Kapitel 10

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PoV Levi
Als ich von meiner Operation wieder aufwachte, war es draußen dunkel, mein Rachen war trocken und mir war kalt. Eine super Voraussetzung, um sich von einer OP zu erholen.

Ich setzte mich im Krankenbett auf, spürte einen ziehenden Schmerz an meiner Brust und legte reflexartig meine Hand auf jene schmerzende Stelle. Ich spürte ein großes Pflaster auf meinem Brustbein und seicht fuhr ich über die darunter liegende Naht. Hatte ich es damit geschafft? Hatten sie vielleicht direkt beide rausoperieren können?

Im Dunkel tastete ich nach dem Schalter an meinem Bett, fand ihn und betätigte die Ruffunktion. Ich wollte wissen, was los war. Wie es weitergehen würde.

Ich musste glücklicherweise nicht lange warten und die Tür meines Zimmers öffnete sich. Das Licht wurde angeschaltet und ich erblickte den jungen Arzt und eine dickliche Krankenschwester, die mich freundlich anlächelte. War das ein Mitleidslächeln oder ein Erfolgslächeln?

„Herr Ackermann", begann der Arzt und trat auf mich zu. „wie geht es Ihnen?", fragte er und überprüfte den Tropf, an dem ich hing. „Eh, gut.", jedenfalls noch.

„Schwester bringen Sie ihm doch bitte ein wenig Wasser.", sagte er und die Frau verschwand aus dem Zimmer, der Arzt richtete sein Polohemd und sah mich dann ernst an.
Das war nicht gut.

„Ich habe bereits Ihren Freund angerufen, damit Sie sich nicht diesem Stress aussetzen müssen. Die Operation ist sehr gut verlaufen, wir konnten den linken Tumor wie geplant restlos entfernen." – „Aber?", ich wusste es. Ich wusste, dass es sich nicht gelohnt hatte zu hoffen.

„Aber dabei haben wir gemerkt, dass der andere Tumor sehr viel tiefer liegt als vorher angenommen. Er hat sich auch bereits weiter ausgebreitet, sodass wir ihn nicht mehr operativ entfernen können.", er sprach ruhig, sagte sowas wahrscheinlich nicht zum ersten Mal. Doch ich hörte es zum ersten Mal und dabei ruhig zu bleiben, fiel mir unglaublich schwer.

Als er mir vor ein paar Tagen die Diagnose gesagt hatte, war das anders. Ich konnte es in diesem Moment einfach nicht wirklich wahrhaben. Ich hatte Krebs, ich der nie krank war, nie geraucht hatte. Ausgerechnet ich bekam Krebs. Nicht, dass ich es anderen Menschen wünschte, doch ich dachte es wäre wahrscheinlicher, dass mein Onkel, der sein Leben lang rauchte und trank, an Krebs krepieren würde, nicht an einem Autounfall.

Ich hatte mich die Tage natürlich auch über Krebs in meiner Familie informiert. Meine Mutter konnte mir nichts Genaues sagen, immerhin war sie adoptiert. Dazu wohnte sie noch am anderen Ende des Landes, mir von dort zu helfen, würde auch eher schwer sein. Und meinen Vater kannte ich nicht. So erfuhr ich also auch nichts.

Und ich glaube durch Erens Worte, dadurch, dass er daran glaubte, alles würde gut werden, hatte ich es irgendwie auch geglaubt. Nun saß ich jedoch hier mit meinem Glauben, der langsam, aber sicher zerbrach.

„Heißt es das, was ich denke?", fragte ich kleinlaut und spürte, wie mir die Tränen in meine Augen stiegen. Fuck, ich wollte nicht heulen. Ich hatte doch die ganze Zeit noch nicht geheult. Und jetzt?!

„Wir müssen wohl eine Chemotherapie in Angriff nehmen.", erklärte der Arzt und sah mich ein wenig unsicher an. „Ist es dann sicher, dass der Krebs weggeht?", fragte ich und spürte das salzige Wasser meine Wangen herunterlaufen.

„Ich würde Ihnen eine Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie empfehlen. Die Strahlentherapie verhindert das Wachstum der Tumorzellen und die Chemotherapie ermöglicht die Heilung. Wenn Sie diese Kombination wählen würden, ist auch die Wahrscheinlichkeit geringer, dass der Krebs zurückkommen könnte."

Warum klang dieser Vortrag wie ein Verkaufsgespräch?!

Ich nickte nur, wischte mir durchs Gesicht. „Wie lange dauert sowas?", fragte ich dann und schniefte kurz. Ich vermisste Eren. Ich brauchte ihn gerade.

Der Arzt begann von verschiedenen Methoden zu reden. Von 6 bis 16 Zyklen einer Chemotherapie, davon wie viel Abstand zwischen den Terminen sein würde. Von Nebenwirkungen und von psychischer Belastung, die mich zusätzlich erwarten würde.

Ich hörte ihm zu, doch hörte auch nichts. Mein Gehirn brauchte ewig, um die Informationen zu verarbeiten. Und so konnte ich nur auf dem Bett sitzen, dem Arzt zuhören und auf meine zitternden Hände starren.

Das alles hatte er Eren schon am Telefon gesagt, oder?
Das müsste ich nicht mehr tun? Ich könnte das nicht. Ich könnte ihm nicht sagen, was mich und auch ihn in den nächsten Monaten erwarten würde. Ich wüsste nicht wie.
Und vor allem wüsste ich nicht, wie ich ihm sagen sollte, dass es keine Garantie gab. Dass ich nicht sicher sein konnte, dass die Therapie wirken würde. 

Chemistry [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt