30. Bewunderung

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„Denn die Liebe ist nicht das, was wir erwarten zu bekommen.
Sondern das, was wir selbst bereit sind zu geben."

"Woran denkst du gerade?", fragt mich Shervin, während wir in einem der Gruppenräume der Bibliothek sitzen und versuchen unsere Hausarbeiten zu schreiben.
"An Afra", spreche ich seufzend aus.
"Geht es ihr immer noch nicht besser?"
"Sie behauptet, dass es ihr besser geht, aber ich kaufe ihr das nicht wirklich ab."
"Wann kommt sie denn wieder?"
"Sie hat Klausuren, deswegen erstmal nicht. Aber ich glaube, dass sie das nur als Vorwand benutzt."
"Dann fahr du doch über das Wochenende zu ihr?", schlägt mir Shervin vor.
"Ich kann dich doch nicht mit den ganzen Vorbereitungen alleine lassen."
"Von welchen Vorbereitungen sprichst du denn?"
"Wir wollten uns doch am Wochenende um das Catering für die Hochzeit kümmern."
"Ich wollte mich darum kümmern, Mediha. Dabei brauche ich dich nicht."
"Sag halt gleich, dass du mich nicht dabeihaben willst", spreche ich schmollend.
"Mediha, hör auf dich zu stressen und hör auf zu versuchen dich um alles zu kümmern. Ich habe dir gesagt, dass ich mich darum kümmern werde. Geh du zu Afra, sie braucht dich gerade."
"Danke, dass du so verständnisvoll bist", spreche ich voller Dank aus.
"Lass uns noch zwei Stunden etwas tun, danach können wir essen gehen."
"Das klingt nach einem verdammt guten Plan!"

"Sind Augenringe bis zur Hölle nun der neue Trend?", frage ich meine beste Freundin, als ich am Freitagnachmittag bei ihr auftauche.
"Wenn du so anfängst, kannst du direkt wieder gehen."
Abwehrend hebe ich meine Hände in die Höhe.
"Ich habe nichts gesagt."
Als ich ins Bad laufen will, um mir die Hände zu waschen, höre ich Afras Stimme, leise aber dennoch laut genug: "Danke, dass du gekommen bist, Mediha."
Ich drehe mich mit einem Lächeln zu ihr um und lächele sie aufmunternd an: "Das habe ich gerne getan, nicht der Rede wert, glaub mir."

Da Afra fürs Erste nicht sprechen will, entscheiden wir uns beide dafür uns um die Uni zu kümmern. Während sie lernt, schreibe ich an meiner Hausarbeit weiter.
Am Abend kochen und essen wir gemeinsam, danach setzen wir uns mit einer Tasse Kaffee auf den Boden. Seit unserer Jugend ist das auf dem Bodensitzen unser Ding.
Normalerweise würde Afra sich ausbreiten und es sich gemütlich machen, doch hat sie ihre Beine angewinkelt, diese ganz nah an ihren Körper gezogen und sich somit ganz klein gemacht.
Allein ihre Körperhaltung signalisiert, dass sie Schutz braucht, dass sie in sich gezogen ist, es ihr nicht besonders gut geht.
"Du wirst nicht drüber reden oder?"
"Es gibt nichts zum Bereden, Mediha."
"Dann wenn es nichts gibt, gibt es am meisten etwas."
Sie atmet tief durch: "Wir reden nach meinen Klausuren drüber, ja? Wenn ich jetzt all diese Gefühle frei lasse, kriege ich sie nicht mehr gebändigt und kurz vor den Klausuren ist das echt kontraproduktiv."
"Okay, aber ich stehe immer an deiner Seite. Ich werde da sein, wenn du am Boden bist und dir die Hand reichen, damit du wieder aufstehst. Das weißt du oder?"
"Ich weiß und dafür bin ich dir so unendlich dankbar."
"Unter Geschwistern ist es das Mindeste."
Sie schenkt mir ein Lächeln, doch sehe ich, wie viel dahinter liegt. Wie viel Schmerz, Erschöpfung und Trauer.

Das Wochenende bei Afra vergeht, in dem wir uns tagsüber um die Uni kümmern und abends gemeinsam Zeit verbringen.
Am Samstag gehen wir raus in ein Café, weil ich merke, dass sie Zuhause die Gelegenheit nutzt, um sich abzukapseln, doch will ich, dass sie rauskommt.
Am Sonntagabend sitzen wir dann beisammen und schauen uns eine Komödie an, damit sie etwas auf andere Gedanken kommt.
Tatsächlich tut ihr meine Anwesenheit gut, selbst wenn sie nicht über das Problem spricht. Als ich am Montag in der Früh losfahre, geht es ihr schon etwas besser.
"Danke Mediha, es hat gutgetan, dass du da warst."
"Das habe ich gerne gemacht. Ich würde ja am liebsten sagen, ich komme sofort, sobald du mich brauchst. Aber sofort ist bisschen schwierig, da ich fast drei Stunden brauche. Aber wenn du mich brauchst, dann bin ich da, Afra. Ein Anruf reicht, du weißt. Wenn die Einsamkeit dir zu viel wird, dann komm oder ruf an und ich komme."
Sie öffnet ihren Mund, um etwas zu sagen, doch zieht sie mich dann in eine feste Umarmung, welche ich erwidere.
"Pass bitte gut auf dich auf, ja?", bitte ich sie, nachdem ich ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange drücke.
"Mache ich, versprochen. Werd du nicht geblitzt."
"Das ist kein Versprechen, welches ich geben kann", grinse ich sie an, was sie mit einem Lachen und Kopfschütteln kommentiert.
"Komm gut Heim."
"Mach dir keine Gedanken um mich, du weißt doch, schlechten Menschen passiert nichts."
"Du bist also ein schlechter Mensch?"
"Klar. Frag Shervin, er wird dir sagen, was für eine Hexe ich bin."
Als ich auf Afras Gesicht ein Lachen sehe, verabschiede ich mich mit einem einigermaßen ruhigen Gewissen von ihr.

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