38. "Das Schönste in meinem Leben"

336 26 16
                                    

"Wenn man gewisse Kämpfe aufgibt, hat man mehr um andere anzugehen."

Seit Minuten bewegt er sich unruhig hin und her, während ich mich frage, wann er endlich mit der Sprache rausrücken wird.
"Wirst du mir endlich sagen, was das Problem ist?", frage ich ihn mit meinen Augen fixierend. Kurz hielt er inne, schluckte hart und nickte dann.
"Ich will, dass du für einige Tage zu deiner Mutter gehst." Im selben Moment wünsche ich mir, dass ich ihn nie gefragt hätte.
"Wie bitte?", hake ich verständnislos nach.
"Du engst mich ein. Deine paranoide Art seit dem hohen Fieber raubt mir das letzte bisschen Nerv. Du lässt mir keine Luft zum Atmen. Geh, damit wir beide wieder klar denken können. Das hier tut uns beiden im Moment nicht gut."
Nachdem ich mich im Wald ausgeheult hatte und Shervin sich dem bewusst war, hatte ich meine Sorge nicht mehr unterdrückt und sie ihm gezeigt. Das war also die Bestrafung dafür.
"Du spinnst."
"Nein Mediha, das ist mein Ernst." Seine Augen spiegeln seine Aussage wider, dennoch sehe ich die Angst darin. Die Angst mich verlieren zu können. Also entscheide ich mich dazu diese Angst aus ihm rauszukitzeln.
"Hast du dich mal gefragt, was passieren würde, wenn ich wirklich gehe und dann nicht mehr zurückkomme, Shervin? Hast du dir diese Frage je gestellt?" Sein hartes Schlucken lässt seinen Adamsapfel auf- und abgleiten.
"Also willst du jetzt, dass ich wirklich gehe? Dann tue ich das, doch ob ich danach zurückkomme, das ist die Frage, die du dir stellen solltest!"

Als er immer noch seine Ruhe bewahrt, entscheide ich mich noch einen Schritt weiterzugehen, nur damit er endlich das tötende Gift in sich freilässt. Denn ich sehe, wie viele Bedenken und Ängste er hat. Ich weiß, wie sehr seine Gedanken ihn zerfressen. Er spricht nicht darüber. Aber dieses scheiß hohe Fieber hat selbst ihm zu schaffen gemacht, vermutlich sogar mehr als mir. Ich weiß, dass sich viel in seiner Sichtweise geändert hat, seit dem ich in sein Leben getreten bin. Das Sterben ist ihm nicht mehr gleichgültig. Es war nicht so gewesen, dass er es sich zuvor gewünscht hat, doch er hatte es als Befreiung gesehen. Sowohl für sich selbst als auch für seine Eltern. Mit einem Mal würden all ihre Sorgen und Ängste zum Ende kommen. Es war ein törichter Gedanke, doch ich konnte es nachvollziehen.
Seit dem ich jedoch in seinem Leben bin, hat sich einiges geändert, selbst seine eisernen Ansichten. Er sieht den frühzeitigen Tod nicht mehr als Befreiung sondern als Verlust.

Wütend stampfe ich also in unser Schlafzimmer, hole eine große Reisetasche und fange an wahllos Klamotten reinzuschmeißen. Nebenbei zähle ich innerlich.
Bei 50 angekommen, höre ich, wie er das Schlafzimmer betritt und mein Herz flattert erleichtert auf, denn langsam dachte ich, dass er mich gehen lassen würde, auch wenn mein Herz das nicht glauben wollte.

Mit einem Mal werde ich an meiner Hand gezogen, so dass ich auf seinem Schoß lande. Tief blicken wir uns in die Augen.
Aus meinen spricht die Wut und Verletztheit. Aus seinen die Wut und Angst.
"Wolltest du wirklich gehen?", knurrt er. Dass seine Wut sich selber gilt, kann ich sehen.
Ich öffne meinen Mund, doch bevor ich sprechen kann, tut er es erneut.
"Wehe du gibst eine falsche Antwort, Mediha." Meine Braue gleitet provokant in die Höhe. So ist das also?
"Ich wollte nur das tun, was mein Ehemann -also du- von mir verlangt hat." Meine Antwort lässt ihn wütend schnauben.
"Wen verarscht du?"
"Dich", spreche ich mit den Wimpern klimpernd. "Denn im Gegensatz zu dir kann ich ehrlich zu mir sein, kann mir eingestehen, was ich fühle."
Nach diesen Worten legen seine Lippen sich um meine, was dafür sorgt, dass es die Sehnsucht in mir hochtreibt. Es ist kein körperliches Verlangen, sondern meine Seele verlangt nach ihm, denn er hält Distanz zu mir und das lässt mein Herz heulend aufjaulen, so dass mir nun die Tränen fließen und ich meine Hände um seine Wangen lege, wo ich eine Nässe spüre. Schnell öffne ich meine Augen und sehe den Mann, den ich abgöttisch liebe mit Tränen vor mir. Meine Hände wischen ihm sanft über die Wangen.
"Hör auf zu weinen", wispert er meine Tränen wegküssend, was mich aufschluchzen lässt.
Ich lege meinen Kopf in seine Halsbeuge und atme seinen männlichen Duft tief in mich. Denn das gibt mir Beruhigung.
"Wolltest du wirklich gehen?", fragt er nach einer Weile. Bevor ich ihm eine Antwort geben kann, entferne ich meinen Kopf von seiner Halsbeuge, denn ich will, dass er in meinen Augen liest.
"Natürlich wollte ich nicht gehen!"
Wie soll ich einen Mann hinter mir lassen, der mein Herz berührt hat? Der es geschafft hat so tiefe Spuren in meinem Herzen zu hinterlassen?

MSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt