"Die Kunst zu lieben besteht vor allem darin, sich nahe zu sein, ohne sich nahe zu treten. Sich täglich zu sehen, ohne alltäglich zu werden. Eins zu werden und doch zwei zu bleiben."
"Ich gehe duschen", teilt mir Shervin mit, weswegen ich lächelnd nicke und mich dann wieder dem Geschirr widme. Nach guten fünf Minuten mache ich mit großen Augen das Wasser aus.
Ich hatte den Hocker, welchen er immer benutzt, weggeräumt, weil ich geputzt hatte.
Schnell trockne ich meine Hände und laufe dann ins Badezimmer, wo ich an die Tür klopfe. Vielleicht ist es schwachsinnig an der Tür zu klopfen, dennoch will ich nicht einfach so reinplatzen."Ja?", höre ich seine Stimme gedämpft.
"Kann ich rein?", frage ich ihn dann, während ich mir auf die Unterlippe beiße.
"Ja", höre ich seine Stimme irritiert. Natürlich ist er irritiert! Vorsichtig öffne ich die Tür und betrete das Badezimmer. Shervin sieht mich fragend an, während er auf seinen Krücken steht. Er hatte gerade mal sein Oberteil ausgezogen.
"Ich wollte dir den Hocker geben", spreche ich und hole diesen hervor und stelle ihn in die Duschkabine. Mein Blick gleitet erneut zu ihm. "Kann ich dir helfen?", frage ich ihn, damit es ihn nicht unnötig viel Kraft kostet
"Helfen?", hakt er nach, weswegen ich zurückhaltend nicke. "Helfen!", kommt es von ihm, doch dieses Mal verächtlich lachend. "Wieso? Sehe ich in deinen Augen denn so hilflos und hilfsbedürftig aus?"
"Was?", frage ich total irritiert.
"Verschwinde Mediha!"
"Shervin, du verstehst das falsch, ich-" "-verschwinde, habe ich gesagt!", brüllt er, weswegen ich mit einem gebrochenen Lächeln nicke und ohne Worte wieder aus dem Bad trete.Nachdem ich die Tür schließe, lehne ich mich an diese und versuche mich selber zu beruhigen.
Was hatte ich denn erwartet?
Seine Reaktion ist verständlich, ich kenne ihn doch, weiß, wie er ist. Abgesehen davon hat er sein Leben doch auch vor mir gemeistert. Tief einatmend laufe ich Richtung Haustür, wo ich mir meine Jacke und meine Hausschlüssel schnappe. Ich will nur für zehn Minuten raus und frische Luft schnappen. Einen klaren Kopf kriegen, damit dieser Streit nicht eskaliert.
Im selben Moment erinnere ich mich an die Worte meiner Mama: "Eine Ehe heißt Rücksicht. Es wird Tage geben, wo einer von euch unerträglich sein wird, ihr müsst Rücksicht an diesen Tagen aufeinander nehmen. So wie man seine Launen nur Zuhause gegenüber seinen Eltern oder Geschwistern rauslässt, so läuft das auch in einer Ehe, Mediha. Und wenn jemand von euch Feuer ist, muss der andere Wasser sein. Streitereien werden immer zustande kommen. Wichtig ist es, dass ihr diese Dinge nicht an die große Glocke hängt, den Respekt wahrt und an eurer Liebe haltet. Alles andere wird vergehen, glaub mir."
Tief seufze ich und verstehe nun die Worte meiner Mutter. Nie hätte ich gedacht, dass diese Worte mir wirklich helfen würden, ich weiß nun, wie ich handeln muss. Einfach nur die Ruhe bewahren und versuchen Nachsicht mit ihm zu haben.Gerade als ich aus der Gartentür trete, sehe ich, wie meine Schwiegereltern mit Einkaufstüten in meine Richtung kommen. Schnell laufe ich zu den beiden und will ihnen einen Teil der Tüten abnehmen, doch lassen sie es nicht zu. Meine Schwiegermutter stellt die Tüten vor der Haustür ab und sieht mir dann in die Augen.
"Geht es dir gut?", fragt sie mich besorgt, worauf ich mit einem erzwungenen Lächeln nicke. Ihre Blicke drehen sich zu ihrem Mann, welcher ihr verständnisvoll zulächelt. Danach sieht sie lächelnd zu mir.
"Ich glaube, dein Schwiegervater schafft es auch die Tüten alleine hochzutragen. Komm, lass uns einen Kaffee trinken gehen." Bevor ich etwas erwidern kann, hat sie sich schon bei mir eingehakt und fängt an zu laufen. Mir bleibt nichts anderes übrig als mich zu ergeben.Im Café angekommen, sehe ich mich um. Es ist sehr ruhig und die Tische sind weiter auseinander als gewohnt, so dass man ungestört reden kann. Nachdem wir die Bestellung aufgegeben haben, sieht sie liebevoll zu mir.
"Was hat mein Sohn schon wieder angestellt?", fragt sie mich, worauf ich lachen muss, denn so wie sie es betont, klingt es so, als ob Shervin ein kleines Kind sei
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MS
Romance"Die größte Blockade ist im Denken und Fühlen der Menschen verankert." Diese Worte würden mich prägen wie sonst keine, doch ihr Ausmaß hätte ich mir niemals erdenken können. Offizieller Start: 27.05.2019/2020 Offizielles Ende: noch laufend