4. Arroganz und Ignoranz

525 44 13
                                    

"Die Schönheit und die Hässlichkeit sind ein Trugbild, da die anderen am Ende immer in unser Inneres schauen."
- Frida Kahlo

Am Nachmittag sitze ich im Seminar zur Pädagogischen Anthropologie. Obwohl wir im ersten Semester die Vorlesung dazu hatten, habe ich keine Ahnung, worum es geht. Denn die Vorlesung war immer montags von 17:30-19:00 Uhr, ich wäre hingegangen. Ich wäre wirklich hingegangen, wenn die Professorin ein erträglicher Mensch gewesen wäre.
Doch sie hatte ihre Regeln; Wir durften in der Vorlesung unsere Handys nicht benutzen, das verstand ich einigermaßen noch. Vielleicht war ihr der Respekt wichtig. Als nächstes durften wir nicht essen. Auch das verstand ich einigermaßen, denn es gab wirklich Leute, die ihre Burger und Pommes von Fast-Food-Ketten auspackten und anfingen diese in der Vorlesung zu essen. Der Gestank davon war unerträglich.
Doch ihre letzte Regel -die niemand, wirklich niemand von uns nachvollziehen konnte- war das Trinkverbot. Und damit waren nicht -nur- alkoholische Getränke gemeint, sondern Wasser. Somit hatte sie sich direkt in der ersten Vorlesung schon ins Aus geschossen.

In der zweiten Vorlesung war deswegen nicht mal die Hälfte von uns anwesend und in der dritten Vorlesung waren es, wenn es hochkam 50 und danach... Tja, das wusste ich nicht, denn ich hatte nur die ersten drei Vorlesungen besucht, denn sie las nur von ihren Folien ab und ihre Stimme war die Monotonie selbst. So dass man zu dieser späten Stunde, wo es im Winter auch noch dunkel ist, müde wurde.
Doch hatte ich in der WhatsApp-Gruppe unseres Semesters gelesen, dass die Anzahl der Anwesenden danach auf 20 und sogar auf 10 geschrumpft war.
So schnell kann man sich also bei Studenten unbeliebt machen. Und so viel zum Thema; in der Uni sind die Professoren irrelevant. Wie gesagt, das ist eine riesen große Lüge, die ich so nie unterschreiben würde.

Ich sitze nun überpünktlich in dem Seminarraum. Je mehr Minuten vergehen, umso voller wird der Raum. Fünf Minuten nachdem unsere Dozentin den Raum betreten hat, klopft es an der Tür, weswegen sich alle Blicken in diese Richtung drehen. Im nächsten Moment erfüllt Shervin mit seiner Präsenz den Raum.
Kurz erschlägt es mich, denn ich habe wirklich das Gefühl, dass der ganze Raum von ihm eingenommen wird.
Erst als unsere Dozentin wieder anfängt zu reden -nachdem sich Shervin für sein Zuspätkommen entschuldigt hat- kann ich meine Konzentration wieder auf sie lenken. Auch sie erwartet von uns, dass wir eine Einheit gestalten. Ich merke ziemlich schnell, dass das ein verdammt hartes Semester wird, denn in jedem Seminar, welches ich habe, muss ich eine Seminareinheit gestalten. Dieses Mal verlangt unsere Dozentin, dass wir verschiedene Methoden für unsere Einheit verwenden. Ich habe keine Ahnung, wirklich absolut keine Ahnung, was sie damit meint. Doch um es uns verständlicher zu machen, hat sie für die Gruppenarbeit, die sie vorbereitet hat auch schon eine Methode zur Gruppeneinteilung geplant.
Jeder von uns zieht ein Kärtchen und sobald alle eins haben, sagt sie, dass wir uns in Gruppen zusammenfinden sollen.
"Wer ist bei der Gruppe Meier?", höre ich eine Kommilitonin rufen, weswegen ich meine Hand hebe, doch tun es alle anderen fast zeitgleich auch. Das sorgt kurz für Unverständnis, denn wir sollen vier Gruppen bilden.

"Wieso steht bei allen dasselbe drauf?", frage ich das Mädchen, welches neben mir sitzt, während ich meine Karte zu ihr hinschiebe. Als ihr Blick auf meine Karte gleitet, muss sie leicht lachen und zeigt mir ihre Karte. Ausgesprochen ist es derselbe Name, geschrieben nicht.
Denn auf ihrer Karte steht "Mayer", auf meiner "Meier".
Unser Unverständnis löst sich somit ziemlich schnell auf und wir kommen in vier Gruppen -Meier, Maier, Mayer, Meyer- zusammen. Ich habe zwar keine Ahnung, was diese Methode bezwecken soll, aber vielleicht muss ich das auch gar nicht verstehen. Denn um ehrlich zu sein, finde ich die ganzen pädagogischen Kennenlernmethoden und desgleichen, die seit dem ersten Semester in jeder ersten Einheit eines jeden Seminars stattfinden, schwachsinnig. Ich erblicke den tieferen Sinn dahinter nicht. Wir sind keine Schulklasse, die jeden Tag mindestens sechs Stunden miteinander verbringt. Wir sehen uns in der Konstellation, wie wir in einem Seminar sind, nur in diesem Seminar wieder. Somit sehen wir uns in der Konstellation nur einmal die Woche für anderthalb Stunden. Deswegen macht es in meinen Augen absolut keinen Sinn, dass wir uns alle kennen. Die Namen meiner Kommilitonen habe ich spätestens dann vergessen, wenn ich den Seminarraum verlasse. Wir sind nicht mal eine echte Zweckgemeinschaft, deswegen sind diese ganzen pädagogischen Übungen sinnfrei.

MSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt