17. Missverständnisse und ungewollte Beichten - Teil I

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"Das Lächeln, welches du aussendest, kehrt zu dir zurück."

"Was hast du denn erwartet? Dass er dich zahlen lässt?", fragt Afra lachend.
Ich erzähle ihr von meinem gestrigen Date am Telefon.
"Nein, natürlich habe ich das nicht erwartet. Also ich hätte mich wohler gefühlt, wenn ich selbst bezahlt hätte, aber so wie ich Shervin kenne, hätte er das niemals zugelassen. Dennoch habe ich nach meinem Geldbeutel gegriffen, das andere wäre nicht meins, das weißt du."
"Stolzes Mädchen."
"Jetzt mal ganz ehrlich, als ob du anders gehandelt hättest?"
"Das habe ich nie behauptet, aber im Moment geht es nicht um mich, sondern um dich. Und seien wir ehrlich, du willst selbst einen Kaffee, den ich dir ausgebe, zurückzahlen, während du selber ständig was ausgibst."
"Okay, okay. Können wir aufhören uns über Geld zu unterhalten? Kommst du über die Feiertage?"
"Nur weil du gefragt hast."
"Das ist so wertvoll, wie kann ich dir das zurückzahlen?", frage ich voller Ironie.
"So viel zum Thema; wir reden nicht mehr über Geld."
"Man Afra!", spreche ich lachend. "Ich treffe mich morgen mit Majid."
"Ohne mich? Ihr Verräter."
"Gebe dir ja Bescheid, damit du kommen kannst."
"Gute Ausrede. Wozu zwingt dich mein Bruder nun wieder?"
"Er zwingt mich zu gar nichts, ich finde nur niemanden, der mit mir Eis essen will."
"Liegt vielleicht daran, dass wir Dezember haben?"
"Na und? Gibt es etwa eine Regel, die besagt, dass man im Winter kein Eis essen darf? Außerdem schmeckt das Eis in den Eisdielen im Winter besser."
"Ist ja gut, euch dann viel Spaß. Aber so einfach wirst du nicht davonkommen. Majid wird dich um den Finger wickeln, damit du ihm noch einen Döner spendierst."
"Dem bin ich mir sowas von bewusst, glaub mir!"
Kurz entsteht Stille, in der ich raus höre, wie Afra leise einatmet.
"Ist alles okay bei dir?"
"Ja, alles gut."
"Afra", flehe ich sie an, denn ich hasse es, wenn sie alles in sich hineinfrisst.
"Es ist wirklich alles gut. Es ist nur ein Gedankenwirrwarr."
"Wirst du mir davon erzählen, wenn du Ordnung in das Chaos bringen willst?"
"Wenn ich es selbst nicht hinkriege, dann auf jeden Fall. Aber mach dir wirklich keine Sorgen Mediha, es ist nichts ernstes."
"Zuhause ist aber alles in Ordnung oder?"
"Ja, da läuft Gott sei Dank alles gut. Das könnte ich vor dir gar nicht verheimlichen, zumal Majid sich morgen verplappern würde, falls da etwas wäre."
"Wenn dir die neue Stadt nicht guttut, dann kannst du zurückkommen, das weißt du oder? Es ist kein Scheitern, denk nicht so."
"Ich weiß, ich weiß", es schwingt ein Aber in ihren Worten mit, doch hake ich nicht weiter auf dem Thema rum, sie wird mir schon davon erzählen, wenn sie sich bereit dazu fühlt.
Um sie etwas abzulenken, fange ich an ihr über mein belangloses Aufeinandertreffen mit Belfu und ihrem Verlobten, an deren Jahrestag zu erzählen.
"Ich sage doch, die haben nicht mehr alle Tassen im Schrank. Alena hat mir heute geschrieben, sie will, dass wir uns wieder treffen, wenn ich in der Stadt bin. Bitte rette mich vor diesem Treffen! Ehrlich, ich halte dieses dumme Gerede nicht mehr aus."
"Wir können ihnen ja sagen, dass wir keine Lust haben."
"Wenn du dabei bist, sehr gerne!"
"Klar, wird Zeit diese Freundschaft ins Leere laufen zu lassen."
"Endlich! Auf diese Worte habe ich gewartet, du bist meine Erlösung."
"Du Verrückte."
Eine Weile unterhalten wir uns noch und mir wird durch die Telefonate mit Afra immer wieder bewusst, dass mir ihre Abwesenheit nicht guttut, dass ich sie gerne wieder in meiner Nähe hätte. Damit ich alles mit ihr teilen kann, aber noch wichtiger, damit ich ihr beistehen kann. All das bringe ich jedoch nicht zu Wort, denn ich will nicht, dass sie sich auch noch darum den Kopf zerbricht. Der Umzug war für sie wichtig. Wichtig, damit sie nicht mehr so viel Verantwortung übernimmt, denn vor allem die letzten Jahre hat sie extrem darunter gelitten.

"Und am Sonntag war ich mit Majid Eis und dann Döner essen", schließe ich meine Erzählung -auf Shervins Frage, was ich am Wochenende gemacht habe- ab.
Ich sehe wie seine Brauen in die Höhe gleiten. Er versucht herauszufinden, wer Majid ist. Und hinter seinem neugierigen Blick steckt sogar ein kleines bisschen Eifersucht. Ich kann nicht leugnen, dass mir das gefällt. Niemals würde ich jedoch eine kindische Aktion schieben und bewusst dafür sorgen, dass Shervin unter dem verbrennenden Gefühl der Eifersucht leidet. Doch muss ich mir auch eingestehen, dass seine kleine Eifersucht mir gefällt, mich besonders und vor allem in seinen Augen wertvoll fühlen lässt. Und das wichtigste; mich geliebt fühlen lässt.
"Majid?", fragt er vorsichtig.
"Ich hatte dir von Afra erzählt? Meine beste Freundin, die eigentlich wie meine Schwester ist?" Er nickt.
"Majid ist ihr Bruder." Seine Brauen nähern sich, da er nicht weiß, dass Majid so viel jünger als ich ist, kann ich das verstehen.
"Ihr jüngerer Bruder. Mein jüngerer Bruder. Wir haben einen Altersunterschied von acht Jahren."
Erst jetzt sehe ich die sichtliche Entspannung auf Shervins Gesicht und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
"Ihr wart erst Eis und dann Döner essen, habe ich das richtig verstanden?" Ich nicke, um seine Frage zu bestätigen.
"Ist deiner Meinung nach nicht etwas an der Reihenfolge falsch?"
Auf seine Worte muss ich lachen.
"Theoretisch gesehen ja, aber nicht bei uns. Wenn Majid etwas für uns tut oder etwas mit uns unternimmt, fädelt er das so schlau ein, dass wir am Ende immer einen Döner essen, weil er das unbedingt will."
"Wenn du das von Anfang an weißt, warum sagst du ihm dann nicht direkt, dass ihr die Reihenfolge ändern könnt?"
"Weil es Spaß macht, dass er sich wie ein schlauer Fuchs benimmt. Du musst das mal erleben. Er ist ein echt gerissener Hund."
"Wenn er Döner essen wollte, dann wolltest du also Eis essen?"
"Richtig, denn nichts geht über ein gutes Eis. Da ist die Jahreszeit egal."
"Du meinst das ernst?"
"Klar. Eis ist meine große Liebe."
"Deine große Liebe?"
"Meine einzig wahre große Liebe", ergänze ich, was er mit einem Schmunzeln quittiert.

"Mediha?", fragend blicke ich zu ihm.
Er kratzt sich am Bart, man merkt, dass ihm etwas sichtlich unangenehm ist.
"Willst du mit der Sprache rausrücken? Oder willst du erneut einen Moment abwarten, an welchem du dann taktlos wirkst?"
Ein leichtes Grinsen umspielt seine Lippen, doch er wird sofort wieder ernst.
"Du musst nicht zusagen, wenn du nicht willst, finde ich schon eine Ausrede, ohne dass du schlecht dastehst-" "-du spannst mich auf die Folter, das ist mindestens genau so schlimm wie deine Taktlosigkeit."
"Du hast zu allem ein Kommentar oder?"
"Klar, das macht mich doch aus. Also los jetzt!"
"Meine Schwester will dich kennenlernen. Sie hat mitbekommen, dass ich heute zu euch eingeladen bin und ist darauf dezent eskaliert, weil sie dich auch unbedingt kennenlernen will. Sie zwingt mich dazu nächste Woche ein Treffen mit dir zu vereinbaren."
Ich kann seine Worte und Zurückhaltung nicht ganz verstehen und das sorgt dafür, dass ich seine Worte so interpretiere, wie ich sie will. Das wiederum sorgt dafür, dass es mich verletzt.
"Wenn du mich nicht deiner Schwester vorstellen willst, dann muss du das nicht tun."
Er schaut mir etwas verdattert ins Gesicht und fängt dann das Lachen an.
"Ich fasse es nicht, dass du meine Worte so falsch interpretiert hast! Es geht nicht um dich, sondern um meine Schwester. Ich will dich vor Feryal schützen, sie kann etwas zu viel Platz einnehmen." Er hält kurz inne.
"Meine Schwester ist ein herzenslieber Mensch und sie wird dich sofort ins Herz schließen, das weiß ich. Man kann ja auch gar nicht anders." Auf diese Worte kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, auf der anderen Seite nimmt mich die Scham ein.
"Aber Feryal ist manchmal, wie soll ich sagen... Aufdringlich, wobei es das auch nicht wirklich trifft, da ist aber nie eine böse Absicht dahinter. Sie ist leider nur etwas zu neugierig, manchmal wird ihr das zum Verhängnis."
Auf seine bedachten Worte muss ich lächeln. Er will seine Schwester in kein schlechtes Licht rücken, auf der anderen Seite will er mich aber auch schützen. Diese kleine Geste von ihm ist viel zu wertvoll, zeigt, wie viel Wert er den Menschen gibt, die sich um ihn herum befinden.
"Mach dir keine Sorgen. Sie ist deine Schwester und ich bin mir sicher, dass sie -genau wie du- keine bösen Absichten in sich trägt. Etwas Neugier schadet niemandem. Ich würde sie also sehr gerne kennenlernen, zumal ich aus deinen Erzählungen rausgehört habe, wie wichtig sie dir ist. Es ist mir also eine Ehre sie kennenzulernen."
Auf Shervins Gesicht sehe ich eine Erleichterung und eine Dankbarkeit mir gegenüber.
"Das ist gut, Feryal hätte mich umgebracht, wenn ich es nicht geschafft hätte dich dazu zu überreden. Und glaub mir, sie hätte die Schuld nicht bei dir, sondern bei mir gesucht."
"Das kann man ihr ja nicht verübeln oder? Schließlich hast du dir dabei auch ganz viel Mühe gegeben."
"Ich weiß jetzt schon, dass ihr euch ausgezeichnet verstehen werdet und ich den Tag, an dem ihr euch kennengelernt habt, verfluchen werde", seufzt er, doch sehe ich das Grinsen, welches sich an den Rändern seiner Lippen versteckt.

Es ist kurz, ich weiß und das tut mir auch leid, aber ich wollte euch nicht länger warten lassen. Ich werde mir Mühe geben, damit Teil II auch bald online kommt.
Hoffentlich hattet ihr dennoch viel Spaß beim Lesen meine Zuckermenschen!❤

Eure Verâ

MSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt