"Tot werde ich sein, wenn ich nicht mehr höre, was mir einer von sich selbst erzählt."
- Elias CanettiDie ganzen Semesterferien über habe ich mich von Mediha ferngehalten, weil ich Zeit zum Überlegen gebraucht habe.
Obwohl mein Entschluss gefasst war, habe ich an dem Tag, an welchem wir uns im Café begegnet sind, gänzlich entschieden.
Wir saßen mit Samir schon eine Weile am Tisch, bis ich meine Tasse etwas verschoben habe und in dem Moment die Sonne auf den Tisch schien und ich -mit einem Mal zwei Buchstaben, welche in das Holz graviert waren- erblickte;
MS.
Diese Situation war so irrsinnig, dass ich mir das Gelächter natürlich nicht verkneifen konnte. Auf Samirs fragenden Blicke habe ich dann auf die beiden Buchstaben gedeutet. Auf unsere Initialen. Auf zwei Buchstaben, die so viel Bedeutung für mich tragen, weil sie so vieles erklären.
"Wenn das kein eindeutiges göttliches Zeichen ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Nicht nur dass wir sie in dem Café antreffen, jetzt auch noch das. Wenn du die Zeichen immer noch nicht erkennst, dann bist du echt dumm, mein Freund", hatte mein bester Freund gesagt.Samir hat Recht. Nichts in unserem Leben passiert einfach so ohne einen Grund. Alles hat einen tieferen Grund, ob wir diesen erkennen, liegt aber an uns. So hatte ich an diesem Tag die Bestätigung für mein Vorhaben bekommen, ich würde Mediha den Grund für den Rollstuhl nennen. Was sie dann mit dieser Information tun würde, war ihr überlassen, zumindest rede ich mir das immer wieder ein. Dabei weiß ich ganz genau, dass sie mich nicht fallen lassen würde. Dass sie bereit wäre diesen Kampf mit mir zu kämpfen, doch genau aus diesem Grund wollte ich sie die ganze Zeit aus meinem Leben raushalten. Doch wie man sehen kann, hat das kein bisschen geklappt, ich bin kläglich daran gescheitert.
Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich nicht direkt am ersten Tag nach den Semesterferien mich vor sie stellen und ihr von meiner Krankheit erzählen kann. Erst recht nicht dann, wenn ich mich über zwei Monate nicht bei ihr gemeldet habe.
Ich werde den richtigen Zeitpunkt abwarten, je nachdem wann dieser kommt.
Bevor ich mir weiterhin den Kopf darüber zerbrechen kann, klingelt es an der Tür, weswegen ich nach meinen Krücken greife und langsam zur Tür laufe.
"Shervin, ich habe dich sooo sehr vermisst!", quiekt meine kleine Nichte wie eine Verrückte und klammert sich an meine Beine, was mich zum Lachen bringt.
"Wir haben uns doch erst gestern gesehen."
"Trotzdem. Ich darf heute bei dir übernachten, das hast du versprochen."
"Ich erinnere mich daran, keine Sorge", lache ich und lasse es dann zu, dass meine Schwester ihre Arme um mich schlingt.Während wir im Wohnzimmer sitzen, merke ich, dass ich von meiner Schwester inspiziert werde, doch nimmt Daphne meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie will, dass ich ihr zuhöre, während sie von ihren spannenden Kindergartenerlebnissen erzählt und mir ständig durch den Bart fährt.
Daphnes Aufmerksamkeit hört erst auf, als meine Mutter in meinem Wohnzimmer steht. Meine kleine Nichte springt von meinem Schoß auf und rennt zu meiner Mutter, welche sie lachend in ihre Arme nimmt.
"Hast du Süßigkeiten für mich?", fragt die kleine Hexe mit einem zuckersüßen Lächeln.
"Lass uns mal oben nachschauen."
"Mama, ich bin oben bei Oma", gibt Daphne meiner Schwester Bescheid, so als ob diese das Gespräch nicht mitbekommen hätte.
"Daphne, wenn du zu viel isst, dann wird es die gesamte Woche nichts Süßes mehr geben, das weißt du." Auf diese Worte kehrt die kleine Hexe ihrer Mutter den Rücken, um Verstärkung von unserer Mutter zu bekommen.
"Mama bitte", spricht meine Schwester deswegen nun unsere Mutter an, welche leicht lacht.
"Keine Sorge, ich habe schließlich selbst zwei Kinder groß gezogen."
"Wir haben nie so viel Süßes essen dürfen, du hast meistens sogar extra nichts gekauft, damit wir es nicht essen und jetzt hast du immer etwas da", mische ich mich in das Gespräch ein.
"Sie liebt mich eben mehr", kommt es von Daphne, was meine Mutter laut zum Lachen bringt.
"Da habt ihr eure Antwort", spricht sie total stolz und drückt der kleinen Hexe einen Kuss auf die Hamsterbäckchen. Bevor sie mit ihrer Enkeltochter meine Wohnung verlässt, um über die Treppen innerhalb nach oben zu ihrer eigenen Wohnung zu gelangen, wirft sie meiner Schwester einen vielsagenden Blick zu. Es entgeht mir zwar nicht, doch da ich ihn nicht deuten kann, frage ich nicht danach.
"Ich mache uns Kaffee, bin gleich wieder bei dir", kommt es meiner Schwester über die Lippen, sobald die Haustür zufällt."Dankeschön", spreche ich, während ich nach der Tasse greife.
An Feryals Blicken merke ich, dass sie irgendwas loswerden will.
"Frag, was du fragen willst."
Sie holt tief Luft: "Du hast eine Entscheidung getroffen, siehst nun befreiter aus, dein Kopf ist nicht mehr so beschäftigt."
Meine Mundwinkel zucken kurz in die Höhe, ich mag es, dass meine Schwester mich so gut kennt -zumindest die meiste Zeit über. Feryal gibt mir Sicherheit und sie ist einer der Menschen, ohne deren Unterstützung ich heute nicht hier stehen würde. Ich hätte ganz sicher aufgegeben. Meine Schwester hat mich durch ihre positive und lebensfrohe Art wieder an das Leben gebunden, hat mir Gründe gegeben, um weiterzumachen.
"Und du willst jetzt wissen, welche Entscheidung ich getroffen habe?"
"Natürlich will ich das wissen!"
"Was ist, wenn ich es dir nicht sage?"
"Du wirst es mir aber sagen."
"Ach ist das so?"
"Shervin! Als deine ältere Schwester befehle ich es dir, mir davon zu erzählen." Auf ihre Worte breche ich in lautes Gelächter aus.
Die Mundwinkel meiner Schwester zucken in die Höhe und sie rückt noch ein Stückchen zu mir. Feryals warmen Finger landen auf meinen Lachfalten an meinen Augen, während ihre Lippen sich ebenfalls zu einem Lächeln formen.
"Du bist wieder glücklich", haucht sie, als ob sie von einem Wunder sprechen würde, sie holt tief Luft: "Du weißt nicht, wie viel ich dafür gebetet habe, um dich wieder so zu sehen."
Meine große Hand umgreift die kleine Hand meiner Schwester und ich drücke einen Kuss auf ihre Handinnenfläche.
"Werd jetzt ja nicht sentimental!", warne ich meine Schwester, worauf sie anfängt zu lachen und eine Träne ihr Auge verlässt, welche sie schnell wegwischt.
"Es tut mir leid, ich weiß, dass es die letzten Jahre sehr schwer für euch war." Meine Schwester schüttelt direkt ihren Kopf.
"Es braucht dir nicht leidtun, du kannst nichts dafür, Shervin. Es lag nicht in deiner Hand. Es ist zu viel in zu kurzer Zeit passiert und du musstest mit all dem fertig werden."
Da ich nicht über diese Themen reden will, lenke ich das Thema wieder in die eigentliche Richtung.
"Ich werde Mediha davon erzählen. Und was sie dann daraus macht oder damit macht, ist ihre eigene Entscheidung."
"Wir wissen beide, welche Entscheidung sie treffen wird."
"Sie muss diese Entscheidung aber nicht treffen, auch darauf bin ich vorbereitet."
"Sie wird aber diese Entscheidung treffen und du wirst glücklich werden. Wann wirst du mit ihr reden?"
"Weiß nicht. Wir hatten jetzt lange keinen Kontakt wegen den Semesterferien, da kann ich mich nicht direkt am ersten Tag vor sie stellen und ihr davon erzählen."
"Beeil dich aber ja! Wir sterben schon vor Neugier."
"Wir?", frage ich mit gehobener Braue und sehe, wie die Augen meiner Schwester groß werden.
Bevor sie mir antworten kann, denke ich kurz nach und schließe dann meine Augen.
"Du hast Mama davon erzählt."
"Ich hatte keine böse Absicht."
Meine Augenlider öffnen sich mit einem Mal und ich blicke meine Schwester giftig an.
"Feryal, wenn ich es hätte Mama sagen wollen, dann hätte ich das schon selbst getan."
"Sie hat sich Sorgen um dich gemacht. Du warst mal gut gelaunt, mal nicht. Ich hatte keine andere Wahl. Selbst Papa hat mich auf deine Launen angesprochen", verteidigt meine Schwester sich.
"Wer weiß, was du ihr alles erzählt hast und wie du übertrieben hast. Aber das erklärt auch ihr Verhalten in den letzten Tagen. Sie hat immer wieder versucht auf mein Handy zu schauen und hat regelrecht nach Indizien gesucht. Danke dafür, echt. Ich werde dir nichts mehr erzählen."
"Kein Problem, dann nerve ich Samir, bis er mir davon erzählt."
"Du bist eine erbarmunsglose Hexe."Die Unregelmäßigkeiten im Moment tun mir echt leid, ich hoffe, dass sich das in 2-3 Wochen wieder geregelt hat.
Ich hoffe, ihr hattet viel Spaß beim Lesen meine lieben Zuckermenschen!❤
P.S: ich habe die Initialen nicht selber in den Tisch geschnitzt, so verrückt bin ich noch nicht😂 letzte Woche saß ich mit einer Freundin in einem Café, habe dann diese Initialen auf dem Tisch entdeckt, das war ein schöner "Zufall" und eine gute Idee für das Kapitel🙈Eure Verâ
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MS
Romance"Die größte Blockade ist im Denken und Fühlen der Menschen verankert." Diese Worte würden mich prägen wie sonst keine, doch ihr Ausmaß hätte ich mir niemals erdenken können. Offizieller Start: 27.05.2019/2020 Offizielles Ende: noch laufend