25. Enttäuschung und Liebe

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"Du kannst deine Augen schließen, wenn du etwas nicht sehen willst.
Aber du kannst nicht dein Herz verschließen, wenn du etwas nicht fühlen willst."

Da ich mir nicht sicher sein kann, wie der Abend ausgehen wird, stehe ich unter Strom. Shervin habe ich nichts von der Auseinandersetzung mit meiner Oma erzählt, da ich weiß, wie er reagieren wird. Er wird ihr Recht geben, was in meinen Augen der größte Schwachsinn überhaupt ist.

>Wir fahren jetzt los, tu mir einen Gefallen und fall bitte nicht vor Aufregung um. Danke<, lese ich seine Nachricht mit einem Grinsen.
>Du Spinner<, antworte ich und hoffe, dass meine Nachricht ihn auch zum Grinsen bringen kann. Dass ich ihn auch so glücklich machen kann, wie er es bei mir tut.

Doch die Realität holt mich schnell ein, denn der Gesichtsausdruck meiner Oma ist eisern.
"Verdirb mir diesen Abend bitte nicht", spreche ich zu ihr, versuche mich zu zügeln, denn eigentlich will ich sie gar nicht dabeihaben.
Ich weiß, dass sie unberechenbar sein kann und das lässt mich unter Strom stehen.
"Wenn eure Liebe so stark ist, wie du meinst, dann kann euch nichts trennen, selbst meine Worte nicht. Entweder traust du eurer Liebe oder ihm nicht."
"Ich traue dir nicht." Ihre Lippen werden von einem Lächeln umspielt.
"Hör auf dich selbst anzulügen, Mediha."
"Mama, es reicht. Mediha hat Recht, nimm dich zurück. Wenn meine Tochter heute Abend traurig werden sollte, dann werde ich unangenehm."
Meine Oma will erneut zum Sprechen ansetzen, doch schüttelt sie ihren Kopf und belässt es dabei.

Als es an der Tür klingelt, hole ich tief Luft, schicke ein Stoßgebet gen Himmel, damit dieser Abend nicht eskaliert und öffne dann mit einem Lächeln die Tür.
Vor mir stehen Shervins Eltern, hinter ihnen Feryal mit ihrer kleinen Familie und ganz hinten Shervin auf Krücken. Dieser Anblick wundert mich nicht. Viel eher hätte es mich gewundert, wenn er heute im Rollstuhl hergekommen wäre.

Als er die Wohnung betritt, reicht er mir die wunderschönen Blumen, die er in seiner Hand hält mit einem Zwinkern. Wie eine Verrückte vor Glück grinsend nehme ich sie ihm entgegen und wispere ein leises und etwas beschämtes Danke.

Nachdem alle im Wohnzimmer Platz genommen haben, fängt ein kurzer Smalltalk an. Meine Mutter wirft mir immer wieder beruhigende Blicke zu und ich bin ihr so unfassbar dankbar dafür.
Daphne sorgt mit ihrer quirligen Art für viel Aufmerksamkeit und Gelächter, weswegen ich auch für ihre Anwesenheit unfassbar dankbar bin.

Auch nach dem Abendessen läuft alles gut, so dass ich langsam wirklich zur Ruhe komme. Dieser Abend wird nicht eskalieren. Nicht in einer Katastrophe enden.
"Wir haben Medihas Vater leider sehr früh verloren", kommt es dann mit einem Mal über die Lippen meiner Oma und das Blut in meinen Adern gefriert. Ich weiß, dass sie nun keinen Gang zurückschalten wird.
"Erst ist er im Rollstuhl gelandet, konnte manchmal noch auf seinen Krücken gehen", ihre Blicke liegen auf Shervins Krücken. Die Message dahinter kommt an. Mit einem Mal steht der ganze Raum unter Strom. So sehr, dass man die gesamte Stadt mit Strom versorgen könnte.
"Wenig später war er dann querschnittsgelähmt. Sowas ist natürlich nicht leicht. Das war es weder für meine Tochter noch für Mediha. Meine Tochter hat sich für dieses Leben entschieden, doch Mediha verdient ein sorgloses Leben. Sie war sehr klein als sie diese schwere Zeit miterlebt hat, deswegen verdient sie es glücklich zu sein. Sie soll nicht erneut so viel Schmerz erleben." Der letzte Satz klingt wie eine Warnung.
Ich spüre wie meine Tränendrüsen anfangen auf Hochtouren zu arbeiten, meine Augen brennen und es fällt mir so verdammt schwer nicht zu weinen. Ich will zu Shervin blicken, ihm mit meinen Blicken klarmachen, dass ich all das nicht so sehe, dass ich ihn liebe und an seiner Seite so glücklich bin wie noch nie. Doch traue ich mich nicht. Zum einen will ich nicht, dass er sieht, dass ich kurz vor dem Heulen bin. Auf der anderen Seite will ich die Verletztheit in seinen Augen nicht sehen. Denn wenn ich das sehe, genügt ein Blick zu ihm und ich werde meine Tränen nicht zurückhalten können, dem bin ich mir sicher.
Ich höre wie meine Mutter tief durchatmet und dann zum Reden ansetzt: "Ein Glück, dass Shervin Mediha so glücklich macht. Die beiden wurden förmlich füreinander erschaffen."
Shervins Mutter hastet meiner bei, auch Feryal mischt sich in das Gespräch ein, somit wird das Thema ziemlich schnell unter den Teppich gekehrt.

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