Acht

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[Ich unterdrücke einen tiefen Seufzer und ordne meine Gedanken. An erster Stelle steht gerade Freedoms Rettung - wo auch immer sie sich befindet. Apropos...]

"Halt. Wer ist da?", fragt eine tiefe, kratzige Stimme. Sein Gesicht ist unter einem schweren Fellumhang verborgen, in dem Schneeklumpen kleben.

"Ich bins", antwortet der Schrank vor mir. Er zieht seine Kapuze vom Kopf und nickt dem Wächter zu. "Ich muss zu Hugo. Hab hier ein Geschenk für ihn", grinst er wölfisch und deutet mit dem Kinn über seine Schulter, zu mir.

Ängstlich ziehe ich den Kopf ein, senke den Blick, presse die Lippen aufeinander und lasse die Schultern herabsacken. Mein Gesicht liegt ebenfalls im Schatten einer Kapuze, aber meine Mimik ist deswegen noch lange nicht vollständig verborgen. Laut klirren die Ketten um meine Handgelenke und lassen mich in meiner gebeugten Haltung noch erbärmlicher wirken.

Der Wächter stößt einen Laut zwischen Schnauben und Grunzen aus, ehe er beiseite tritt und dem Schrank zunickt.

Ungehindert gehen wir den Gang der langen, verwinkelten Höhle entlang und wann immer wir einen Menschen treffen, halten wir an. Der Schrank unterhält sich mit jedem, grüßt sie, packt sie zur Begrüßung an den Unterarmen, grinst, lacht und kichert mit ihnen, neckt sie, weist sie zurecht und lobt sie. Und jedes Mal beendet er das Gespräch mit denselben Worten: Er muss zu jenem Hugo, denn er hat ein Geschenk für ihn.

Und jedes Mal spiele ich dasselbe Spiel, dieselbe Rolle: Die gebrochene, verängstigte Gefangene, die keine Hoffnung mehr besitzt, jemals wieder das Tageslicht sehen zu können. Die gehorsame junge Frau, die Angst hat, vor der ganzen Schar fremder Männer, die sie anstarren, als sei sie eine juwelengefüllte Schatztruhe.

Erst vor dem letzten Raum ändert sich die Stimmung. Die Luft scheint geladen, und die drei Wächter vor dem schmalen Eingang stehen kerzengerade da, während sie einander verstohlene, verunsicherte Blicke zuwerfen. Offenbar sind sie äußerst nervös - und das liegt nicht daran, dass der Schrank und ich uns ihnen nähern.

Kurz vor ihnen bleiben wir stehen und ich wäre fast in den Schrank hineingerannt, so abrupt wie er stehengeblieben ist. "Lasst mich durch, ich muss zu ihm. Hab hier was für ihn", brummt der Schrank. Seine heitere Stimmung ist von einer Sekunde auf die andere verflogen. Seine Stimme klingt grimmig, und doch schwingt ein deutlich hörbarer Anteil an Furcht und Nervosität darin.

Unauffällig starre ich ein wenig beunruhigt seinen breiten Rücken an. War seine Heiterkeit von zuvor nur eine Farce, und er war schon die ganze Zeit unsicher? Oder ist ebendiese Emotion die Maske, und seine fröhliche Ausgelassenheit vorhin sein wahrer Gemütszustand? In jedem Fall mache ich mich innerlich bereit, jederzeit entweder fliehen oder kämpfen zu müssen. Es könnte sein, dass ich hier gerade in eine offene Falle getappt bin und der Schrank mich verraten hat, was den gesamten Plan über den Haufen werfen würde - oder aber ich bin einfach nur paranoid und alles ist in Ordnung.

Die Wächter werfen sich noch einmal Blicke zu. In ihren Augen steht echte Angst. "Nein. Wir müssen wissen, wen du da reinbringen willst", antwortet einer mit zitternder Stimme. Sie haben keine Angst vor dem, was vor der Tür, direkt vor ihren Gesichtern, abläuft, so viel ist sicher - sie haben Angst vor dem, was dahinter geschieht. Und wenn dies der Raum der Höhle ist, den jener besagter Hugo bewohnt, und in den Freedom verschleppt wurde... Ich zwinge mich, mir nach außen hin nichts anmerken zu lassen.

Der Schrank schnaubt laut und dreht sich zu mir um. Er hält meinen Blick fest und nickt kaum merklich - wenig mehr als ein Neigen des Kopfes.

Ich lasse ihn nicht aus den Augen, während ich meine aneinander geketteten Hände zum Saum meiner eigenen Kapuze hebe. Eine falsche Bewegung von ihm, eine nicht abgesprochene Regung, und er wird einen Eisdolch in seiner Kehle vorfinden. Meine Hände zittern leicht und meine Handflächen sind schweißnass - das habe ich aber nicht nur meinen Sorgen gerade zu verdanken, sondern auch dem Ort und dem Zustand, in dem ich mich hier augenscheinlich befinde.

Ich habe wirklich genug von dunklen Zimmern, tief verwinkelten Höhlen, Kerkern oder sonstig zwielichtigen Einrichtungen, die den Räumen ähneln, in denen ich zuerst jahrelang von meinem Vater, und anschließend noch eine gefühlte Ewigkeit vom solischen König gefoltert wurde. Nur noch wenige Minuten, versuche ich mich zu beruhigen. Gleich bin ich wieder frei.

Im selben Moment, in dem ich meine Kapuze mit einem einzigen Ruck nach hinten werfe, macht der Schrank einen Satz nach hinten und hält sich somit aus der Schusslinie heraus. Zeitgleich mit der Erkenntnis in ihren Augen, als sie meine schneeweißen, langen Haare und meine glühenden Augen sehen, gefrieren ihre Körper zu Eis und zerspringen laut klirrend...

Storming LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt