39. innerer Eisberg

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"Çok saçma ulan çok saçma. Buradasın ama dokunamıyorum. İçim gidiyor sarılamıyorum. Çok saçma."
(Es ist so schwachsinnig, so verdammt schwachsinnig. Du bist hier, aber ich kann nicht nach dir greifen. Mein Inneres schmerzt. Es ist so schwachsinnig.)
- Suskunlar


>Kann ich bei dir vorbeikommen?<, lese ich die Nachricht von Afra, während mich das ungute Gefühl packt. Sie ist niemand, der einem spätabends so eine Nachricht schreiben würde.
>Klar! Ist bei dir denn alles in Ordnung?<
>Nein, aber ich werde dir alles erzählen, sobald ich da bin.<
>Muss ich mir Sorgen um dich machen?<
Sie sieht meine Nachricht, fängt an zu schreiben, doch löscht dann alles wieder.
Im selben Moment klingelt es an der Tür und Shervin sieht überrascht auf. Natürlich hat er nicht damit gerechnet, selbst ich habe nicht damit gerechnet. So wie es aussieht, war sie schon vor der Tür, bevor ich ihr geantwortet habe.
Das zeigt mir erneut den Ernst der Lage. Was wäre gewesen, wenn ich sie abgewiesen hätte?
Mit einem Mal durchzuckt es mich und ich spüre Schmerz in mir.
"Afra wollte vorbeikommen", teile ich also meinem Ehemann schnell mit und sprinte wortwörtlich zur Tür.

Als ich diese öffne, erblicke ich eine am Boden zerstörte Afra, was mir die Luft zum Atmen verschlägt. Wo ist das Mädchen, das ständig jeden zum Lachen bringt? Was ist nur mit ihr geschehen? Ich habe sie in den 15 Jahren, die wir nun miteinander befreundet sind, nicht so fertig gesehen. Natürlich hatte auch sie immer wieder mal Sorgen, doch sie ist eine Künstlerin darin diese zu verbergen.
"Afra?", frage ich sie behutsam, worauf sie ein schmerzvolles Lächeln zustande bringt.
"Sorry, dass ich euch so spät noch störe."
"Hör auf rumzuspinnen! Du weißt, dass du jederzeit willkommen bist, komm rein", spreche ich von der Tür tretend, um sie reinzulassen.
"Eigentlich wollte ich nach deiner Antwort noch warten, aber-" sie hält inne und atmet tief durch, so als ob ihr das Atmen zur Last fällt.
"Das ist kein Problem, glaub mir!"
"Komm erstmal rein", spreche ich und bemerke, dass sie trotz eisigem Wetter keine Jacke anhat.
"Bist du gelaufen?", frage ich, während es mir den Rücken eiskalt runterläuft. Es ist Winter und das Wetter eisig.
Sie nickt mit einem gebrochenen Lächeln und meine Angst wird nur noch größer, denn sie ist schon immer eine Frostbeule, hat gefühlt einen inneren Eisberg. Zieht sich im Winter Schicht über Schicht an und vermummt sich, wenn sie rausgeht. Dass sie nun mitten im Winter nur einen Strickpulli anhat, zeigt mir, wie ernst die Lage ist.

"Hey Afra. Wie geht-", will Shervin sie begrüßen, doch bricht er ab. Afras Lippen werden von einem Lächeln umziert, doch es ist keins, was aus Herzem kommt. Sie zeigt uns lediglich, dass sie nicht mal mehr die Kraft dazu hat, zu verbergen wie beschissen es ihr geht. Und es zerbricht mich. Zerbricht mich, denn das Mädchen vor mir ist eine Verbergungskünstlerin. Sie kann ihre Sorgen perfekt verbergen, hat Masken, die einfach perfekt sitzen. Nur jemandem, der ihr sehr nahe steht, gewährt sie durch ihre Augen einen Einblick in ihre Seele. Aber dieses Mädchen hier ist ganz sicher nicht meine Freundin.
Shervins Blicke gleiten zu mir und ich sehe, wie selbst er hart schluckt.
"Ich lasse euch dann mal alleine", kommentiert er die Situation leise.
"Tut mir leid, dass ich störe", entschuldigt sich meine Freundin erneut.
"Das tust du nicht, ich wollte jetzt schlafen gehen, habe morgen einen anstrengenden Tag vor mir. Mach dir keinen Kopf drum", spricht er und versucht dabei zu lächeln, doch es fällt ihm bei Afras Anblick sichtlich schwer.
"Gute Nacht", wispert meine Freundin, worauf Shervin unbeholfen nickt und einfach nicht weiß, was er erwidern soll. Als unsere Blicke sich treffen, beiße ich mir ebenfalls unbeholfen auf die Unterlippe. Er nickt und verschwindet dann aus dem Wohnzimmer.

"Willst du was trinken?", frage ich das Mädchen, welches vor Kälte knallrote Finger hat. Sie schüttelt den Kopf.
"Auch keinen Kaffee?" Leicht lächelt sie und nickt dann.
"Ich bin gleich bei dir", gebe ich ihr Bescheid und laufe in die Küche, wo ich Shervin erblicke, der mich voller Sorge ansieht.
"Ist was Schlimmes passiert?", fragt er mich flüsternd.
"Ich weiß es noch nicht, aber ich habe das Gefühl, dass es eine Herzensangelegenheit ist", antworte auch ich im Flüsterton.
"Scheint ziemlich schmerzhaft zu sein." Ich nicke, während ich die Kaffeemaschine betätigteund dann wieder zu Shervin sehe, welcher seine Stirn in Falten gelegt hat.
"Auf unserer Hochzeit hatte sie aber keine Begleitung oder erinnere ich mich falsch?"
"Du erinnerst dich richtig, so viel ich weiß, gibt es auch niemanden in ihrem Leben."
"Dann wird das eine ziemlich schmerzvolle Nacht für euch beide." Ich nicke schwer, während er mich auf seinen Schoß zieht und mir einen Kuss auf das Haar gibt.
"Bleib stark, sie braucht gerade eine starke Schulter."
"Es tut weh, sie so zu sehen."
"Ich weiß, selbst in mir hat es fürchterlich gezogen."
Nachdem ich die volle Tasse durch eine Leere ersetze, drücke ich erneut auf den Knopf und verberge meinen Kopf in Shervins Halsbeuge, um Kraft von ihm zu schöpfen. Während dessen fährt er mir durch das Haar. Da der Kaffee fertig ist, drückt er mir erneut einen Kuss auf den Kopf und lässt mich dann frei.

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