37. "Trotzdem"

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"Acılarla kederimi, sinirimi, öfkemi
Üzülürsün diye senden gizledim
(Damit du nicht traurig wirst, habe ich
meinen Schmerz, meinen Kummer, meine Wut,
vor dir geheim gehalten)"
Yener Çevik - Senden gizledim

Nach seinem letzten Fieberwahn waren nun fast drei Wochen vergangen, doch trage ich die Angst, die ich verspürt habe immer noch mit mir, weil ich sie nicht hatte freilassen können. Außenstehende würden diese Angst und Bedenken nicht verstehen. Doch ich hatte Angst gehabt, Angst dass mit dem Fieber ein irreparabler Schub folgen würde. Ein Schub, der ihm das Leben kosten würde. Seit diesem Tag benehme ich mich fast schon paranoid, gehe an jeden Anruf von Shervin panisch ran. Allein bei kleinsten Verspätungen seinerseits verfalle ich in krankhafte Sorge. Doch ich habe Angst. Habe Angst ihn zu verlieren. Es schmerzt, schmerzt so sehr, dass ich kurz davor bin den Verstand zu verlieren.

Es sind fünfzehn Minuten her, dass er das Haus verlassen hat und ich weiß, dass das die Möglichkeit ist um all meinem Schmerz freien Lauf zu lassen.
Ich steige in meinen Wagen und fahre raus aus der Stadt in den Wald, zu meinem Glück ist das Wetter regnerisch, so dass ich vermutlich ungestört sein würde. Während ich zum Wald fahre, laufen mir die Tränen schon stumm runter, doch das reicht mir noch nicht, es ist nicht genug.

Nachdem ich das Auto parke, laufe ich in den Wald rein, benutze mit Absicht nicht den Waldweg. Während ich reinlaufe, laufen meine Tränen auch schon wie verrückt.
Als ich das Gefühl habe tief genug drin zu sein, allein genug zu sein und als meine Tränen so schnell fließen, dass ich nichts mehr sehe, lasse ich mich mit einem Mal auf meine Knie fallen. Sobald ich auf den Knien lande, fange ich an schluchzend zu weinen. Weine, weine und schluchze, doch auch das lindert meinen Schmerz nicht, so dass ich irgendwann anfange zu schreien und fluchen. Wie lange ich da auf meinen Knien sitze, die Erde unter mir zerdrücke, fluche, schluchze und weine, weiß ich nicht. Doch irgendwann fehlt mir die Kraft, weswegen ich lediglich meinen Kopf in den Nacken lege und das Beten anfange.
Bitte, bitte nimm ihn noch nicht zu dir. Ich weiß, ich weiß, dass ich bereit war all das auf mich zunehmen, dass ich es von Anfang an wusste und trotzdem niemanden anderen an meiner Seite wollte. Trotzdem... Trotzdem ist es noch zu früh. Ich brauche ihn noch, bitte nimm ihn noch nicht zu dir, flehe ich, bete ich, bitte ich.

Als ich den Schlüssel im Schloss höre, muss ich lächeln, atme dann tief durch und befehle mir selber stark zu sein. Ich muss stark sein. Muss einfach, denn alles andere würde ihm schaden, das weiß ich. Ich muss stark sein für ihn. Ich will auf Shervins Gesicht ein Lächeln sehen, ich will, dass er Ruhe und Frieden bei mir findet. Will nicht, dass er sich auch noch um meinen Gemütszustand sorgen muss.
Nachdem ich vom Wald zurückkam, hatte ich geduscht und mich dann ans Kochen rangemacht.
Schnell drehe ich die Hitze runter, lasse alles auf dem Herd vor sich hin köcheln und laufe zur Tür, um ihn zu begrüßen.
"Wie war dein Tag?", frage ich ihn lächelnd. Seine Blicke gleiten zu mir, zu meiner Seele. Eine leichtes wissendes Lächeln umspielt seine Lippen.
"Gut und deiner?", fragt er mich.
"Auch", antworte ich lächelnd.
"Was hast du so schönes gemacht?"
"Nicht so viel um ehrlich zu sein, habe bisschen unnötige Zeit vertrieben und dann habe ich angefangen zu kochen."
Er nickt. "Macht viel Sinn vor dem Kochen zu duschen." Ich schlucke schwer, während seine Blicke mich fixiert haben.
"Denkst du, ich weiß nicht, dass du geweint hast? Denkst du, es fällt mir nicht auf? Denkst du wirklich, dass ich so blind bin? Deine Augen sind immer noch gerötet, abgesehen davon sind deine Tränensäcke dick angelaufen. Selbst deine leicht gerötete Nase verrät dich. Aber auch wenn all das nicht der Fall wäre, denkst du, ich merke wirklich nicht, wie du seit Tagen vor Sorge um mich stirbst? Dass du mich am liebsten keine Sekunde alleine lassen würdest? Dass du fast die ganze Nacht wach verbringst, weil du Angst vor einem erneuten Schub hast? Denkst du wirklich, dass ich mir all dem nicht bewusst bin, nur weil ich darüber schweige? Vergiss nicht, dass ich dein Ehemann bin. Der Mann, der dich liebt. Dass ich jeder deiner Launen genauestens kenne. Denkst du, dass es mir nicht aufgefallen ist, dass sich deine Augen füllen, wenn du mich anblickst? Denkst du, dass ich nicht merke, wie sich alles in dir anstaut?" Meine Blicke senken sich mit einem Mal.
"Schau mich an!", befiehlt er streng. "Schau mich an, nur damit du begreifst." Ich hasse es, wenn er in diesem Ton mit mir spricht, dennoch sehe ich irritiert zu ihm. Was soll ich begreifen?
"Ich hatte dir von Anfang an genau das hier versucht weiß zu machen, habe dir genau das hier erklärt! Habe dir schon immer gesagt, dass du daran kaputt gehen wirst. Was meinst du, wieso ich dich so lange aus meinem Leben raus gehalten habe? Doch du musstest unbedingt deinen Sturkopf durchsetzen. Und jetzt, jetzt leidest du mit mir und ich leide aufgrund dessen nur noch mehr!" Ich drücke meine Lippen aufeinander. Ich will nicht, dass er wegen mir leidet.
"Ich will, dass du es endlich begreifst, es könnte im nächsten Moment vorbei sein, es könnte-" bevor er weiterspricht, setze ich mich auf seinen Schoss und umschließe seine Lippen mit meinen. Vorsichtig trenne ich meine Lippen von seinen.
"Hör auf das alles ständig zu wiederholen. Ich bin mir all dem nur zu gut bewusst, glaub mir. Obwohl ich das von Anfang an wusste, war ich bereit diesen Weg mit dir zu gehen. Ich habe dich mit dieser Krankheit kennengelernt und mir ihr lieben gelernt. Ich bereue das alles keine Sekunde. Das stimmt, der Gedanke daran, dass ich dich verlieren könnte, verbrennt mich, raubt mir die Luft zum Atmen. Trotzdem. Trotzdem bereue ich es nicht. Kein bisschen. Ich wusste von Anfang an, was mich erwartet, also hör auf so zu tun, als ob ich das nicht gewusst hätte!" Wir schweigen beide, während ich meinen Kopf in seine Halsgrube lege und seinen Duft tief in mich ziehe.
"Du weißt gar nicht, wie viel Frieden mir dein Duft gibt. Allein deswegen, allein wegen so etwas kleinem wäre ich bereit alles auf mich zu nehmen, verstehst du? Verstehst du, wie groß meine Liebe zu dir ist?"

Es ist kurz, dennoch hoffe ich, dass ihr viel Spaß beim Lesen hattet meine lieben Zuckermenschen ❤️

Eure Verâ

MSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt