Kapitel 29

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PoV Eren
Behutsam streichelte ich über Levis kahlgeschorenen Kopf. Seit ich den Rasierer angeschaltet hatte, hatte er nicht mehr geredet und war am Zittern gewesen. Wir hatten uns drauf eingestellt, dass dieser Schritt kommen würde, doch es nun zu sehen, war natürlich ein Schock. Für ihn noch mehr als für mich.

Manche Leute würden vielleicht sagen, dass es doch nur Haare sein, doch ich konnte gut nachvollziehen, dass Levi nicht unbedingt glücklich darüber war und sich hässlich fühlte. Nun sah er anders aus. Auf keinen Fall war er hässlich! Niemals würde ich ihn als hässlich sehen. Doch ich konnte seine Sorgen verstehen. Er sah anders aus.

Levi hielt den kleinen Spiegel in den Händen und sah sich selber an. Er bewegte weder seinen Kopf noch den Spiegel, er sah einfach nur sein Gesicht an. Ich seufzte leise, drückte ihm einen Kuss auf die Glatze und erntete von ihm ein leises, kaum hörbares Schmunzeln.

„Ich sehe so alt aus.", murmelte er dann leise und ließ den Spiegel sinken, drehte sich zu mir um und sah zu mir hoch. „Vielleicht ein bisschen.", grinste ich schief und legte meine Hände an seine geröteten Wangen. Sein Gesicht glühte noch immer vom Weinen. Seine Augen waren auch noch ein wenig aufgequollen.

„Wie schlimm ist es?", fragte er und sah mich hilflos an. „Ich finde es nicht schlimm. Im Gegenteil, jetzt kann ich dich ärgern und deine Glatze polieren. Bei einem Putzfreak wie dir muss die ja auch bestimmt auch glänzen bis zum Geht-Nicht-Mehr.", lachte ich leise und Levi begann zu schmollen. „So schlimm ist mein Putzwahn gar nicht mehr.", murrte er. „Wenn ich dich nicht davon abhalten würde, wärst du wahrscheinlich nur noch mit Staubsauger und Feudel anzutreffen.", ärgerte ich ihn und nahm mir einen Waschlappen, hielt ihn kurz unter warmes Wasser und sah Levi vielsagend an.

„Oh ich glaube da ist ein Fleck.", imitierte ich ihn und klatschte ihm den nassen Lappen auf den Kopf, begann sanft seine Haut zu schrubben. „Eren lass das!", protestierte der Kleinere und wollte mich wegdrücken, doch ich hielt schnell seine Handgelenke fest und sah ihn ernst an. „Levi, ich bin noch nicht fertig mit Putzen!", eine weitere Imitation meines Freundes. „Ist ja gut, ich hab's verstanden. Du hast deinen Spaß und ich soll weniger putzen. Ist angekommen!"

Ich grinste ihn nur blöd an, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und löste dann meinen Griff um meine Handgelenke. „Ich geh mir ein Tuch binden.", seufzte der ehemals Schwarzhaarige und verließ das Bad. Ich warf den Waschlappen ins Waschbecken und begann die Scherben des alten Spiegels, den Levi vor Verzweiflung zertrümmert hatte, aufzufegen.

Immerhin war sein Sinn für Humor und seine Lebensfreude noch nicht völlig dahin, dachte ich mir. Es war stressig für uns beide, immerhin konnte keiner von uns mit Krebs rechnen. Doch was blieb uns anderes übrig, als das Beste aus der Situation draus zu machen und Witze zu reißen, wo es nur ging.

Während ich aufräumte und Levi mit seinem Boss telefonierte – er wollte nun erstmal von Zuhause arbeiten, verging die Zeit. Und es wurde von Morgens schon bald zum Nachmittag, wo ich mit Levi bei seinem Hausarzt saß und an den Lippen des Doktors hing.

„Ihre Leberwerte haben sich gebessert. Und ich hoffe das bleibt so. Das Cortison müssen Sie aber weiterhin nehmen. Ich werde die Chemo am Freitag erstmal ansetzen lassen, davor werden Sie ja eh nochmal untersucht. Sollten Sie irgendwelche Beschwerden bekommen, egal welcher Art, rufen Sie mich bitte umgehend an."

Levi nickte nur, hielt unter dem Tisch meine Hand. Beruhigend streichelte ich ihm über den Handrücken. Sein Arzt war immer sehr direkt, manchmal dabei jedoch etwas forsch.

„Und Sie Herr Jäger", begann er dann und richtete seinen Blick auf mich „ich habe es Ihrem Freund schon vor ein paar Tagen gesagt, die wenigsten Krebspatienten schaffen das ohne therapeutische Behandlung. Es konnte vielleicht auch bei Ihnen ein wenig Druck rausnehmen, wenn auch Sie sich nach einem Therapeuten umschauen. Jedenfalls für die Zeit, in der Levis Werte nicht auf dem Höchststand sind."

Ich nickte ebenfalls nur. Was sollte ich auch sagen? Ich war als Kind bereits bei einem Psychologen gewesen. Es hatte mir auf jeden Fall gut getan, aber ich wollte mich viel mehr auf Levi konzentrieren, als auf mich. Ich musste mich auch mehr auf Levi konzentrieren.

Hatte er bereits über Therapie nachgedacht?

So wie der Arzt es gesagt hatte, klang es jedenfalls sehr danach. 

Chemistry [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt