29. Bodyshaming

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"The only disability in life is a bad attitude." 
- Scott Hamilton

"Ich bin so froh, dass wir Politik endlich abgehakt haben -also hoffentlich-, wäre traurig, wenn ich erneut durchfallen würde", nach meinen Worten nehme ich einen Schluck von meinem Kaffee.

"Wir haben gemeinsam wie verrückt dafür gelernt, du wirst nicht durchfallen."
"Da wäre ich mir nicht so sicher. Die Klausur lief echt nicht gut. Obwohl es nur unser Nebenfach ist, mussten wir so viel dafür lernen, das ist krank!"
"Vielleicht hätten wir doch Soziologie im Nebenfach wählen sollen."
"Ich hatte kein Bock darauf nochmal zwei Hausarbeiten zu schreiben, das war vor allem der Grund, warum ich Politik gewählt habe. Dachte mit zwei Klausuren sind locker easy, aber die Klausuren waren der Tod. Da wären mir die Hausarbeiten fast lieber gewesen."
"Stichwort Hausarbeiten: wann wollen wir damit anfangen?"
"Man Shervin! Wir sind erst neu aus der Klausur raus, hör doch damit auf! Gönn mir das Wochenende, dann können wir damit anfangen."
"Bei drei Hausarbeiten sollten wir uns vielleicht ranhalten."
"Ich werde eine ganz sicher schieben. Wie planst du eigentlich neben den ganzen Hochzeitsvorbereitungen alle drei zu schreiben?"
"Wir werden kein großes Ding daraus machen, also."
"Deine Ruhe bringt mich manchmal um den Verstand, weißt du das?"
"Dein Kopf, der ständig arbeitet und sich unnötige Gedanken macht, mich auch. Weißt du das?"
Aus Trotz strecke ich ihm -wie ein kleines Kind- die Zunge raus, was er lachend quittiert.
"Ich werde einfach schauen, wenn es zu stressig wird, schiebe ich eine. Aber darum werde ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen, Mediha."
"Manchmal wünsche ich mir, so gelassen wie du zu sein."
"Du kannst nicht alles planen, also lass es einfach sein."
"Ich versuche es."
"Man merkt's", kommentiert er spitz, "Komm, lass und aufstehen. Ich muss noch zu Media-Markt. Deine Mama hat uns zum Abendessen eingeladen, ich will nicht zu spät kommen."
"Der perfekte vorbildliche Schwiegersohn also. Verstehe."
"Klar, was hast du denn gedacht?", fragt er mich mit einem selbstverliebten Blick und fährt sich nebenbei durch das Haar.
"Du bist so ein Spinner", entgegne ich dem lachend.
"Alles nur damit du lachst und glücklich bist", zwinkert er mir zu.
"Dafür reicht deine bloße Anwesenheit. Die Sicherheit, die du mir gibst."

Während ich sehe, wie Shervin den Media-Markt verlässt, laufe ich lächelnd zu ihm. Doch werde ich auf meinem Weg angehalten.
"Hättest du Lust auf eine Probe?", fragt mich ein junger Mann, der 2-3 Jahre älter als ich sein muss und an einem Stehtisch steht, hinter ihm ist ein Stand aufgebaut. Der Name der Firma sagt mir absolut gar nichts.
"Ja klar", entgegne ich, ohne groß zu überlegen und will nach der Tüte greifen, die er in der Hand hält, doch zieht er sie zurück.
Genervt seufze ich, denn auf dumme Spielchen habe ich absolut keine Lust.
"Nur kurz eine Frage", kommt es von ihm, weswegen ich mich wieder raffe und versuche freundlicher zu sein.
"Ja?"
"Arbeitest du oder gehst du noch zur Schule?"
"Ich studiere", antworte ich knapp und nehme dann die kleine Tüte, die er mir reicht.
"Hättest du Interesse daran dir auch andere Produkte anzuschauen?", fragt er mich auf den Stand hinter sich deutend.
"Nein danke."
"Wir haben aber Produkte, die auch deinen Post-Akne-Flecken gut tun würden." Und das ist der Moment, wo ich meine Fassung verliere. Wo ich es nicht fassen kann, dass ein Wildfremder eine junge Frau auf so etwas persönliches anspricht. Mit welchem Recht?
Wütend lege ich die Tüte auf den runden Tisch neben ihm und sehe ihm in die Augen.
"Ich verzichte sehr gerne auf eure Produkte. Du wirst es vermutlich nicht glauben, aber ich bin zufrieden mit meiner Haut." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kehre ich dem Mistkerl meinen Rücken und laufe in Shervins Richtung, welcher mit zusammengezogenen Brauen mir entgegenkommt.

"Was war?", fragt er angespannt, sobald wir uns gegenüberstehen."
"Nichts wichtiges", spreche ich aus, nachdem ich tief durchgeatmet habe.
"Mediha, was war!" Er verleiht seiner Stimme so viel Nachdruck, dass ich weiß, dass wenn ich nicht antworte, er diesen Typen -ohne den Grund zu kennen- zusammenscheißen wird.
Unverdient wäre es nicht, doch ich weiß, dass es nichts nutzen wird. Nicht wenn man einen ekelhaft ignoranten Menschen vor sich hat.
Seufzend fange ich also an zu erzählen, was war.

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