Kapitel 35

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PoV Levi
„Mach langsam.", sagte Eren überfordert und stützte mich. Ich krallte mich an ihm fest, blieb auf der Treppe stehen und musste erstmal wieder zu Atem kommen. Wir hatten eben noch Erens Krankmeldung bei seiner Schule abgegeben und waren nun kurz davor unsere Wohnungstür zu erreichen. Wären diese scheiß Stufen nicht. Dann wäre ich schon längst auf der Couch und würde dort rumliegen und hecheln, wie ein Hund. Stattdessen musste ich das auf der Treppe tun, wo mich jederzeit jemand sehen könnte.

„Ich trag dich, wenn's nicht anders geht.", drohte Eren und schnaubte belustigt. Ich krallte mich noch immer in seinen Arm, hatte Angst umzufallen, wenn ich es nicht tat. „Ich kann das. Ich brauch- brauch nur ein bisschen.", keuchte ich und lehnte mich gegen meinen Freund. „Okay.", Eren drückte mir einen leichten Kuss an die Schläfe, was mich lächeln ließ.

Ein paar Sekunden standen wir noch stumm nebeneinander auf der Treppenstufe, bevor ich mich durchringen konnte und die wenigen Treppen, die es noch zu gehen galt, in Anlauf nahm.

Nur noch um die Ecke, nur noch zwei Stufen und dann hätte ich es geschafft. „Haben Sie das nicht mitgekriegt?", hörte ich es und stoppte, sah nach oben. Natürlich konnte ich durch den Stein nicht durchgucken, doch ich wusste, dass die Stimmen von dort kamen. Eren folgte meinem Blick, schien die Stimme auch gehört zu haben. „Die beiden Jungs unter mir", wieder die Stimme. Unsere Nachbarin, eine etwas ältere alleinstehende Frau, die mit ihren zwei Katzen lebte „der Kleinere von beiden, ich bin mir ziemlich sicher, dass er Krebs hat." – „Nein, wirklich?", eine andere Frauenstimme. Vermutlich jemand aus dem Haus, doch niemand, der mir bekannt vorkam.

„Komm Levi, hör nicht hin.", versuchte Eren es, doch vergebens. Ich blendete ihn einfach aus, hielt den Fokus auf den Stimmen über mir und lauschte ihrer Konversation. „Wie alt ist er, 20? So jung, das kann man sich ja gar nicht vorstellen."

Krebs entscheidet nicht nach Alter. Es war egal, wie alt ich war. Ich hatte eher noch Glück, dass mich der Scheiß jetzt erwischte und nicht, wenn ich schon zu alt zum Gegenankämpfen wäre. „Doch, doch. Und sein Freund, der tut mir ja auch so leid. Für ihn ist das bestimmt nicht einfach. Ich meine erst dieser Nachbar, der die beiden immer wieder belabert und dann auch noch das. Schon fast bemitleidenswert."

Bemitleidenswert?! Wen nannte sie hier bemitleidenswert?! Am liebsten würde ich dort hochlaufen und ihnen die Meinung sagen. Dass sie sich aus meinen und Erens Angelegenheiten raushalten sollten. Wie gerne ich einfach diese scheiß Treppen hochstapfen wollen würde und-

Völlig überrumpelt wurde ich aus meinen Gedanken gezogen. Und als ich wieder im hier und Jetzt ankam, stellte ich auch schnell den Grund dafür fest. Eren hatte mich am Kinn gepackt, hatte meinen Kopf zu sich gezogen und war nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt. Ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Gesicht und als hätten meine vorherigen Gedanken niemals existiert, schmolz ich in seinen Armen dahin. Konzentrierte mich nur noch auf ihn, auf seine Augen, die meine musterten, auf seine makellose Haut, seine Lippen. „Komm jetzt.", raunte er leise und hob mich plötzlich hoch. Überrascht keuchte ich auf und krallte mich panisch in seinen Rücken. Er hatte mich einfach über seine Schulter geworfen!

So sehr Eren auch wusste romantische oder schöne Momente einzuleiten, so sehr hatte er die Kontrolle darüber verloren und ruinierte sie.

Eren schloss die Wohnungstür auf, kickte sie hinter sich zu und steuerte direkt ins Schlafzimmer, wo er mich aufs Bett warf, mir und sich die Schuhe auszog und sich dann auf meinen Schoß setzte. Breitbeinig saß er nun da und sah mich an.

Ich lag außer Atem einfach nur da. Warum hatte ich keine Luft mehr? Ich hatte doch nicht mal was gemacht?!

„Bist du wieder bei mir?", lachte er und streichelte mir sanft über die Wange. „Nicht mehr lange, wenn du nicht von mir runter gehst. Warst du schon immer so schwer?", keuchte ich und schubste den Größeren von mir runter, jedoch nur, um mich in seine vorherige Position zu begeben und mich auf sein Becken zu setzen, ihn anzugrinsen.

„Überanstrenge dich nicht.", murmelte Eren besorgt und wies damit auf meine schwere Atmung hin. „Mir geht's gut.", erklärte ich und stützte mich mit zitternden Armen auf seiner Brust ab. Dass ich völlig fertig von diesem kleinen Spaß war, tat nichts zur Sache. Es war seit Langem mal wieder ein Moment, indem wir einfach kurz den Krebs vergessen hatten.

Und das war schön so. Ich wollte nicht immer dran erinnert werden, wollte keine Besserungswünsche mehr hören und vor allem wollte ich das Eren nicht noch weiter antun. Wenn ich es schaffte, dass er es für einen kurzen Moment vergessen konnte, dann hatte ich mein Ziel erreichen können.

Denn so ungern ich es auch zugab, meine Nachbarinnen hatten Recht. Für Eren war es nicht einfach. Und ich hatte Mitleid mit ihm. Vielleicht umso besser, dass wir in den nächsten Tagen ein bisschen davon abschalten könnten.

Chemistry [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt