"Zaman her yarayı sarsa hemşire olurdu
(Wenn die Zeit alle Wunden heilen würde, dann wäre sie eine Krankenschwester)"
Şanışer ft. Sehabe - KayıpAm nächsten Tag sieht man mir die Tränen der Nacht zuvor an, das weiß ich. Auch wenn ich versucht habe sie mit einem Concealer zu verdecken, Shervin wird sie sehen. Dieses Bewusstsein macht mir zu schaffen, ich will nicht, dass er das sieht. Habe Angst, dass meine Schwäche ihn abschrecken wird. An die Abwesenheit meines Vaters hatte ich mich gewohnt, sie hat mir nicht so sehr zu schaffen gemacht, wie sie es im Moment tut.
Ich bin mir bewusst, dass alles an Shervin mich an meinen Vater erinnert, obwohl beide vom Charakter her unterschiedlich sind und doch sind sie sich so unfassbar ähnlich.
Mich plagt die Angst, dass Shervin dahinterkommen könnte, sehen könnte, wieso ich im Moment so sehr um meinen Vater trauere. Wenn er mir das als Grund liefern würde, um den Kontakt mit mir abzubrechen, dann wüsste ich nicht, wie ich dagegen ankämpfen könnte.
Kurz überlege ich die Uni für heute sausen zu lassen, verwerfe die Idee im nächsten Moment, da dies Shervin nur noch mehr in Sorge bringen wird. Das führt mir seine Nachricht von gestern Abend immer wieder vor Augen.
Mir bleibt also nichts anderes übrig, als mich dem Ganzen geschlagen zu geben und zur Uni zu gehen.
Kurz überlege ich, ob ich meine Wimpern tuschen soll, um die Spuren der letzten Nacht zu retuschieren. Doch ist Shervin so aufmerksam, dass ich dadurch seine ganze Aufmerksamkeit nur noch mehr auf meine Augenpartie lenken würde und mein Plan somit nicht aufgehen würde.
Egal wie sehr ich seine Aufmerksamkeit schätze, macht sie mir im Moment zu schaffen."Guten Morgen", flöte ich, während ich mich neben ihn niederlasse.
"Morgen", spricht er mit einem Lächeln, doch ich sehe die Sorge dahinter. So wie es scheint, hat auch er schlecht geschlafen, denn es zieren dunkle Ringe seine Augen.
Obwohl wir beide so viel zu sagen haben, verfallen wir in ein tiefes Schweigen.
"Es tut mir leid, dass ich dich gestern in Sorge zurückgelassen habe. Das wollte ich nicht."
Ein mattes Lächeln schleicht sich um seine Lippen. Eigentlich ist es nur das Zucken seiner Lippen, es ist keine ernst gemeinte Mimik.
"Mir tut es leid, weil du dich nach meiner Beichte dazu gedrängt gefühlt hast, mir etwas über dich verraten zu müssen." Schnell schüttele ich den Kopf. Ich habe ihm nicht mal wirklich etwas anvertraut. Was wird nur, wenn er erfährt, wieso mein Vater gestorben ist? Woran er gestorben ist?
Mein Magen zieht sich schmerzvoll zusammen, ich weiß, dass ich ihm die ganze Sache so schnell wie nur möglich erzählen muss, dass es sonst in einer Katastrophe enden wird. Doch wenn sich Shervin die ganze Nacht den Kopf über meine gestrigen Worte und Lage zerbrochen hat, was wird er dann machen, wenn er die ganze Wahrheit erfährt?
Diese Gedanken sorgen dafür, dass mir speiübel wird.
"Ich habe mich nicht dazu gedrängt gefühlt, bitte schlag dir den Gedanken aus dem Kopf."
Bevor wir unser Gespräch fortsetzen können, beginnt der Dozent seine Vorlesung.
Da die Politikvorlesungen meine vollste Konzentration erfordern, finde ich keine Gelegenheit mir Gedanken über unser Gespräch zu machen. Was mir im Moment ziemlich gelegen kommt.
Erst Shervins Finger, welche meine Augenringe nachzeichnet, stört meine Konzentration. Seine Geste ist so behutsam, dass es fast schon wehtut. Doch genau deswegen ist er so behutsam, weil er mir nicht wehtun will. Mein Kopf dreht sich vorsichtig zu ihm, während meine Hand nach seinem Finger fasst, um unsere Hände miteinander zu verschränken. Seine Braue gleitet in die Höhe, worauf ich unschuldig mit den Schultern zucke. Dieses Mal schleicht sich ein echtes Lächeln auf seine Lippen und so als ob ich sein Spiegelbild sei, tun es meine Lippen seinen gleich.Nach der Vorlesung sitzen wir wie gewohnt in der Mensa. Shervin hatte vor unserer Vorlesung ein Seminar und muss gleich arbeiten. Während ich mein Seminar zur Entwicklungspsychologie im Erwachsenenalter erst nach der Vorlesung habe.
"Hast du am Freitag nach dem Training Zeit?", fragt er mich.
"Ja, warum denn?"
"Wollen wir dann essen gehen?" Die Überraschung, für die seine Worte sorgen, ist mir anzusehen, das kann ich an seiner amüsierten Haltung sehen.
"Soll das ein Date sein?"
"Wenn es dich glücklicher macht dem Ganzen einen Namen zu geben, kannst du das gerne so nennen."
Ich schüttele lachend meinen Kopf.
"Das nicht unbedingt, aber es wurde ja auch langsam Zeit. Seien wir ehrlich, die Uni-Mensa ist schließlich nicht der romantischste Ort", ziehe ich ihn auf.
"Du stehst also auf Romantik? Das hätte ich eher weniger gedacht." Obwohl diese Worte ernst gemeint sind, muss ich über sie lachen.
"Nicht wirklich. Ich gehöre nicht zu der Sorte Mädchen, die du mit Blumen und Kerzen um den Finger wickeln kannst. Tut mir leid, da musst du dir schon etwas anderes einfallen lassen."
"Schade und ich dachte, du wirst es mir ganz einfach machen." Amüsiert führe ich einen gefüllten Löffel in meinen Mund.
"Gut, dass ich dich zum Essen ausführen will, das ist nämlich etwas, was dich glücklich macht."
Ich kann mir mein Lachen nicht verkneifen.
"Sag's schon, sag mir, dass ich ein Arsch bin."
Theatralisch greife ich zu der Serviette und tupfe meine Lippen an dieser ab.
"Eine Lady macht sowas nicht", spreche ich dann in einem überaus ernsten Ton, doch fällt es mir schwer mein Gelächter zurückzuhalten.
"Eine Lady hört auch kein Deutsch Rap."
"Das ist unfair", spreche ich meine Arme vor der Brust verschränkend.
"Also, wann soll ich dich am Freitag abholen?"
"Wäre 20:00 Uhr zu spät für dich?"
"Nein, geht klar. Soll ich dich dann vom Verein abholen oder gehst du davor noch nach Hause?'
"Wenn ich nach Hause gehe, wird das Ganze viel zu spät."
Er nickt, doch bevor er sich verabschieden kann, wecke ich seine Aufmerksamkeit, in dem ich seinen Namen sage.
"Wann hast du nächste Woche Zeit?"
"Willst du mich auf ein Date einladen?", fragt er lachend.
"So in etwa." Seine Augenbrauen ziehen sich fragend zusammen.
"Meine Mama will dich kennenlernen", teile ich ihm mit. Das sorgt dafür, dass Stille entsteht, so dass ich denke, dass er seine Zunge verschluckt hat.
"Wenn du nicht willst, also dir das zu früh ist, dann versteh-", er unterbricht mich durch ein Kopfschütteln, "-nein, nein das passt schon. Das kam nur unerwartet. Aber ich nehme das Angebot gerne an. Wann habt ihr Zeit?"
"Ich dachte Dienstag, das ist der einzige Tag, an dem du nicht arbeitest. Aber wenn du einen anderen Tag bevorzugst, dann würde auch dieser gehen."
"Nein, Dienstag klingt gut."
"Dann sehen wir uns Freitag in der Vorlesung?"
"Ja und dann am Abend zu unserem Date."
Um mir mein dümmliches Grinsen zu verkneifen, beiße ich mir auf die Lippe und nicke dann. Shervin verabschiedet sich von mir, damit er nicht zu spät zur Arbeit kommt, während ich noch sitzen bleibe, um all das Geschehene zu realisieren.
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MS
Romance"Die größte Blockade ist im Denken und Fühlen der Menschen verankert." Diese Worte würden mich prägen wie sonst keine, doch ihr Ausmaß hätte ich mir niemals erdenken können. Offizieller Start: 27.05.2019/2020 Offizielles Ende: noch laufend