Kapitel 20

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PoV Levi
Die Tage vergingen. Ich bin wieder zur Arbeit gegangen, hatte dort ein Gespräch mit meinem Chef geführt. Ich wollte vorerst nicht, dass alle es wissen würden. Ich hatte noch nie viel mit den anderen Kollegen zu tun und ich wollte nicht, dass sie sich jetzt einschleimen würden, nur weil ich Krebs hatte. Er verstand und respektierte meinen Wunsch. Glücklicherweise.

So ging ich also zur Arbeit, telefonierte mit den Kunden und arbeitete am Computer, tippte mir schon beinahe die Finger wund, um wieder auf dem neusten Stand zu sein.

Tag ein, Tag aus. Bis heute. Freitags Morgen.

Ein letztes Mal sah ich auf mein Handy und seufzte leise, ehe ich es wegsteckte und meinem Arzt in den Raum von vor zwei Wochen folgte. Zuerst führte er ein paar Untersuchungen durch, nahm mir erneut Blut ab und verschwand wieder aus dem Raum. Ich strich unruhig über das frische Pflaster an meiner Hand. Sie nahmen mir das Blut durch die Vene an der Hand ab. Doktor Bäcker hatte gesagt, dass die Vernarbung des Gewebes an meinem Arm dadurch zurückgehalten werden kann. Immerhin musste ich jede Woche Blutabnehmen gehen.

Zwar meinte er, dass ich Narben auf den Händen haben könnte, doch die wären nicht so groß und auffällig. Ich selber wüsste, dass sie da wären. Und im Endeffekt war mir auch egal, wo sie mit Blut abnehmen würden. Es war nötig und das war das einzige, woran ich dabei dachte.

Die Auswertung meiner Blutwerte lief diesmal schneller ab. Das war gut so. Immerhin war ich alleine hier. Erwin würde mich abholen. Er hatte Freitag Mittags immer frei und hatte sich angeboten. Ich wollte nicht, dass Eren meinetwegen Unterricht verpasste. Meistens schrieb er freitags Klausuren. Die dürfte er nicht wegen mir versäumen. Davon hätte er nichts.

„Dann kommen Sie mal mit.", der Arzt lächelte wie immer freundlich und mit zittrigen Knien folgte ich ihm in den großen Raum mit den Chemobäumen. Es waren weniger Menschen hier als letztes Mal. Nur ich und eine andere Frau mittleren Alters. Sie hatte ein Kopftuch auf. Nicht ein religiöses, sondern ein richtiges Tuch. Bei ihr hatte der Haarausfall wohl schon angefangen.

Sie bemerkte meinen Blick, lächelte mich aufmunternd an und wandte sich dann wieder ihrem Buch zu. Sah aus, wie eine Romanze. Mit dem rosa Umschlag und den weißen Buchstaben drauf.

Der Arzt und eine Schwester warteten geduldig, bis ich mich auf den Stuhl gesetzt hatte, baten mich dann die Arme frei zu machen. Ich kam dem nach, hielt ihnen meine Arme hin und spürte auch schon ein paar Sekunden später, wie Doktor Bäcker die Kanüle legte.

„Wenn Sie etwas brauchen, oder irgendwas nicht stimmt, dann drücken Sie auf diesen Knopf, ja?", lächelte die Schwester freundlich und deutete auf einen roten Knopf neben meinem Stuhl. Ich nickte nur und sah zu, wie die beiden den Raum verließen. Ich lag nun hier alleine mit der älteren Frau und wartete.

Keine Ahnung, wie lange ich warten sollte. Ich wusste nicht mal mehr, wie lange die letzte Chemo gedauert hatte.

„Darf ich fragen, wie alt Sie sind?", hörte ich es plötzlich und sah zu der Frau. Sie hatte ihr Buch zugeklappt auf ihren Schenkeln liegen und lächelte freundlich. „Zwanzig.", antwortete ich stumpf und musterte sie.

Trotz des Kopftuchs sah sie nicht besonders kränklich aus. Wenn man sonst mal einen Krebspatienten mit Kopftuch gesehen hatte, waren diese eigentlich immer halb abgemagert und nur noch ein Schatten ihrer Selbst. Man sah ihnen eigentlich immer an, dass es ihnen nicht gut gehen würde. Doch diese Frau – bei ihr war es anders. Irgendwie strahlte sie noch richtig. Als wäre heute der schönste Tag ihres Lebens.

„Zwanzig erst, huh? Dein erstes Mal hier?" Ich schüttelte den Kopf. Auch, wenn ich sie nicht kannte, beruhigte es mich irgendwie, dass sie mit mir sprach. „Das Zweite. Ich musste heute aber alleine kommen und weiß nichts mit der Zeit anzufangen.", erklärte ich ehrlich und sie nickte verstehend. „Wenn es dir nichts ausmacht, können wir gerne reden. Mein Buch ist auch nicht so interessant, wie ich gedacht hatte und hier drinnen kriege ich nur Kopfschmerzen vom Lesen.", lachte sie und hustete kurz.

„Lunge?", fragte ich gerade heraus und sie nickte, hielt sich ein Taschentuch vor den Mund, während sie hustete. „Und du?" – „Auch."

Auch, wenn das Gespräch holprig gestartet hatte, verstanden wir uns gut. Sie fragte, warum ich alleine kommen musste. Ich erzählte ihr, dass ein Freund mich abholen würde, wenn er mit der Arbeit fertig wäre und mich niemand anderes begleiten könnte. Eren hatte Schule, Erwin arbeitete und Hanji wollte ich ehrlich gesagt nicht hier haben. Ich liebte sie, aber sie würde mich nur noch mehr stressen mit ihren nervigen Fragen.

Dina – sie hatte mir ihren Namen gesagt, schaffte es mich die gesamte Zeit abzulenken. Sie erzählte mir von ihrer Behandlung, dass sie viel mehr Angst hatte, als sie es musste. Dass die Therapie gut anschlagen würde und die Tumore bereits zurückgegangen sein. Sie sagte, dass sie den Ärzten hier vertraute und durch sie eine Zukunft sehen konnte.

Ich erzählte ihr von Eren, wie sehr er sich um mich sorgte und dass ich Angst hatte, er würde sich zu sehr reinsteigern. Sie verstand mich.
Es war gut mit jemandem zu reden, der nicht nur zuhören konnte, sondern die Situation nachempfinden konnte.

Und als Doktor Bäcker den Raum mit drei weiteren Leuten betrat, wurde unser Gespräch beendet. Die Krankenschwester, die hinter dem jungen Mann gelaufen war, kümmerte sich um Dina. Ein junger blonder Mann mit Bart und Brille half ihr beim Aufstehen. Sie sahen sich ähnlich. Das war wahrscheinlich ihr Sohn.

Der Doktor kam zu mir, überprüfte meinen Baum und trennte mich dann vom Tropf. „Wie geht es Ihnen Levi?", fragte er und checkte meine Pupillenreaktion. „Bin müde." Der junge Mann nickte und sah dann zu der dritten Person, die mit ihm in den Raum gekommen war. Erwin sah mich ein wenig unsicher an, ehe er mir durch die Haare wuschelte und einen Arm um mich legte. Müde kuschelte ich mich an seinen trainierten Bauch und seufzte leise. Ich wollte lieber, dass Eren hier war.

Das Gespräch von Erwin und Doktor Bäcker blendete ich aus. Hörte nur irgendwas von Ruhe und so. „Levi, schlafen Sie sich Zuhause aus. Ich werde mich später nochmal mit Ihrem Arzt in Verbindung setzen. Der wird Sie dann wegen einem Termin anrufen, ja?" Ich nickte nur.

Schon seit einigen Minuten hatte ich kaum noch Reaktion gezeigt. Auch das Gespräch mit Dina wurde irgendwann leiser und ich hatte nur noch gebrummt oder genickt. Ich hatte einfach nicht mehr die Energie zu reden. „Dann dürfen Sie ihn mitnehmen.", erklärte der Arzt und reichte Erwin zum Abschied die Hand.

„Na komm, Kleiner.", murrte dieser nur und stützte mich, half mir vorsichtig beim Aufstehen.

Chemistry [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt