"Eure Taten sollen eure Denkmäler sein."
"So, erzähl mir jetzt davon", spricht meine Schwester voller Neugier. Ich versuche erst gar nicht so zu tun, als ob ich nicht wüsste, was sie meint. Feryal wird niemals lockerlassen, dennoch ist es ein Versuch wert.
"Es gibt nichts zu erzählen, Feryal."
"Bitte? Seit fast zwei Wochen strahlst du vor Freude und da willst du mir weismachen, dass es nichts zum Erzählen gibt? Ich bitte dich, Shervin. Ich habe genug Geduld gezeigt, rück jetzt sofort mit der Sprache raus!"
Verzweifelt fahre ich mir übers Gesicht.
"Warum musst du nur so anstrengend sein? Kannst du nicht einfach Ruhe geben?", jammere ich wie ein kleines Kind.
"Ich kann auch Mama holen?"
"Wir sind keine kleinen Kinder mehr."
"Dann benimm dich dementsprechend und rück mit der Sprache raus."
"Egal wie sehr ich dich liebe, manchmal denke ich, dass Gott uns zu Geschwistern erwählt hat, um mich mit dir zu bestrafen."
Meine Worte lassen meine Schwester natürlich kalt."Wann stellst du sie uns vor?", fragt sie gespannt, nachdem ich mit meiner Erzählung fertig bin.
"Mach mal halb lang."
"Shervin, sie macht dich glücklich. Worauf wartest du?"
"Es hat noch seine Zeit." Meine Schwester will zum Reden ansetzen, doch schüttele ich sofort meinen Kopf.
"Nein Feryal, hör auf damit. Ich weiß ganz genau, was jetzt kommt. Ich werde sie euch schon vorstellen, aber ich brauche Zeit."
"Das weiß ich, ich habe vollstes Vertrauen in dich. Ich mache mir Sorgen um dich, das ist alles."
"Brauchst du nicht. Mediha wird mich nicht im Stich lassen."
"Oh, daran zweifele ich keine Sekunde, glaub mir!"
"Du zweifelst also an mir?", ziehe ich sie auf.
"Eher an deinem Sturkopf", grinst meine Schwester mich an.
"Der sollte dir wirklich Angst machen."
Grinsend drückt sie mir einen Kuss auf die Wange und erhebt sich.
"Ich schaue schnell mal bei Mama vorbei, danach gehe ich auch schon. Daphne bringe ich dann am Abend vorbei, damit sie bei dir übernachten kann. Das passt dir wirklich oder?"
"Natürlich. Für meine kleine Prinzessin habe ich immer Zeit, das weißt du doch."
"Okay, dann mache ich mir einen schönen Abend mit meinem Ehemann."
"Mein armer Schwager, wer weiß, was du schon wieder planst."
"Während du dich um die Hexe kümmerst, werden wir uns einen schönen Film im Kino anschauen und danach noch in ein Restaurant gehen. Wird also ganz entspannt. Bisschen die Zweisamkeit genießen. Das solltet ihr auch tun, wenn ihr verheiratet seid und Kinder habt. Man verliert sich in seiner Rolle als Elternteil und vergisst, dass man noch einen Ehepartner hat."
"Feryal, die Eheberaterin. Bei Problemen erreicht ihr sie unter der Numm-" "-hey! Hör auf dich lustig über mich zu machen, das sind ganz wichtige Tipps! Du wirst mir später verdammt dankbar dafür sein."
"Ist okay Feryal, ist okay. Geh zu Mama und lass mich bitte endlich alleine."
"Du undankbares Ding."
"Seit drei Tagen quälst du mich, damit ich dir etwas erzähle. Wie gesagt, ich liebe dich, aber ich habe die Schnauze voll."
"Pff", spricht meine Schwester, wirft sich die Haare hinter den Rücken und wendet sich von mir ab, während ich das Ganze mit einem Grinsen beobachte."Komm rein Bruder", sage ich die Tür meinem besten Freund öffnend. Samir ist etwas später dran, als er mir versprochen hat. Das ist ungewöhnlich für ihn, denn wie für mich ist auch für ihn die Pünktlichkeit sehr wichtig.
"Sorry, bin ne halbe Stunde zu spät."
"Alles gut, setz dich", sage ich an den gedeckten Tisch deutend.
"Hat deine Mama gekocht?"
"Merkt man das so sehr?"
"Nimm es mir nicht übel Shervin, du kannst echt gut kochen, aber das Essen deiner Mutter kann man nicht übertreffen."
Ich lache über seine Worte, versuche gar nicht erst zu entgegnen, denn im Grunde weiß ich, dass er Recht hat."Was ist geschehen?", frage ich Samir, nachdem wir gegessen haben. Er hat weniger gegessen als sonst, hinzukommt, dass er nicht bei Laune ist.
"Egal", spricht er mit seiner Hand eine Bewegung machen.
"Samir, du bist mein Bruder."
Er holt tief Luft und öffnet den ersten Knopf seines Hemdes, so als ob er sonst ersticken würde. Und ich sehe, dass er genau das eigentlich tut. Nicht körperlich aber seelisch. Seine Seele erstickt. Und es gibt nur eine Sache, die Samir so mitnimmt, weswegen sich meine Hände sofort zu Fäusten ballen, während mein Kiefermuskel sich anspannt.
"Ich hatte eine unglückliche Begegnung", spricht er lachend. Doch hinter seinem Gelächter steckt bitterer Schmerz, der im Moment zum Greifen nah ist.
"War es Absicht?", frage ich wütend.
Voller Verzweiflung fährt er sich durch das Haar.
"Ich weiß es nicht."
"Wollte sie mit dir sprechen?"
Er nickt und innerlich verfluche ich sie dafür. Denn sie hat mehr als nur genug kaputt gemacht in seinem Leben.
"Hast du es zugelassen?"
"Nein. Was haben wir uns denn noch zu sagen? Was soll ich sagen? Wegen ihr habe ich seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Eltern. Soll ich sie mit der Konsequenz ihrer Tat konfrontieren? Und wenn, was ändert das?"
"Du hättest ihnen damals die Wahrheit sagen müssen", spreche ich die Worte aus, vor denen er flieht.
"Sie hat es nicht anders verdient, sagst du?"
Ich schweige, denn ich weiß, sobald ich spreche, werden unschöne Worte meine Lippen verlassen. Doch ebenso ist es eine Wahrheit, dass Samir all das nicht verdient hat. Nur um seine Ex-Verlobte zu schützen, hat er seinen Eltern die Wahrheit verschwiegen und somit diesen Streit in Kauf genommen. Doch sind sie nicht die Einzigen, die so über ihn denken, jeder gibt ihm für alles die Schuld, unwissend, dass er keinerlei Schuld trägt. Außer mir weiß das niemand. Ich bin der Einzige, mit dem er darüber gesprochen hat.
"Du hast Recht, sie hat es nicht anders verdient. Aber ich habe diese Frau geliebt, deswegen hätte sich das nicht gehört."
"Du hättest nicht gelogen, Samir. Lediglich die Wahrheit gesagt."
"Lass uns einfach das Thema beenden. Erzähl du mir lieber, wie es jetzt mit Mediha läuft."
Es wird nichts bringen meinem besten Freund versuchen zu erklären, dass er das Gift in sich rauslassen muss. Samir muss mit der Konsequenz seiner Entscheidung leben, so wie wir es alle tun müssen, sobald wir eine Entscheidung treffen. Denn eigentlich entscheiden wir uns nicht für oder gegen etwas, sondern für oder gegen die Konsequenz unserer Entscheidung.
So erzähle ich meinem besten Freund von meiner Entscheidung und somit auch der Konsequenz dieser Entscheidung."Wir wissen, was wir übereinander denken. Was wir fühlen. Es hat sich aber dadurch nicht viel verändert. Wir verbringen in der Uni weiterhin viel Zeit, außerhalb haben wir uns nur ein einziges Mal getroffen. In dem Café, wo wir uns begegnet sind. Mit Mediha Zeit zu verbringen ist sehr unbeschwert. Die meiste Zeit über führen wir Deeptalks oder lachen miteinander. Mehr gibt es nicht zu erzählen."
Samirs Gesicht verzieht sich zu einem verschmitzten Grinsen.
"Natürlich nicht. Abgesehen davon, dass sie dich glücklich macht."
Ich kann es nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf meine Lippen schleicht.
"Das tut sie, aber das ist kein großes Geheimnis."
"Das ist gar kein Geheimnis. Selbst deine Mutter ist vor Glück außer Häuschen."
"Was?", frage ich irritiert, denn mit meiner Mutter habe ich über Mediha noch gar nicht gesprochen.
"Sie war gerade dabei das Haus zu verlassen, während ich kam. Sie hat mich auf die Seite gezogen und ermahnt, damit ich dir eintrichtere, dass du Mediha ja nicht gehen lassen sollst."
"Diese Frau", spreche ich den Kopf schüttelnd.
"Du hast ihr noch gar nichts erzählt oder?"
"Nein, aber das brauche ich ja auch nicht, denn meine geliebte Schwester übernimmt den Part für mich." Auf mein ironisches geliebte Schwester lacht Samir amüsiert, doch kurz darauf werden seine Gesichtszüge wieder ernst und gespannt warte ich auf seine nächsten Worte.
"Hast du ihr erzählt, dass du schon mal verlobt warst?"
Die Frage ist kein bisschen bösartig, das weiß ich, dennoch fühlt sie sich an wie eine Faust direkt in die Magengrube.
"Nein, über solche Themen haben wir noch gar nicht gesprochen. Ich will das Ganze zwischen uns nicht überstürzen."
"Das ist verständlich. Dennoch solltest du es ihr sagen, wenn ihr eine unglückliche Begegnung -wie ich sie heute hatte- haben solltet, wird es richtig unangenehm." Es entsteht eine kurze Stille zwischen uns, wir wissen beide, dass wir kurz in der Vergangenheit schwelgen.
"Dennoch ist es schön, dich endlich wieder so glücklich zu sehen. Wobei wenn ich es mir recht überlege, warst du noch nie zuvor so glücklich und friedvoll."
"Übertreib es nicht."
"Ich meine es ernst."
"Hoffentlich findest du auch bald jemanden, der dich so glücklich macht, Bruder."
"Lass mal stecken, ich habe meine Lehre bekommen."
Bevor ich etwas erwidern kann, klingelt es an der Tür, was Samirs fragenden Blick auf mich zieht.
"Feryal wollte Daphne vorbei bringen", sage ich nach meinen Krücken greifend. Er will aufstehen, um die Tür zu öffnen, doch sage ich ihm, dass er sitzen bleiben soll, da ich mit meiner Schwester noch ein Hühnchen zu rupfen habe."Shervin", kreischt meine kleine Nichte, sobald ich die Tür geöffnet habe und klammert sich an meine Beine.
"Musst du kleine Hexe immer so laut schreien?", frage ich sie mit verzogenem Gesicht. Meine Worte bringen sie lediglich zum Kichern.
"Hast du Besuch?", fragt sie mich dann, auf die fremden Schuhe vor der Tür deutend.
"Ja."
"Ist Samir da?", fragt sie mich mit großen Augen und bevor ich antworten kann, ertönt auch schon das tiefe Gelächter meines besten Freundes vom Wohnzimmer.
Das sorgt dafür, dass Daphne nun Samirs Namen kreischend ins Wohnzimmer rennt.
"Viel Spaß noch", lacht mein Schwager mir den pinken Prinzessinnen-Rucksack meiner Nichte reichend.
"Danke, das werden wir bestimmt haben." Ich schaue an ihm vorbei, wo ich vor der Haustür seinen Wagen erblicke, meine gerissene Schwester sitzt natürlich drin.
"Richte deiner Ehefrau aus, dass sie mir so leicht nicht davonkommt."
"Was hat sie schon wieder gemacht?"
"Mich bei meiner Mutter verpetzt."
"Dann kann ich dich beruhigen, denn Daphne zahlt ihr das zehnfach heim." Auf seine Worte muss ich grinsen.
"Sie ist ja auch meine Nichte", spreche ich stolz.
"So eine selbstverliebte Familie", erwidert er lachend, verabschiedet sich von mir und läuft zum Auto, während ich die Haustür schließe.Hoffentlich hattet ihr viel Spaß beim Lesen meine lieben Zuckermenschen!❤
Eure Verâ
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MS
Romance"Die größte Blockade ist im Denken und Fühlen der Menschen verankert." Diese Worte würden mich prägen wie sonst keine, doch ihr Ausmaß hätte ich mir niemals erdenken können. Offizieller Start: 27.05.2019/2020 Offizielles Ende: noch laufend