Kapitel 32

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PoV Eren
Während Erwin sich um Levi kümmerte, ging ich mit dem Arzt in den Flur. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gefühl. Wir stellten uns ein wenig abseits und ich sah ihn erwartungsvoll an. „Mir gefallen Levis Werte nicht.", sagte er es geradeheraus und besorgt warf ich einen Blick in den offenen Behandlungsraum, wo Erwin Levi gerade beim Aufstehen half.

„Wegen den Leberwerten hat er schon Medikamente bekommen-", erklärte ich, doch der Facharzt unterbrach mich schnell: „Die meinte ich nicht. Seine Leberwerte sind nicht perfekt, aber nicht gefährlich. Und ich weiß nicht, warum sein Hausarzt ihn hergeschickt hat. Eigentlich hätte ich Levi die Chemo nicht machen lassen. Ich könnte Sie jetzt mit Fachwörtern bombardieren, doch das würde nichts bringen. Der FEV-Wert Ihres Freundes gefällt mir nicht."

FEV? Er entnahm meinem Gesichtsausdruck, dass ich nicht verstand, was er meinte. „Das beschreibt die Luftmenge, die er in einer Sekunde ausatmet. Und dieser Wert ist zu niedrig. Levi atmet nicht genug. Im absoluten Ruhezustand könnte das sehr gefährlich werden.", erklärte er und entgeistert sah ich ihn an.

„Wieso haben Sie die Chemo dann machen lassen?!", fauchte ich und er zuckte kurz zusammen, hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihn anfahren würde. „Sie sind verdammter Facharzt! Wieso fällt Ihnen sowas nicht früher auf.", ich versuchte meine Stimme gedeckt zu halten, doch die Wut war deutlich raushörbar.

„Ich hatte einen Notfall, deshalb hat mein Kollege die Werte überprüft. Mir ist erst im Nachhinein aufgefallen, was er da für einen Mist gebaut hat.", sagte er und zog mit einem Mal eine Akte unter seinem Arm hervor. Hatte er sie schon die ganze Zeit dabeigehabt? Er öffnete sie und zu sehen war Levis Bild. Jedoch nicht das von seinem Gesicht, sondern das Röntgenbild, das er am Tag seiner Diagnose gemacht hatte. Ich hatte mir genau gemerkt, wo welcher Tumor saß.

Dass wenigstens einer von diesen weißen Flecken inzwischen Geschichte war, beruhigte mich etwas. Dennoch fand ich es unverantwortlich, dass sie Levi die Chemo haben machen lassen, wenn etwas nicht stimmte.

„Sehen Sie das?", fragte Becker und deutete auf ein Diagramm. „Das ist der FEV-Wert. Der war in den letzten Wochen ziemlich gut und ist dann plötzlich abgesunken.", murmelte er und mein Blick folgte seinen Fingern über die Linien. „Das muss gar keinen bestimmten Grund gehabt haben. In Levis Zustand kann das einfach passieren. Wichtig ist nun, dass gehandelt wird.", sagte er und klappte die Akte wieder zu. „Ich werde Ihnen beiden etwas verschreiben."

Verwirrt sah ich ihn an. Wieso denn mir? „Waren Sie schonmal im Norden? Am Meer?" Ich nickte. Mein Vater kam aus dem Norden und wir hatten dort früher Familienurlaube gemacht, bevor er abgehauen war. „Die Luft dort ist sehr gut für die Lunge. Die richtigen Medikamente und die Luft in Kombination, können helfen den Wert Ihres Freundes wieder zu normalisieren. Und da das Krankenhaus für diesen Fehler verantwortlich ist, verschreibe ich Levi die Kur. Sie würde ich als Begleitperson angeben. Es waren nur eineinhalb Wochen, doch das könnte schon reichen.", ratterte er es herunter und interessiert nickte ich.

„Am besten wäre es, wenn Sie zu dem vereinbarten Kontrolltermin in zwei Tagen mitkommen und ich Ihnen diesen Vorschlag nochmal gemeinsam mache. Bleiben Sie nun erstmal bei Levi."

„Und was soll ich tun, wenn er Atemschwierigkeiten hat?" – „Dann rufen Sie einen Krankenwagen."

-

Außer Atem kam ich an der obersten Stufe an und nickte Erwin zu, der mir die Tür aufschloss. Mit Levi auf dem Arm – er war im Auto extrem anhänglich geworden und wollte, dass ich ihn die Treppen hochtrage – ging ich in die Wohnung, stolperte unbeholfen ins Schlafzimmer und legte den Kleineren aufs Bett, band ihm das Kopftuch ab und deckte ihn zu. Levi lächelte schwach und kuschelte sich in die Daunen.

„Was wollte der Arzt von dir?", hörte ich die tiefe Stimme Erwins und sah zur Tür. Dann wieder zu Levi. Es schien nicht, als würde er verstehen, was hier gerade abging. Irgendwie wirkte er noch benebelter als sonst, wenn er Chemo hatte.

„Die haben einen seiner Werte nicht richtig gesehen und hätten die Chemo nicht machen sollen. Er will uns auf Kur schicken, damit Levis Atmung besser wird.", erklärte ich grob und schwieg. Und entgegen meiner Erwartung schwieg auch Erwin.

Der Blonde war nie ein Mann vieler Worte gewesen, doch selten war es so lange einfach still zwischen uns. Wir wussten beide, dass Levi durch diesen Fehler einen weiteren Schritt Richtung Ende gemacht hatte. Jedoch nicht das Ende des Krebs, das wir uns erhofft hatten. Und ich wusste, dass ich nicht der Einzige war, der in diesem Moment panische Angst hatte Levi alleine zu lassen.  

Chemistry [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt