Kapitel 19

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Es war mitten in der Nacht, als die Wärme nebst ihr verschwand. Sie murrte und öffnete die Augen einen Spalt breit. »Shhh«, machte Ryu und seine Hand fuhr ihr übers Gesicht. »Schlaf noch ein wenig.« Sie richtete sich trotzdem auf und sah zu, wie er in seinen Anzug schlüpfte, dabei Krawatte und Jackett aber wegließ. »Es ist was passiert. Ich muss kurz weg.«

»Aber ... es ist mitten in der Nacht«, wisperte sie und wollte einfach wieder ins Bett fallen.

»Ich weiß«, flüsterte er und kam zurück zu ihr, drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen. »Ehe du dich versiehst bin ich wieder da.« Und dann war er aus der Tür verschwunden.

Sie ließ sich zurück in den Kissen fallen und drückte ihre Augen zu. Zehn Minuten mindestens lag sie still da, konnte aber nicht einmal ansatzweise mehr einschlafen. Sie seufzte laut und setzte sich auf. Es war gerade einmal 3 Uhr, als sie sich aus dem Bett quälte und barfuß auf den dunklen Flur tapste. Noch ein Tee würde ihr bestimmt helfen einzuschlafen.

Als sie dort unten ankam sah sie jemanden am Tisch sitzen und natürlich - natürlich musste es Lui sein, welcher in eine längst kalte Tasse Tee hinein starrte. Zögernd blieb sie stehen, schüttelte dann aber doch den Kopf und traute sich hinein.

»Hey«, sagte sie leise. Er hob nicht mal den Kopf.

Sie machte den Wasserkocher an und sah erleichtert, dass eine Packung Tee noch auf der Theke lag. Sie bereitete eine Tasse damit vor, goss das heiße Wasser auf und setzte sich dann gegenüber von ihm hin.

Als sie die Tasse absetzte hob er langsam den Blick. »Wo ist er?«

»Nicht hier«, sagte sie, bereute es aber gleich im Anschluss. Vielleicht keine gute Idee ihm zu sagen, dass keiner da war um sie zu beschützen. Aber Lui kam ihr mehr bedrückt als wütend vor. Alice trank eine Weile ihren Tee, sie schwiegen sich an und Lui wagte es nicht einmal sie anzusehen und starrte wieder in seine Tasse.

»Lui ...«, begann Alice, wollte irgendwie diese verdammte Stille überwinden, doch er schüttelte den Kopf.

»Lass es, Alice«, sagte er leise und schloss die Augen. »Ich weiß, dass es nicht deine Schuld ist. Obwohl ... irgendwie ist es ja doch deine Schuld.« Er öffnete langsam die Augen und sah sie an, seine grünen Augen, einst voller Wärme, starrten sie nun kalt an.

»Lui, das ist absolut unfair von dir. Du - DU - hast Kaya umgebracht! Ich versuche hier, irgendwie mit dir wieder ins Reine zu kommen und du gibst so einen Mist von dir!«, erklärte sie wütend und ballte auf dem Tisch ihre Hände zu Fäusten.

»Ich hab gesagt ich wollte das nicht. Ich wollte sie nicht umbringen.«

»Das bringt sie auch nicht zurück«, sagte sie schwach und spürte wie sich die Tränen schon wieder in ihren Augen sammelten.

Lui atmete tief durch und trank nun endlich auch mal was von seiner Tasse, als nur ständig rein zu starren. »Alice«, sagte er plötzlich viel sanfter. »Ich wollte dir keine Angst machen. Und ich wollte sie auch nicht umbringen. Es ging alles so schnell ...«, sagte er verloren vor sich hin.

»Hast du aber.«

Er schaute wieder zu ihr auf. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Wirklich.«

»Wolltest du mich auch umbringen?«, fragte sie und ignorierte seine Entschuldigung.

»Was?«, fragte er verdutzt. »Gott, nein! Das könnte ich niemals tun ...«

»Hast du das auch zu Kaya gesagt?«, fragte sie und er sah sie mit solch einem traurigen Blick an, dass sie eigentlich die Klappe halten wollte, doch die Worte flossen einfach aus ihr. »Man kann niemanden aus Versehen töten. Das funktioniert nicht. Ich ... bin einfach so wütend. Du hast das Leben meiner besten Freundin genommen. Und bist jetzt sauer auf mich?! Das ergibt überhaupt keinen Sinn! Ich hab die Schnauze voll.« Sie stand so abrupt auf, dass der Stuhl hinter ihr zu Boden fiel. »Ich dachte, wir könnten ... Freunde werden. Vielleicht. Aber mittlerweile glaube ich nicht, dass ich das noch kann.«

MaliceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt