Chapter 19 - Carpe Noctem

16 3 7
                                    

An diesem Abend ging ich meiner Arbeit mit deutlich weniger Elan nach als sonst. Nicht mal das Konzert wollte ich mir anschauen. Wozu auch? Innerlich hatte ich bereits begonnen, Abschied zu nehmen, da wollte ich es mir selbst nicht noch schwerer machen, indem ich meine Pausen im Backstagebereich verbrachte. Womöglich noch mit freiem Blick auf die Show; schon allein der Gedanke daran nahm mir die Luft zum Atmen, und ich wollte nur noch nach draußen, auch wenn es unaufhaltsam auf den Herbst zuging und es nachts bereits empfindlich kühl werden konnte.

Sicher wäre es klüger gewesen, eine warme Jacke dabei zu haben; nur war ich an einem Punkt, an dem ich die Kälte nicht an mich heranließ. Das Geheimnis war, in Bewegung zu bleiben, also beschäftigte ich mich, indem ich zuerst die Materialkisten aufräumte und danach den Truck und den Bus unter die Lupe nahm. Und wenn ich schon mal dabei war, konnte ich auch gleich den Ford aufräumen. Vom Impala ließ ich besser die Finger. Ein Anpfiff hatte mir gereicht.

Mein Gott, manchen Leuten schien es ja echt Spaß zu machen, in einer Müllkippe durch die Gegend zu fahren. Wem auch immer das Auto gehörte, der Ordentlichste war er nicht. Chaotisch war noch milde ausgedrückt. Gut, dass ich Handschuhe und Müllsäcke mitgebracht hatte, denn beim Öffnen der hinteren Türen kamen mir leere Dosen und zerknüllte Schokoverpackungen entgegen, den Fußraum „verzierten" zerknitterte Magazine, und den Aschenbecher hatte auch schon länger keiner mehr geleert. Wäre das mein Wagen, hätte ich meinen Mitfahrern längst den Marsch geblasen! Oh ja, in der richtigen Stimmung ließ es sich doch gleich viel besser durch diesen Saustall wüten! Die ausgelatschten Sneaker unter dem Beifahrersitz in Kombination mit den über die Rückenlehne der hinteren Bank geworfenen T-Shirts verliehen dem aparten Ensemble eine ganz besondere olfaktorische Note. Yammi!

Unwillkürlich begann ich, Überlegungen anzustellen, wer von den vier Herren der Schokoholic war, wer die Karre als rollenden Kleiderschrank missbrauchte und wer sich mit Energydrinks aufputschte. Für die Dosen gibt es kein Pfand? Weg damit, und die angebissenen Reste von Schokoriegeln und zerdrückten Burgerverpackungen gleich hinterher. Schuhe und Shirts wanderten jeweils in getrennte Säcke, die ich später vor eines der beiden Zimmer stellen würde.

Sollten sich die Besitzer der Klamotten doch untereinander einig werden. In den Fahrzeugen klar Schiff zu machen, hatte ich mir zwar als Beschäftigungstherapie ausgesucht, um vorübergehend auf andere Gedanken zu kommen, aber deswegen war ich noch lange nicht die Wasch- und Bügelfrau für Chaoten mit Vorliebe für schwarze Chucks und T-Shirts. Oh Mann, some really like it dirty...

„So so. Some like it dirty..."

Autsch!  Dass Mike plötzlich hinter mir auftauchte und ich mir deshalb vor Schreck den Kopf am Türrahmen stieß, durfte ja wohl nicht wahr sein. Das würde eine fette Beule geben.

„Na, hat da jemand ein schlechtes Gewissen?"

„Warum sollte ich?"

„Na, so wie Du zusammengezuckt bist."

Ja, ja, ich weiß, wer erschrickt, hat was zu verbergen. Dieser Quatsch ist so alt und hat einen meterlangen Bart. Und er wird nicht wahrer, je öfter man ihn breit tritt.

„Ich möchte Dich mal sehen, wenn Du Dich darauf konzentrierst, das Chaos anderer Leute zu beseitigen und plötzlich aus dem Dunkel jemand hinter Dir auftaucht."

Das klang schroffer als beabsichtigt, und das merkte er sofort.

„Okay, Süße. Was ist los?" Er zog mich aus der Fahrgastzelle und drehte mich zu sich herum. „Du hast doch irgendwas."

„Wie kommst Du denn darauf?" Angriff ist die beste Verteidigung; mir doch egal, ob ich mich zickig anhöre.

„Du schaltest Dein Phone aus, bist für den Rest des Tages verschwunden, nicht mal beim Konzert ist irgendetwas von Dir zu sehen. Dann finde ich Dich hier draußen, und Du fauchst mich wegen eines blöden, aber harmlosen Jokes an..."

Broken StringsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt