22. "Willkommen in meiner Realität"

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"Liebe heißt nicht, dass es einfach ist.
Liebe heißt, dass es die Mühe wert ist."

Das verschmitzte Grinsen auf Shervins Lippen hat so eine starke Aussagekraft, dass er gar nicht reden muss, damit ich ihn verstehe.
"Komm, sprich es ruhig aus", sage ich dennoch ebenfalls glücklich grinsend.
"Ich habe nichts zu sagen."
"Ist klar."
"Ich hatte es dir gesagt", kommt es dann über seine Lippen.
Das Essen bei seinen Eltern verlief total entspannt, wir hatten gute Gespräche, nie entstand eine unangenehme Stille. Und ich habe das Gefühl, dass seine Eltern mich mögen. Oder zumindest keine Abneigung mir gegenüber empfinden. Das ist auf jeden Fall schon mal ein sehr guter Anfang.
"Ich weiß und du hattest auch mit deinen Worten Recht."
"Natürlich habe ich Recht."
"Hallo Shervins Ego!"
Über meine Worte verfällt er in Gelächter.
"Ich glaube, deine Eltern können mich leiden."
"Leiden? Sie mögen dich, Mediha, zweifel keine Sekunde daran. Bei eurem nächsten Treffen wird meine Mama dich vermutlich ins Herz geschlossen haben."
"Meinst du?", frage ich ein Ticken zu aufgeregt.
"Ja. Aber viel wichtiger ist es doch, was ich über dich denke."
"Du bist mein größter Fan, darüber brauchen wir gar nicht reden."
"Hallo Medihas Ego!"
"Hey, du kannst nicht meine Worte stehlen!"
"Habe ich aber getan."
"Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns wie zwei kleine Kinder benehmen, die in einem Wettstreit miteinander sind."
Das Schmunzeln auf seinen Lippen verrät mir, dass es ihm nicht anders geht. Dass ihm diese lockere Atmosphäre gefällt.
"Ist das denn etwas schlechtes?"
"Nein, kein bisschen. Ganz im Gegenteil, ich finde es sogar schön."
Er nickt, ein zustimmendes Nicken.

"Gute Nacht, schlaf schön", spricht er, als er vor unserem Wohnblock anhält.
"Dankeschön, du auch", lächele ich ihn an und steige dann aus dem Auto, da ich weiß, dass er warten wird, bis ich im Wohnblock bin, beeile ich mich, schließe die Tür auf, drehe mich zu ihm, winke ihm wie ein kleines Kind zu und betrete dann das Treppenhaus.

"Was machst du noch hier?", frage ich Afra überrascht, als ich sie in unserem Wohnzimmer neben meiner Mutter erblicke.
"Wollte mir nicht übers Handy anhören, wie der Abend verlief. Werde bei euch übernachten."
"Du gibts Majid nur noch mehr Gründe, damit er mit seinen Geburtstagswünschen übertreibt. Ich gehe schnell meine Hände waschen, dann bin ich bei euch."
"So wie es scheint, war der Abend gut, sonst hätte sie nicht so gute Laune", höre ich meine Mama zu Afra sprechen.
"Das habe ich gehört!", rufe ich, während ich meine Hände einseife.
"Das sollte auch kein Geheimnis sein!", entgegnet sie mir.
Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, schminke ich mich noch schnell ab und laufe dann ins Wohnzimmer zu den beiden. Obwohl ich geplant hatte mich zwischen die beiden zu quetschen, unterlasse ich es, denn Afra hasst es, wenn sie einem beim Reden nicht ins Gesicht schauen kann.

Am nächsten Tag kriege ich gegen Mittag einen Anruf von Shervin.
"Hat mich da jemand etwa vermisst?", frage ich grinsend.
"Da hat jemand aber sehr gute Laune", bemerkt er, lässt meine Frage jedoch unbeantwortet.
"Hatte gestern einen schönen Abend."
"Das freut mich."
"Du willst mir etwas mitteilen?", frage ich etwas unsicher, weil ich nicht genau weiß, warum er mich angerufen hat.
"Daphne will erneut mit mir auf den Weihnachtsmarkt, würdest du mitkommen wollen?"
"Gerne. Dann wäre auch die letzte Hürde geschafft."
"Das wird aber die schwerste Hürde sein."
"Ich glaube, das kriege ich hin."
"Wir holen dich dann in zwei Stunden ab, passt das?"
"Ja klar, ich freue mich schon."
"Darauf die kleine Hexe endlich kennenzulernen?"
"Unter anderem."
"Unter anderem? Worauf freust du dich denn noch?"
"Wieder Zeit mit dir verbringen zu können."
Shervin sagt nichts dazu, doch weiß ich, dass seine Lippen im Moment von einem Lächeln geziert werden.
Der Ton, der in seiner Stimme mitschwingt, verrät mir, dass ich Recht habe: "Dann bis in zwei Stunden."
"Bis dann", trillere ich glücklich und lege dann auf.

Sobald ich Shervins Nachricht erhalte, gebe ich meiner Mama Bescheid, dass ich nun die Wohnung verlasse.
Am Auto angekommen, merke ich schnell, was Shervin meint. Denn auf dem Beifahrersitz sitzt seine kleine Nichte. Natürlich sitzt sie auf einem Kindersitz.
Also setze ich mich nach hinten und begegne auch schon direkt Shervins breitem Grinsen. Ich hatte es dir gesagt. Ein Augenrollen ist Antwort genug für ihn.
"Hallo Daphne, ich bin Mediha", spreche ich zu dem kleinen Mädchen, welches sich darauf zu mir umdreht und mich erstmal mustert.
"Hallo Mediha", spricht sie und dreht sich dann wieder nach vorne.
Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es liegt auf der Hand, dass sie Shervin nicht teilen will, was ich absolut verstehen kann.
"Daphne, willst du Mediha von deinen Süßigkeiten geben?"
Seufzend dreht sich die Kleine erneut zu mir um, doch hält sie nun Nimm 2 Kaubonbons in ihrer kleinen Hand.
"Gibt es eine Farbe, die du ganz besonders magst?", frage ich sie.
"Die hellroten, weil sie nach Erdbeeren schmecken. Ich liebe Erdbeeren!"
"Dann nehme ich mir das gelbe, ist das okay für dich?"
Es bildet sich ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen und sie nickt sofort.
Aus dem Rückspiegel sehe ich Shervins anerkennenden Blick. Du bist auf dem richtigen Weg.
Ich blicke ihm triumphierend in die Augen. Ich hatte es dir gesagt.
Seine Mundwinkel zucken in die Höhe und er schüttelt den Kopf.

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