15. Geständnisse - Teil II

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"Wir verlieben uns in die Menschen, die uns das erleben lassen werden, was wir in unserer Kindheit erlebt haben und nennen das dann Schicksal. Doch eigentlich suchen wir uns diesen Menschen selbst aus."
- Kırmızı Oda

Mittlerweile kenne ich Shervin so gut, dass ich merke, dass er mir etwas sagen will, doch nicht weiß, wie er es tun soll. Ich gebe ihm noch fünf Minuten, wenn er es dann nicht von selbst ausspuckt, werde ich ihn darauf ansprechen. Es ist witzig, dass wir uns heute in dieser Situation befinden, denn vor einigen Monaten bin ich noch an seine Mauern geprallt, seine Augen haben mir keinen Einlass gewährt, doch heute sitze ich ihm gegenüber und kann allein an seiner Mimik und Gestik ausmachen, dass er mir etwas mitzuteilen hat.

"Willst du mir endlich sagen, was los ist?", frage ich ihn mit gehobener Braue, weil ich diese Angespanntheit am Tisch nicht mehr aushalte.
Sein Gesicht nimmt einen überraschten Zug an und ich merke, dass er kurz Zeit brauchen wird, um sich zu sammeln, also widme ich mich wieder meinem Essen.
Gerade als ich runterschlucken will, höre ich dann seine Stimme: "Ich war mal verlobt."
Diese Nachricht kommt so unerwartet und abrupt, dass ich mich an meinem Essen verschlucke und deswegen anfange wie eine Verrückte zu husten.  Mein Gehuste sorgt für Aufmerksamkeit, so dass einige Studierende -an den Nebentischen- zu uns schauen.
Dass ich mich an meinem Essen verschluckt habe, löst in Shervin eine Panikwelle aus, doch er kriegt sich schnell wieder ein, öffnet meine Wasserflasche und reicht mir diese.
Gierig trinke ich das Wasser, nicht nur um meine Speiseröhre etwas zu entlasten, sondern auch um die Worte zu verdauen.
Nachdem ich die Flasche absetze, fahre ich mir kurz über meine Augen, da sie aufgrund der Husterei getränt haben und danach herrscht erstmal Totenstille an unserem Tisch.
"Willst du nichts dazu sagen?" Zum ersten Mal hat Shervin eine zurückhaltende Gestik, fast schon so als ob er sich vor meiner Reaktion fürchten würde. Um ehrlich zu sein, tut er auch genau das, das sehe ich in seinen Augen, doch macht es wenig Sinn für mich. Schließlich werde ich ihn für seine Vergangenheit nicht anprangern, das wäre schwachsinnig.
"Du hast echt kein Feingefühl", sind die ersten Worte, die ich rausbringe und ich beobachte mit bloßem Auge, wie seine Schultern sich entspannen.
"Ich wollte es kurz und schmerzlos machen."
"Das war eher taktlos."
"Es tut mir leid, ich rede ungern über dieses Thema und ich weiß auch gar nicht, wie ich dir das hätte schonend beibringen können."
"Du musst mich nicht davor schonen, Shervin. Es hätte auch gereicht, wenn du mir das nicht erzählst, während ich etwas im Mund habe."
"Du hast ja Recht. Willst du sonst nichts dazu sagen?"
Erst auf diese Frage strömen mir tausende Fragen in den Kopf. Eine davon ist besonders laut; Was war ihr Trennungsgrund? Ein Blick in Shervins Augen verrät mir jedoch, dass ich genau diese Frage nicht stellen soll. Egal wie sehr ich diese stummen Konversationen zwischen uns liebe, ärgert es mich im Moment. Denn so kann ich ihn nicht fragen, nicht wenn seine Augen mir sagen, dass ich es unterlassen soll.
"Wann habt ihr euch getrennt?", in meiner Stimme schwingt die Vorsicht mit.
"Vor 4 Jahren." Seine Antwort ist knapp, abgehakt und es bestätigt mir, dass er nicht wirklich über dieses Thema reden will. Doch gibt es eine Frage, die ich beantwortet bekommen muss.
"Lebt sie in der Stadt?" Er nickt. Ich kann nicht anders als meine Augen kurz zu schließen, denn diese Tatsache stört mich.
"Besteht die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihr über den Weg laufe?"
Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, vermutlich hat er nicht mit so einer Frage gerechnet. Doch ist mir die Antwort darauf sehr wichtig. Ich will gewappnet sein, falls sie uns über den Weg laufen sollte.
"Eher weniger. Ihr wohnt in verschiedenen Stadtteilen, auch mein Stadtteil ist nicht in der Nähe von ihrem. Ihr haltet euch auch nicht in denselben Gegenden auf. Aber gänzlich ausschließen, kann ich es nicht."
"Das ist mir schon klar. Das brauchst du auch nicht, ich habe meine Antwort erhalten, danke."
"Das war's? Mehr willst du nicht wissen?"
"Es gibt da noch eine Frage, die mich interessiert, aber die wirst du mir im Moment nicht beantworten, habe ich Recht?"
Auf Shervins Lippen entsteht ein leichtes Lächeln.
"Ich werde dir davon erzählen, versprochen. Aber nicht jetzt. Dafür haben wir auch nicht genug Zeit, denn unsere Vorlesung fängt gleich an. Lass uns beeilen."

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