Sie wurde von einer klirrenden Tasse wieder geweckt und musste einige Male blinzeln, bis sie etwas erkennen konnte. Also nichts. Denn in der Küche war es stockfinster.
»Ryu?«, fragte sie. »Tschuldige, ich bin wohl eingeschlafen.«
Sie rieb sich die Augen, doch es brachte alles nichts. Die Person setzte sich ihr gegenüber. »Ryu also, hm?«, fragte die Person und sie erkannte endlich Lui.
»Gosh, du bist es Lui. Du hast mich erschreckt.« Sie lachte unbeholfen. »Warum ... ist es denn so dunkel«, fragte sie sich laut und stand vorsichtig vom Tisch auf um den Schalter zu suchen, doch da kam Lui ihr schon zuvor und schaltete das Licht ein, an dessen Helligkeit sie sich erst einmal gewöhnen musste.
»Alice«, sagte Lui daraufhin und nahm die kurz blinde Alice an die Hand, um sie zum Stuhl zurück zuführen. »Ryu hat wieder getrunken, oder?«
Sie rieb sich die Augen. »J-Ja«, sagte sie unsicher.
»Du kannst-«
»Nein!«, sagte sie viel zu schnell. »Ich ... Also ... Es ist schon okay. Ich kann bei ihm schlafen.«
Lui schaute sie genau an. »Du bist dir sicher?«, fragte er langsam. Zu langsam. Seit wann hörte sich Lui so gruselig an? Vielleicht war sie einfach zu müde. Sie schaute ihm in die Augen. Seine grünen Augen trugen Sorge in sich und einen Funken Wut. Eifersucht, vielleicht? Oder doch die Wut auf Ryu, weil er seine Schwester geschlagen hatte? Er sah harmlos aus, nicht so, als könnte er ein unschuldiges Mädchen umbringen. Ein Schauer durchfuhr sie und sie wandte schnell den Blick ab.
»Alice?«, fragte er nochmal.
»Ja«, sagte sie, trank hastig ein paar Schlücke von ihrem mittlerweile lauwarmen Tee und stand auf. »Ich bin mir zu hundert Prozent sicher.« Sie stand auf, schüttete den Rest ihres Tees in das Waschbecken und ließ die Tasse dort stehen. Als sie sich umdrehte und er direkt vor ihr stand sog sie scharf die Luft ein und schreckte zurück.
»Alles okay bei dir?«, fragte er. »Du hast Angst.«
»N-nein, hab ich nicht«, wehrte sie ab und rieb sich über die fröstelnden Arme, sah ihm nicht in die Augen.
»Du musst dich nicht zwingen, bei Ryu zu schlafen«, sagte er sanft und ihr wurde schlecht bei dem Gedanken, mit Lui, welcher ihre Freundin getötet hatte, ein Bett zu teilen.
»Ich zwinge mich wirklich nicht. Es ist okay.« Sie lächelte kurz zittrig. »Ich bin aber echt hundemüde und würde gerne schlafen.«
Doch er ließ sie nicht vorbei, kaute auf seiner Unterlippe herum. »Alice, wenn irgendwas ist ... meine Tür ist immer offen.«
Panik kam in ihr auf, als er sich vor sie stellte und sie eindringlich anstarrte. Sie nickte. »Ich ... weiß«, sagte sie und schluckte ihre Angst herunter, erfolglos. Luis Hand kam auf sie zu und sie wäre am liebsten weggerannt, doch sie fühlte sich plötzlich wie versteinert vor Angst. Seine Hand legte sich auf ihr Wange.
»Alice ...«, sagte er mit trauriger Miene. Ja, dachte sie, ich würde jetzt auch gerne weinen. Tatsächlich stiegen ihr Tränen aus Angst in die Augen, als er mit dem Daumen über ihre Wange strich. Vielleicht hatte er das bei Kaya genauso gemacht ...
Sie verlor eine Träne, und er erstarrte in seiner Bewegung. »Hey«, sagte er fürsorglich und strich ihr die Träne von der Wange. »Gott, was ist denn los mit dir. Du zitterst ja.« Sie trat einen Schritt zurück. Sie konnte nicht mehr anders. Und als sie zurücktrat starrte er sie lange an, ohne ein Wort zu sagen, bis er endlich den Blick senkte. »Du weißt es.«
Noch mehr Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ja.«
Er presste die Lippen aufeinander. »Fuck.«
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Malice
RomanceEine seltsame Begegnung mit einem zwielichtigen Jungen führt Alice und ihre Freundin Kaya an einen gefährlichen Ort. Kaum waren sie angekommen, schlossen sich auch schon alle Türen vor ihren Augen - Sie sind gefangen. Und jeder Fluchtversuch bringt...