Ein Schritt nach dem anderen

339 17 0
                                    

Den Nachmittag mit ihrer besten Freundin sowie Steffen und den Kindern hatte Lea genossen, aber nach zwei Stunden war sie so erschöpft, das Mario das Treffen unterbrach. Auch die Krankenschwester hatte bereits zweimal darum gebeten, das man der Patientin Ruhe gönnt, doch Lea hatte sich geweigert. Sie war der Meinung, das sie schon zuviel verpasst hatte. Jeder sah ihr aber an, wie es sie ermüdet hatte.
Und tatsächlich, kaum das Chrissi das Zimmer verlassen hatte, hatte die junge Frau die Augen geschlossen und war eingeschlafen.

Der Arzt sass neben ihrem Bett, hielt ihre Hand.
Er umklammerte sie regelrecht, wie ein Ertrinkender das letzte Stück Treibgut, um nicht unterzugehen.
Nie wieder wollte er sie los lassen. Immer würde er Angst leiden.
Er würde sie bitten mit ihm zusammenzuziehen, er wollte Sie bitten, für immer zu bleiben.
Doch alles zu seiner Zeit.
Jetzt war es wichtig das sie gesund wurde.

Als die junge Frau eine knappe Stunde später die Augen aufschlug, verharrte er in der gleichen Position. Er hielt ihre Hand und sah sie an.
„Du bist noch da!“, murmelte sie müde.
Er küsste sie.
„Du glaubst wohl nicht, das Du mich je wieder los wirst!“, erklärte er leise. Sie lächelte leicht. Noch einmal ging er mit ihr auf den Balkon. Er beobachtete sie, wie sie jeden cm der Umgebung aufsog.
Erst zum Ende der Besuchszeit ließ er sie allein.

An diesem Abend zog es ihn nicht direkt nach Hause. Es zog ihn an die Unfallstelle.
Da es nicht wirklich geregnet hatte, waren die farbigen Markierungen, welche durch die Polizei gemacht worden waren, noch deutlich sichtbar.
An der Stelle, wo Lea aufgeprallt war, glaubte er sogar noch die Blutlache erkennen zu können.
Er erschauderte bei dem Gedanken an den Unfall.
Mario dachte an die Unfallfahrerin, die er nie zuvor gesehen hatte, die an dem Abend alkoholisiert gefahren war. Die Polizei hatte ihm Einzelheiten verraten. Und, was die Sache nicht entschuldigte, sie hatte sich zweimal im Krankenhaus nach Lea erkundigen wollen, aber keine Information erhalten.
Kai, der Lea geschubst hatte, hatte zweimal versucht über Chrissi und Steffen an Informationen zu kommen. In seinem Fall liefen Ermittlungen wegen dem Versuch der fahrlässigen Tötung. Lea würde zu überlegen haben, ob sie ihn anzeigen wollte.

Im Anschluss machte er Halt bei Tim und Hannah. Er wollte nicht lange bleiben, aber nach und nach alle informieren, das Lea auf dem Weg der Besserung war.
Nach dem Besuch bei seinem besten Freund, besorgte er sich noch eine Pizza, um dann zuhause zu essen.
In der Wohnung, die er mehr als zuhause bezeichnete als das große Haus sich je angefühlt hatte.
Nach Karneval würde das Haus, welches er am Waldrand der Kleinstadt erstanden hatte, bezugsfertig sein. Er wollte Lea fragen, ob sie mit ihm einziehen wollte.
Und er rief seine Mutter an. Die Frau die immer eine Konstante in seinem Leben war, die ihn verstand, die ihn immer unterstützte. Sie litt, weil er gelitten hatte. Und seine Mutter freute sich, das es nun aufwärts gehen würde.
Einige Male war er abends nach dem Krankenhaus bei seiner Mutter gewesen. Er hatte sich Schwäche erlaubt, er hatte Tränen fließen lassen. Er hatte ihr gesagt, das er liebte und sie hatte ihn wissend im Arm gehalten.
Als sie ihren Sohn das erste Mal von Lea hatte reden hören, hatte sie gewusst, das er liebte. Allerdings hatte sie es auch nie für gut befunden, als sie mitbekommen hatte, was dort schon lief, als er noch in seiner Ehe feststeckte.

In der folgenden Woche änderte sich dann aber alles in ihrem Tagesablauf merklich.
Mario ging vormittags wieder arbeiten, verschaffte sich einen Überblick über die Praxis. Lea hatte morgens einige Untersuchungen und nachmittags war oft irgendein Besuch da. Ein Antrag auf ambulante Reha war gestellt worden.

Nach über einer weiteren Woche durfte sie die Kreisklinik verlassen. Ihr Zustand war stabil und hatte sich verbessert.
An dem Samstag Vormittag war er aufgeregt wie ein Schuljunge.
Der Gips vom Bein war am Vortag abgemacht worden. Über dem Beinkleid trug sie eine leichte Carbonschiene und ihr Gangbild war fast ohne Humpeln.
All die Platzwunden, Hautabschürfungen und Hämatome waren verschwunden. Sie war noch blass und schnell müde, aber das würde sich auch noch geben!

Als sie nun knapp vier Wochen nach dem Unfall die Klinik langsamen Schrittes verließ, hielt er sie fest an der Hand.
Die Luft war eisig, doch Lea genoss das Gefühl der kalten Windspitzen auf ihrem Gesicht.
Der Dezember und die Aussicht auf Weihnachten ließen die Welt für sie bezaubernd erscheinen. Der Mann, der ihr nach wenigen Schritten ins Auto half, tat sein übriges.

Kaum in der Wohnung angekommen, verfrachtete er sie auf die Couch. Sie nickte kurz ein.
Als sie die Augen aufschlug, stellte Mario ihr gerade eine frisch aufgebrühte Tasse Tee auf den Tisch. Er setzte sich neben sie und sie kuschelte sich an ihn. "Ich bin froh wieder zuhause zu sein!", gab sie matt zu. "Ich bin dankbar das du lebst!", murmelte er, aber sie hatte es verstanden. Mit einer Hand drehte sie sein Gesicht zu sich und küsste ihn. "Ich liebe Dich!", flüsterte sie und küsste ihn. Er streckte sich neben ihr aus und sie küssten sich immer wieder.

Er packte sie in Watte an dem Tag, da am Tag darauf das Essen bei seinen Eltern anstand, wie immer am Sonntag.
Und nach der ganzen Zeit im Krankenhaus hatte seine Mutter drauf bestanden beide bei sich zu haben.

Nach diesem ruhigen Tag schaffte Lea es am nächsten Tag allein zu duschen. Mario hatte vermieden, ihr Hilfe anzubieten, denn er wusste, das sein kleiner Sturkopf diese ablehnen würde. Sie brauchte etwas länger, als sie sonst benötigte, aber sie schaffte es. Sie flocht sich die Haare locker.
In Leggins und Wollkleid, bis kurz über den Po, kam sie in die Küche. Sie trug flache Schuhe und die Schiene.
Mario trank dort einen Kaffee und hatte ihr einen Smoothie bereit gestellt. Auch hatte er ihre Medikamente bereit gelegt. Widerwillig nahm sie diese ein und trank was ihr Freund ihr bereit gestellt hatte.

Als sie nur wenig später in der Einfahrt seiner Eltern ausstiegen, zog er sie in seine Arme.
„Sie wissen, was geschehen ist und sie wissen das ich dich liebe!“, offenbarte er. Lea sah ihn an, lächelte. "Es ist deine Familie, alles gut.", zuckte sie mit der Schulter.
Und sie seufzte in den Kuss, den sie bekam. Sie schmiegte sich nachgiebig an ihn und verführte ihn so zu einem innigeren Kuss, als es sein Plan gewesen war.
Aber er genoss diesen Kuss.
Sein Körper reagierte prompt auf sie, aber sie mussten noch vorsichtig sein. Das wussten beide. Dennoch wollte niemand diesen Moment beenden.
Dankbar registrierten sie, das seine Mutter bereits die Tür öffnete und sie ihren Kuss unterbrechen mussten.

Marlies, seine Mutter, zog die junge Frau in die Arme. Im Anschluss besah sie sich die junge Frau. Sie legte ihr die Hände auf die Wangen. „Etwas blass und noch dünner als ohnehin schon, aber das kriegen wir schon wieder hin!“, frohlockte sie. Kurz tätschelte sie die Wange ihres Sohnes, ehe sie beide reinzog. In der geräumigen Diele wartete bereits sein Vater Hartmut, der dem Mediziner erst die Jacke  abnahm und dann gegen seinen Oberarm boxte.
Der hochgewachsene Arzt trat zu Lea, der er aus dem knielangen Mantel half, ehe sein Vater auch an sie trat. „Ich wusste schon beim ersten Mal, als er dich zum Essen mitgebracht hat, das Du anders bist. Das du diejenige bist, die sein Herz gestohlen hat, überrascht mich in keinster Weise!“ Er drückte ihre Hände nach seinen Worten. "Es ist gut zu sehen, das es Dir so viel besser geht!", sagte er noch.

Dann gingen alle in das Wohnzimmer, das durch den angefeuerten Kamin gut aufgeheizt war.
Aber auch war dort seine Schwester Izzie anzutreffen, mit ihrem Mann Florian und dem kleinen Babyjungen der Damian hieß. Einen Monat war der Knirps alt und durch den Unfall kannte Mario seinen Neffen noch nicht.

Lea wurde auf die Couch verfrachtet, wo sie auch eine Decke bekam.
Sie wurde umsorgt und bemuttert, etwas das sie so nicht erlebt hatte.

Mittags beim Essen genoss Lea den Trubel und das Geplapper. Die Suppe war kein Problem, aber der Sonntagsbraten war noch etwas viel. Nach dem Essen saßen alle noch am Tisch.
Der kleine Damian weinte und quengelte, doch niemand bekam ihn ruhig. Alle tigerten auf und ab und versuchten ihm das Fläschchen zu geben.
Als Mario ihn hatte und auch kein Wunder vollbrachte, streckte Lea die Hände nach dem kleinen Bündel aus. Sie erhielt den kleinen Menschen in den Arm gelegt.
Sie packte ihn eng in ihre Armbeuge, hielt die Minihände fest und atmete einmal ganz tief ein und aus. Er wurde ruhiger und begann tatsächlich an der Flasche zu saugen.
Lea blickte auf den kleinen Jungen, während Mario auf sie blickte als wenn ihm ein neues Weltwunder offenbart wurde.

Er liebte.
Er liebte alles.
Er liebte diesen Anblick.
Und er, der nach seinen beiden Söhnen keine Kinder mehr wollte, sah vor seinem inneren Auge ein weiteres Kind. Ein kleines Mädchen, mit wilden Locken und einem glucksenden Lachen, das kam ihm in den Sinn.

Er sah seine Zukunft klar und deutlich.
Er sah es so klar wie er nich nie etwas gesehen hatte!

Jeden Tag ein wenig mehr Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt