Siebzehn

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Es ist mittlerweile vier volle Tage her, dass ich aufgewacht bin. Und ich habe diese Zeit weise genutzt, um einiges in Erfahrung zu bringen.

Selbstbewusst stolziere ich die vielen Flure entlang und nicke jeder Menschenseele zu, die mir entgegen kommt, egal von welcher Herkunft oder sonst was.

Durch ein unangenehmes Gespräch mit Hugo über die Periode einer weiblichen Kondensatorin habe ich erfahren, dass Stärke und Dauer stark von der benutzten Macht der vorangegangenen zwei Monate abhängen. Hat man also viel Magie eingesetzt, kann es bis zu zwei Wochen dauern, bis das Gefühl zu Sterben abklingt. Dadurch, dass ich ziemlich plötzlich von einer Elementgeborenen zu einer Kondensatorin geworden bin, ist das Ganze früher passiert als erwartet - aber glücklicherweise ist der Schmerz im Gegenzug dafür nicht ganz so intensiv. Ich werde trotzdem noch eine ganze Weile leiden müssen.

Ohnmächtig bin ich anscheinend für drei Tage gewesen. Nachdem mir aufgefallen ist, dass ich meine Macht nicht mehr unter Kontrolle hatte und in Panik verfallen bin, hat sie wohl eigenständig gehandelt - so zumindest Freedoms Bericht. Das Eis hat sich gegen mich gewandt, hat sich in Form von Splittern in meine Haut gegraben und mich auch von innen verletzt, weswegen ich beinahe verblutet wäre. Zusammen mit der Erinnerung an jenen Tag in Sol, als ich zuletzt mit Lucien gesprochen habe, hat sich eine Druckwelle entladen, die jeden Soldaten aus ebendiesem Land explodieren hat lassen. Ich habe es selbst nicht sehen können, aber Hugos verstörtem Gesichtsausdruck nach war es wirklich nichts für schwache Nerven.

Dieser Information konnte ich entnehmen, dass die Wilden und Hugo nicht aus Sol, sondern aus Luna stammen - wenn nicht gar aus fremden Kontinenten. Was sie aber wirklich hierhergeführt hat, das weiß ich nicht. Nur, dass Hugo und ich dasselbe Ziel verfolgen - Rache -, und dass uns das - zumindest temporär - zu Verbündeten macht. Wem seine Loyalität gilt, bleibt fragwürdig, aber er vergöttert Freedom geradezu - das ist sicher. Und so lange das so bleibt, werde ich mir über seine Treue keine Sorgen machen müssen.

Was unseren Aufenthaltsort betrifft... So verzweifelt wie Cheri und Freedom gewesen sind, haben sie sich keine weiteren Gedanken gemacht, als sie eine riesige, mehrstöckige, steinerne Hütte mitten im Nirgendwo gefunden haben. Der Schock hat noch zu tief in ihren Knochen gesessen.

Ein Glück, dass ich zumindest einordnen kann, wo wir sind. Diese Hütte ist das Ferienhaus meiner toten Verwandtschaft mütterlicherseits gewesen. Hier wohnt seit Jahren niemand mehr und damit ist es ein sicherer Unterschlupf für uns. Auch kommen uns die gelagerten Trockenvorräte zugute, denn auf diese Weise müssen wir uns keine Gedanken darüber machen, wie zur Hölle wir unseren Trupp samt den Wilden ernähren sollen. Besonders sicher oder geschützt ist das Gebäude aber nicht, daher will ich eigentlich schleunigst zur Festung im Norden.

Tatsächlich würde es aber nur noch eine Woche Marsch benötigen, um die Festung, die wir schon die gesamte Zeit über ansteuern, zu erreichen. Und wenn es hier noch Vorräte gibt, dann muss es dort noch viel mehr geben. Kurzum: Die Festung wäre der ideale Stützpunkt für den bevorstehenden Krieg. Daher werden wir uns in nächster Zeit auf den Weg dorthin machen.

Viel schwerer auf der Seele liegt mir jedoch der Grund, weshalb es überhaupt zu dem Blutbad gekommen ist, bei dem ich beinahe gestorben wäre - und wer mich tatsächlich gerettet hat.

Nach der Erinnerung an den Abschied eines gewissen Feuerprinzen gegenüber habe ich nämlich noch ein Bruchstück einer Unterhaltung wahrgenommen - und auch dazu meine Kameraden befragt. Die Antwort ist keine Schöne gewesen.

Vater - nein, der lunische Eroberer vielmehr - hat mehrere Dutzend Suchtrupps losgeschickt, die entweder mich oder Lucien ausfindig machen sollen. Das Blutbad ist überhaupt erst zustande gekommen, weil man Lucien dort in der Nähe gesichtet hat, und einfach blind angenommen hat, die Wilden hätten ihm Unterkunft und Schutz geboten - ein einziges Missverständnis. Nahezu die Hälfte der Wilden ist wegen dieses kleinen Kommunikationsfehlers ausgelöscht worden. Noch immer schwelt die Wut darüber in meinem Inneren.

Was die Rettung meines Lebens angeht... allein der Gedanke lässt die kochende Wut in meinem Inneren schwinden. Zurück bleibt nur ein Gefühl von Leere und Unvollkommenheit.

Noch kann ich die Situation nicht objektiv betrachten. Zu viel Hass und Wut und Traurigkeit schwingen da mit. Derjenige, der für die Schlacht überhaupt verantwortlich war, war sich des Gefechts nämlich mehr als bewusst. Und doch hat er keinen Finger gerührt, um zu helfen. Erst, als sich die Lage wieder beruhigt hat, und man - Cheris Aussage nach - meilenweit Freedoms verzweifelte Hilferufe hat hören können, dass ich auf gar keinen Fall sterben dürfe, hat er sich dazu herabgelassen, sich blicken zu lassen.

Ja, es ist Lucien gewesen, der mir das Leben gerettet hat. Er hat das Meiste von dem Eis mit seinem Feuer geschmolzen, meinen Körper warm gehalten und - woher auch immer er die her hatte - eine Salbe auf die Wunden aufgetragen. Durch spezielle Kräutertees und Heiltränke hat er die inneren Blutungen in meinem Körper bekämpft, gestillt und heilen lassen. Er ist geblieben, bis ich wieder vollauf gesund war.

Aber den Mumm, mir mit offenen Augen entgegen zu treten, hat er nicht gehabt. Laut Freedom und Cheri ist er einen halben Tag, bevor ich aufgewacht bin - mitten in der Nacht - aufgebrochen, ohne zu verraten, was seine Absichten sind und wohin er geht.

Ich empfinde darüber gemischt - es ist ein einziges Karussel, das sich am Ende doch wieder ausgleicht und an einem Nullpunkt angelangt, der diese Leere in meinem Inneren zur Folge hat. Einerseits freut es mich natürlich, dass er noch am Leben ist und auf der Flucht, und ich bin ihm dankbar, dass er mir geholfen hat - auf der anderen Seite habe ich ihm immer noch nicht wegen der Sache mit Ice vergeben und werde es wohl auch nie können. Außerdem bin ich natürlich stocksauer, dass er wie ein Feigling den Schwanz eingekniffen hat und abgehauen ist, ohne sich zu erklären oder wenigstens zu verabschieden, nachdem er einen solchen Trubel ausgelöst hat - so banal das auch klingen mag. Oh, und natürlich der Fakt, dass er während der Schlacht nicht im Geringsten eingegriffen hat, und Unschuldige hat sterben lassen.

Schließlich bleibe ich vor einer großen Eichentür stehen. Ich habe mein Ziel erreicht. Tief atme ich durch, um meine Nerven zu beruhigen, ehe ich den beiden Wachposten vor der Tür zunicke. Es wird Zeit, als künftige Königin mit den Gefangenen aus Luna zu plaudern.


Storming LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt