Sieben

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["Ich wusste, dass du irgendwann deine Deckung fallen lassen würdest, kleine Prinzessin", schnaubt der Schrank hinter mir, der unabsichtlich aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zu mir von demselben Schild eingehüllt wird, der auch mich schützt.]

In einer einzigen, fließenden Bewegung wirbele ich herum und packe den Schrank am Kragen, während mein Eis eine Art kleine Mauer um ihn bildet. "Ich schlage vor, du hörst mir jetzt zu. Gut zu. Es ist mir scheißegal wer du bist, wie du heißt oder was für ein Leben du geführt hast, bis du hierhin gelangt bist, aber wenn du und deine Kumpanen meiner kleinen Freundin auch nur ein Haar gekrümmt haben, dann wirst du einen der qualvollsten Tode sterben, die du dir vorstellen kannst", knurre ich ihm mit meiner rauen Stimme direkt ins Gesicht, ohne das altbekannte Glassplitter-atmen-Gefühl zu beachten, das sofort einsetzt, weil ich so lange nicht mehr geredet habe.

Erst jetzt sehe ich ihn auch wirklich an. Er hat ein kantiges Gesicht, das früher einmal sicher schön gewesen ist, aber ihm ist sein Alter anzusehen. Es würde mich nicht wundern, wenn er schon bald graue Haare bekommen würde.

Er hat schwarzes, zurückgebundenes Haar, eisblaue Augen und eine sonnengebräunte Haut - Erstere beide Merkmale sind typisch in Luna, Letzteres weist eher auf einen Aufenthalt in Sol hin. Seine Wangen sind eingefallen und um seinen Mund und seine Augen herum kann ich Lachfalten erkennen.

Das eindrucksvollste an seinem Gesicht sind aber wohl die zwei Narben. Sie bilden ein asymmetrisches X und ziehen sich von seinen Schläfen bis zum Kinn. Das an sich würde mich aber nicht neugierig stimmen. Nein, es ist die schwarze Augenklappe über seinem rechten Auge, die meine Aufmerksamkeit erregt.

Provokant grinst er, aber ich werfe ihm einen warnenden Blick zu.

Ich nehme mir einen Herzschlag Zeit um tief durchzuatmen, ehe ich ihn loslasse. Was auch immer an ihm mir so eigenartig erscheint, ich werde mich später damit befassen. "Ich rate dir nicht einmal den Versuch einer einzigen Bewegung zu wagen, sonst könnte es sein, dass du schneller bei deinen Kumpanen bist, als du blinzeln kannst", setze ich kratzbürstig hinzu, ehe ich nach dem weggeschleuderten Dolch greife und die Fesseln meines Trupps löse.

Niemandem von ihnen sehe ich ins Gesicht. Mein Ausbruch vorhin ist mir peinlich - allen voran der Grund, weswegen ich auf einmal meine Stimme wieder habe. Ich will gar nicht erst darüber nachdenken müssen.

Trotzdem sehe ich die Tränen in Cheris Augen, die wie kleine Juwelen im tristen, grauen Tageslicht funkeln. Kaum habe ich ihre Fesseln gelöst, wirft sie ihre Arme um mich und drückt mich an sich. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Umarmung etwas perplex zu erwidern.

Ich meine, ich habe nur meine Stimme wieder. Es ist nicht so, dass ich die gesamte Zeit über eine modernde Leiche gewesen wäre, die man beweinen müsste. Insofern finde ich Cheris Reaktion ein wenig übertrieben, aber trotzdem kann ich nicht anders, als leise zu Schmunzeln.

Zumal man wohl die lebensgefährliche Situation, in der sie und die anderen sich befunden haben, als Ausrede nutzen könnte.

"Sicher, dass ich dir nicht lebendig mehr nutze, Prinzesschen?", meldet sich der Schrank zu Wort. "Ich habe einige Informationen, die für dich wichtig sein könnten. Für dich und deinen Krieg", grinst er provokant.

Innerlich seufzend löse ich mich langsam von Cheri, stapfe kurz aus der Höhle, ohne meinem neuesten Gefangenen auch nur einen Blick zuzuwerfen, und drücke ihr das immer noch in der Nähe herumliegende Abendessen in die Hand. Ihre Augen glänzen dankbar und ein Strahlen gleitet über ihr Gesicht.

"Wieso sollte ich dir vertrauen?", frage ich schließlich argwöhnisch an meinen Gefangenen gerichtet nach, bezogen auf seine Frage von zuvor.

Allein schon, dass ich nachfrage und ihm Gehör schenke anstatt ihn hier und jetzt hinzurichten, sollte ein Wunder sein - ebenso wie die Tatsache, dass ich die Schmerzen, die das Sprechen mit sich bringt, seinetwegen auf mich lade. Immerhin könnte er mit Fehlinformationen sehr schnell Verwirrung stiften und uns so in eine prekäre Lage bringen. Auch, dass er Sekunden zuvor noch seine große Klappe aufgerissen hat, um mir zu drohen, während seine Kumpane über mich und... einen gewissen Feuergeborenen, dessen Namen ich nicht nennen kann, ohne in einen Wutausbruch verfallen zu wollen, herzogen, bringt ihm keine Sympathiepunkte ein. Dieser Meinung scheint auch Cheri zu sein, die mich skeptisch von der Seite betrachtet.

Ein vielsagendes Grinsen vom Schrank. "Wenn du dich mehr für meine Vergangenheit und Identität interessieren würdest, könntest du dir die Frage selbst beantworten, aber du bist ja zu sehr damit beschäftigt, in Selbstmitleid zu versinken."

"Vorsicht", knurrt Cheri mit zusammengebissenen Zähnen und nimmt eine Haltung ein, die man gut und gerne als etwas exotische Kampfposition bezeichnen könnte.

Ich sperre jegliche Emotion aus meinem Gesicht aus und verberge auf diese Weise meine Überraschung. Cheri hat noch nie jemandem gedroht um mich in Schutz zu nehmen. Nicht vor anderen.

Ich unterdrücke einen tiefen Seufzer und ordne meine Gedanken. An erster Stelle steht gerade Freedoms Rettung - wo auch immer sie sich befindet. Apropos...

Storming LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt