und blauen Augen stand vor mir. Ich erschrak, als ich ihn sah, aber sagte dann: "Vielen Dank für deine Bereitschaft, aber wie du gerade mitbeobachtet hast, habe ich das gut alleine hingekriegt." Ich hielt nichts von Möchtegern-Starken-Machos und 'hilflosen Mädchen, die immer eine männliche Unterstützung' brauchen.

Ich setzte mich auf den freien Platz nieder und nahm mein Handy mitsamt Kopfhörer aus meiner Jackentasche heraus und stopfte mir jene Stöpsel in den Ohren. Den Vorhang vor dem kleinen, ovalen Fenster schob ich nach unten, weil mich die grellen Sonnenstrahlen blendeten. Danach schnallte ich mich an und wartete darauf, dass der Flugzeug endlich startet. Der Platz neben mir war noch frei, doch er wäre für Zoey reserviert. Ob sie sich zu mir setzen wollte oder nicht. Mir war es herzlichst egal. Ich nahm mir vor, sie zu ignorieren und nicht zu beachten.

"Hallo! Du musst wohl Angel sein! Ich bin Mr. Miller, der Sportlehrer.", begrüßte er mich.
-"Hallo. Ja ich bin Angel.", antwortete ich höflich und setzte mein schönstes Lächeln auf.
"Ich muss dich leider enttäuschen, Zoey hat im letzten Moment ihren Platz mit Cameron getauscht, da sie lieber in der Mittelreihe bei Tom sitzen möchte. Ist das in Ordnung für dich?"

Oh natürlich. Sie möchte in der Mittelreihe sitzen. Soll sie kriegen. - dachte ich mir. Wer Cameron war, war mir egal. Bestimmt der Strebertyp von der Parallelklasse.

"Ja es ist in Ordnung.", gab ich zurück und stopfte die Kopfhörer wieder in meine Ohren, nachdem ich Mr. Miller lächelnd zunickte.

Meine Gedanken waren bei Tom. Ich bekam die Bilder vom Vorabend nicht mehr aus meinem Kopf. Immer wieder sah ich die zwei verzweifelten Gesichter der wichtigsten Personen in meinem Leben vor mir. Die Ex-wichtigsten Personen, um ehrlich zu sein.

Ich zog meine Füße nach oben, sodass ich sie auf den Sitz ablegen konnte und legte den Kopf auf den Knien, lauschend zu meiner Lieblingsmusik.
Thinking out loud. Ich musste mit meinen Tränen kämpfen, doch wurde nicht erfolgreich. Ich spürte eine Träne nach der anderen meine Wange runterlaufen. Mein Atem wurde unregelmäßig schnell und mein Herz? Gebrochen.

Ich hörte, wie sich jemand neben mich niederließ, wollte aber nicht hinauf sehen, da meine Wimperntusche bestimmt verschmiert war. Außerdem, konnte ich nicht aufhören zu weinen. Mir war im Moment alles egal. Ich wollte den Schmerz rauslassen. Ich war wütend und traurig zugleich, doch die Trauer überwiegte meine Wut um einiges. Ich begann, an mich selbst zu zweifeln. Ich fühlte mich hässlich. Unselbstbewusst. Schwach. Klein. Einsam. Verlassen. Das schlimmste war, dass mich niemand aufheitern konnte, da die zwei einzig wahren Personen, die das hätten tun können, der Grund meiner Schmerzen waren.

"Alles okay?", hörte ich eine bekannte raue Stimme nachfragen. Ich nickte, schaute aber noch immer nicht herauf und hoffte, dass mir die Person glauben würde.

"Sieht aber nicht so aus.", ergänzte diese Stimme. Mir war klar, dass ich die Stimme kannte, doch ich war mir nicht sicher woher. Ich war mir nur sicher, dass es die Stimme eines Jungens war.

-"Hast du zufällig ein Taschentuch für mich?", fragte ich leise mit brüchiger Stimme. Ich hörte, wie der Junge aus einer Plastikhülle ein Taschentuch rauszog. Langsam hob ich meinen Kopf so, dass ich nach unten sah und nahm das Taschentuch, welches mir der Junge zuhielt. Ich wischte unter meinen Augen und schnäuzte mich kurz. Dann strich ich mir eine Haarsträhne hinter dem Ohr und zog meine Kopfhörer, die gerade keine Musik spielten, raus und setzte meine Füße wieder auf den Boden ab.

"Willst du reden?", fragte mich der Junge neben mir. Ich schüttelte den Kopf.

"Nicht schlimm. Wie heißt du eigentlich?", fragte er. Ich gab ihm keine Antwort.

"Okay, dann nicht. Ich bin Cameron.", sagte er und plötzlich schoss es mir durch den Kopf. Der Junge, der mir mit meiner Tasche helfen wollte. Der Junge, der mit Zoey die Plätze getauscht hat. Ich sah ihn an und erkannte das Gesicht wieder.

AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt