Chapter 33 - Volle Kanne

11 2 1
                                    

Drei stressige Tage lagen hinter uns. Und weil er ihnen nicht den gleichen Marathon wie Celine Dion mit ihrem Engagement in Las Vegas zumuten wollte, hatte Brian für seine Leute bereits zu Beginn der Tournee einen Ruhetag eingeplant. Wobei Ruhe relativ war. Für die Crew und einen Teil der Band kam diese Pause gar nicht so ungelegen, Sue allerdings zeigte sich wenig begeistert. Hatten sie die Ärzte zu strengstem Sprechverbot verdonnert, so machte sie die Aussicht, an diesem langweiligen Ort herumzusitzen, noch unzufriedener als zu Beginn der Woche.

Sie hatte jetzt schon nichts zu tun. Und jetzt noch so ein Tag? Ein Alternativprogramm musste her, und zwar schnell. Es war Mark, der die Idee zu einem Ausflug in die Inselwelt zwischen Vancouver Island und dem Festland hatte. Seattle, das auf meiner Sightseeing-Liste immer noch nicht abgehakt war, musste warten. Keiner hatte große Lust, den halben Tag durch die Gegend zu fahren, nur wegen eines Selfies zu viert auf der Space Needle, und in die Vereinigten Staaten wollten sie schon aus Prinzip nicht einreisen. Mir war das ganz recht, denn bis nach Sidney war es für meinen Geschmack schon weit genug, und die Strecke hatte auch so landschaftlich einiges zu bieten.

Google Maps zeigte sogar den Verlauf der Fährlinie von Richmond nach Sidney an. Vom Fähranleger irgendwo südlich von Richmond aus nahm die Fähre Kurs auf mehrere, nicht näher benannte Inseln und legte ein Stück weiter nördlich von Sidney an. Dass wir die unsichtbare Grenze zum Nachbarstaat genau zweimal kreuzen würden, weil diese in einem spitzen Winkel mitten in die Bucht hineinragte, behielt ich schön für mich.

Für die Planung unserer Freizeitgestaltung war diese Tatsache sowieso irrelevant. Es sei denn, mitten auf hoher See würden Grenzkontrollen durchgeführt, was ich aber für unwahrscheinlich hielt. Streng genommen verließen wir Kanada ja nicht, und ein Ausstieg mitten auf der Strecke wäre das Dämlichste, was man machen konnte. Worauf wir ebenfalls verzichteten, war die zweieinhalbstündige Weiterfahrt mit einem anderen Schiff von Sidney nach Anacortes, der amerikanischen Partnerstadt.

Von dort waren es zwar nur noch 120 Kilometer bis nach Seattle, aber diesem unnötigen Stress wollten wir uns nicht aussetzen. Dann doch lieber mit dem Auto auf die Fähre, sich dort den Wind um die Nase wehen lassen und den Ausblick auf die atemberaubend schöne Landschaft und dem sich verfärbenden Laub genießen, an der amerikanischen Ostküste auch bekannt als Indian Summer. Endlich bekam auch ich dieses Naturereignis zu sehen. Als ich mein Work-und-Travel-Jahr begonnen hatte, war es bereits Oktober gewesen, und die Zeit der bunten Blätter lange vorbei.

Statt dessen Temperaturen im Minusbereich, Schnee und heftiger Wind. Kein Wunder, dass ich so schnell einen Platz in diesem Programm bekommen hatte. Aber bei einem Jahr Aufenthalt wäre mir so oder so der Winter nicht erspart geblieben, also konnte ich die ungemütliche Jahreszeit auch gleich hinter mich bringen. Dass sich andere schlauer angestellt hatten als ich, indem sie sich für das Jahr von August bis Juli entschieden hatten, war mir dann irgendwann auch aufgegangen. Aber darüber zu jammern, brachte mich nicht weiter, und das einzige Gute an dieser Erfahrung war, dass ich so abgehärtet war, dass mir das wechselhafte herbstliche Wetter nicht mehr viel anhaben konnte.

Wer bei der Arbeit im Freien zweistelligen Minusgraden und starkem Wind ausgesetzt war, den haute das bißchen Wind beim Warten auf die Fähre so schnell nicht um. Für Sue war das zwar nicht so ideal, aber hieß es nicht, dass Seeluft besonders gut bei Atemwegserkrankungen helfen sollte? Bei ihr waren es zwar die Stimmbänder, aber dem allgemeinen Wohlbefinden konnte so ein Bootstrip mit anschließender Einkehr in einem gemütlichen Lokal nicht schaden, und der selbstgestrickte Schal, den ich ihr geliehen hatte, hielt sie schön warm.

Mit seinen Streifen in allen möglichen Farben war er nicht das stylischste Kleidungsstück und passte als Accessoire eher zu meinem komplett schwarzen Erscheinungsbild als zu dem, was sie trug. Aber modische Outfits waren für meinen Geschmack sowieso überbewertet, und zum Glück sah das Mark wie ich: „An einem bunten Schal und zusammengewürfelten Outfit ist noch niemand gestorben, aber an einer Lungenentzündung schon."

Broken StringsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt