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Anmerkung: In diesem Kapitel geht es um Gewalt in der Partnerschaft. Jedem, dem das Thema zu nah geht, sollte es nicht lesen.

•••

Es war wieder einer der Abende, den wir auf der Terrasse verbrachten. Liv sowie Tami und Bella waren vorbeigekommen und ließen mit uns den Abend ausklingen. Da wir durch die Terrasse einen eigenen Zugang zum See hatten, kühlten wir uns nach dem Essen im Wasser ab.

Da mir nach einiger Zeit im Wasser kalt wurde, schwamm ich zur Leiter an unserer Terrasse und kletterte aus dem See. ,,Genug geschwommen?"

Mein Blick glitt zu Liv, die die erste war, die den See verlassen hatte, und nun auf einer unserer Bänke saß. Sie hielt mir ein Handtuch hin, was ich dankend entgegennahm und begann mich abzutrocknen:,,Für heute schon. Was ist mit dir? Du bist nach fünf Minuten schon wieder rausgegangen."

,,Mir ist heute nicht nach schwimmen", erklärte sie und fügte so leise, dass ich es gerade so noch verstand, hinzu:,,Oder überhaupt nach irgendwas."

Verwundert über ihre Worte setzte ich mich neben sie und ließ das Handtuch sinken:,,Was ist los?"

,,Das willst du sicherlich nicht hören", bemerkte Liv, woraufhin ich meinen Kopf schief legte:,,Ich würde nicht fragen, wenn ich es nicht hören wollen würde."

Sie seufzte und wandte ihren Blick von mir ab:,,Heute vor genau zwei Jahren habe ich meine Sachen gepackt und Tomar verlassen."

,,Vermisst du deine Heimat?", erkundigte ich mich vorsichtig und dachte zu verstehen, was Liv belastete. Sie hatte Heimweh, was nach zwei Jahren ohne ihre Eltern oder Freunde aus ihrer Heimatstadt nicht verwunderlich war.

,,Meine Eltern und ein paar alte Freunde fehlen mir sehr. Ich habe seitdem nicht mal mit ihnen telefoniert", gestand sie.

,,Du hast mit deinen Eltern das letzte Mal vor zwei Jahren gesprochen? Wieso das?", fragte ich überrascht.

,,Weil sie mich gefragt hätten, weshalb ich gegangen bin und ich... ich kann ihn den Grund nicht erzählen."

Livs Stimme fing an, dünner zu werden und zu zittern. Ihr Abschied von zu Hause schien kein leichtes Thema für sie zu sein. Ich wollte sie nicht dazu drängen, mir etwas zu erzählen, wenn sie es nicht wollte. Doch sie sollte wissen, dass ich für sie da war, wenn sie jemanden brauchte:,,Wenn du es mir erzählen willst, höre ich gerne zu."

,,Es war wegen meinem damaligen Freund", entgegnete Liv. Sie richtete ihren Kopf zu mir, sodass ich in ihre glasigen Augen sehen konnte. Eine ungute Vorahnung machte sich in mir breit und zögerlich hakte ich nach:,,Hat er dir etwas angetan?"

,,Das erste Mal war er betrunken. Ich war mit ein paar Freundinnen im Kino und bin anschließend in seine Wohnung gefahren, weil wir verabredet hatten, dass ich beim ihm übernachtete. Kaum hatte ich seine Wohnung betreten, hat er mir vorgeworfen, ihn zu betrügen. Er hat mich angeschrien und geschlagen. Es war nur ein Schlag. Danach ist er ins Bett gegangen und am nächsten Morgen hat er sich entschuldigt. Ich habe geglaubt, dass es nur ein Ausrutscher war und ihm verziehen", erzählte sie, während ihr einige Tränen über die Wange liefen, die sie versuchte direkt wegzuwischen.

Was ein verdammtes Arschloch, war das erste, was mir nach ihren Worten in den Kopf kam. Es tat mir leid, dass Liv sowas erleben musste und das vermutlich nicht einmal die ganze Geschichte war. Ich rutschte etwas näher an sie heran und strich ihr über den Rücken, damit Liv sich etwas beruhigte und merkte, dass sie nicht alleine war:,,Das war erst der Anfang, richtig?"

Sie nickte und legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab, ehe sie fortfuhr:,,In den Wochen darauf haben wir uns immer wieder gestritten und mit jedem Streit wurde er gewalttätiger. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Auf der einen Seite hat er sich am nächsten Tag entschuldigt, mir in die Augen gesehen und gesagt, dass er mich liebte, ich das Einzige wäre, was ihn am Leben halte. Auf der anderen Seite hat seine Gewalt nicht aufgehört und wurde schlimmer. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, meinen Eltern davon zu erzählen oder meinen Freunden in Tomar, weil ich wusste, was sie gesagt hätten. Ich solle zur Polizei gehen und mich von ihm fernhalten. Allerdings wollte ich nicht zur Polizei. Ich wollte nicht, dass fremde Menschen sehen, wie schwach ich war und was ich aus Liebe mit mir machen ließ. Nach einem weiteren Streit war ich so hin und her gerissen, dass ich abgehauen bin, eben heute vor zwei Jahren. Es war für mich der einzige Ausweg."

,,Liv, das tut mir so leid. Sowas hast du nicht verdient. Das verdient niemand", entgegnete ich mitfühlend. Für einen Moment war es still. Ich gab ihr etwas Zeit ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Das alles trug sie vermutlich schon seit Jahren mit sich herum. Verständlich war es, dass sie es irgendwann nicht mehr zurückhalten konnte und die Gefühle hochkamen.

,,Ich kann verstehen, weshalb du damals niemanden davon erzählt und die Stadt verlassen hast. Allerdings solltest du deine Eltern anrufen. Sie machen sich bestimmt Sorgen um dich", unterbrach ich nach einigen Minuten die Stille, als Liv etwas ruhiger wurde.

,,Ich habe ihnen einen Zettel hinterlassen, auf dem stand, dass ich sie liebe, aber nun Zeit für mich brauche und sie mich nicht suchen sollen", bemerkte sie.

,,Ruf sie trotzdem an, damit sie wissen, dass es dir gutgeht", bat ich sie ernst. Auch wenn es schwer war, konnte sie nicht ewig weglaufen und leben, als gäbe es niemanden in Portugal, der auf sie wartete, denn so war es nicht. Zwar verstand ich, dass Liv damals als einzige Lösung gesehen hatte, die Stadt zu verlassen. Jedoch konnte ich mir genauso gut vorstellen, wie schmerzhaft und überraschend das für ihre Eltern sein musste.

,,Das kann ich nicht. Sie werden fragen, wo ich bin und wieso ich gegangen bin. Ich schaffe es nicht, ihnen die Wahrheit zu sagen", gab Liv zurück, womit ihre Stimme wieder brüchiger wurde.

,,Das musst du auch nicht. In erster Linie müssen deine Eltern wissen, dass dir auf deiner Reise nichts passiert ist und du okay bist. Sie sitzen vermutlich zu Hause und denken sonst etwas. Wenn du sie anrufst und ihnen erzählst, dass du hier glücklich bist, wird sie das bestimmt beruhigen", versuchte ich, ihr Mut zu zusprechen, ,,du bist hier doch glücklich, oder?"

,,Ich war noch nie glücklicher. Der Job macht Spaß, die Gegend ist wunderschön und ich habe hier die besten Freunde der Welt gefunden. So wohl habe ich mich an keinem zweiten Ort gefühlt", antwortete sie und nahm ihren Kopf von meiner Schulter. Ihr Lippen zierten währendessen ein leichtes Lächeln.

Erleichtert darüber erwiderte ich ihr Lächeln:,,Dann erzähl das deinen Eltern. Du musst deinen Exfreund nicht einmal erwähnen."

,,Bleibst du bei mir, während ich mit ihnen telefoniere?", erkundigte sich Liv hoffnungsvoll, was ich mit einem zustimmenden Nicken quittierte:,,Natürlich."

,,Danke", hauchte sie und griff nach meiner Hand. Da sie gerade jemanden brauchte, der ihr Halt gab, ließ ich es lächelnd zu. Zusammen standen wir auf uns liefen nach drinnen, um einen ruhigen Ort zu suchen, an dem sie telefonieren konnte.

Ich brachte sie in das Zimmer, in dem ich seit einer Woche mit Carlos schlief, wobei Liv davon ausging, dass es mein eigenes war, und zusammen setzten uns auf das große Doppelbett. Irgendwann würde ich ihr erzählen, dass Carlos nicht nur ein, sondern mein Freund war, doch in diesem Augenblick hatten ihre Familienprobleme Priorität. Liv ließ meine Hand nicht los, als sie ihr Handy aus der Hosentasche ihrer kurzen Shorts holte, und tippte etwas ein, ehe sie sich ihr Gerät ans Ohr hielt. Aufmunternd lächelte ich sie an, was sie schwach erwiderte.

Keine drei Sekunden später schien jemand rangegangen zu sein. Livs Augen wurden wieder glasig und sie begann wohl portugiesisch zu sprechen, was ich noch weniger verstand als Spanisch. Wie viel Zeit während des Telefonats verging, konnte ich nicht sagen, aber es spielte auch keine Rolle. Das schwache Lächeln aufs Livs Lippen wurde mit jeder Minute, die verging breiter, und ab und zu fing sie an zu lachen.

,,Eu amo-vos, vemo-nos amanha." (Ich liebe euch, bis morgen) Damit nahm sie sichtlich glücklich ihr Handy vom Ohr und legte auf.

,,Das Lächeln steht dir viel besser als die Tränen", merkte ich schmunzelnd an, ,,lief es gut?"

,,Besser als ich es mir hätte vorstellen können. Wir telefonieren morgen noch einmal", hauchte sie überwältigt und zog mich in eine feste Umarmung, ,,danke, Lando. Ohne dich hätte ich mich vermutlich in den nächsten fünf Jahren nicht bei ihnen gemeldet."

,,Kein Problem, dafür sind Freunde da", winkte ich ab und erwiderte ihre Umarmung erleichtert.

The way I love you [Lando Norris x Carlos Sainz]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt