Siebenundzwanzig

101 10 0
                                    

Lucien

Auf dem Weg die Treppe nach oben, zum Zimmer des Anführers, geht er voraus und lässt seine Begleiter hinter mir hergehen. Ich kenne die Absicht dahinter - er will mich nervös machen. Na dann, viel Erfolg mit dem Ziel.

Unter meiner pelzgefütterten Kleidung habe ich nämlich - nur sicherheitshalber - zwei Dolche versteckt und mein langes, feuerrotes Haar bewusst zu einem strengen Pferdeschwanz zusammen gebunden. Man weiß ja nie, wann einen die nächste Horde Soldaten überraschen könnte. Meine Vorsicht hat sich ganz offenbar bezahlt gemacht.

Kaum haben wir den Schankraum des Gasthauses hinter uns gelassen, haben alle Gäste dort aufgeatmet und die feierliche Stimmung wieder mühsam aufgebaut. Nichtsdestotrotz scheint sie gedämpfter zu sein - die Angst vor einem Handgemenge scheint ihnen noch in den Knochen zu sitzen.

Schade, eigentlich. Ich habe die lockere Atmosphäre gemocht - und weit mehr von den finsteren Gesellen dort unten erwartet. Wie kann es sein, dass sie alle vor einem einfachen Mörder derart im Staub kriechen? 

Besagter Mörder stößt gerade seine Zimmertür auf und verschwindet im Raum dahinter. Aufrecht, die Arme locker an den Seiten baumelnd, folge ich ihm mit leicht beschwingtem Schritt. Meine Laune ist seit langem nicht mehr so gut gewesen wie gerade.

Sicher, man könnte meinen, ich sei verrückt geworden - immerhin spreche ich gerade davon, wie wundervoll ich es finde, dass man mich womöglich umbringen möchte -, aber es ist nun einmal eine willkommene Abwechslung zur steten Unsicherheit und dem nervigen Versteckspiel.

Der Raum ist mit einem schmalen Bett und einem kleinen Kartentisch vollkommen ausgefüllt.

An eben diesem Tisch bleibt der Anführer stehen. Mit dem Kinn deutet er auf einen Ring, der darauf liegt. "Um dieses kleine Schmuckstück geht es hier. Ich will wissen, ob er echt ist, oder nicht."

Ein Ring also - Moment. Sie brauchen tatsächlich meine Hilfe wegen eines Ringes? Verwirrt runzle ich die Stirn. "Muss ja ein ganz besonderes Teil sein, so versessen wie du darauf zu sein scheinst", murmele ich.

Er starrt mir finster ins Gesicht. "Das geht dich nichts an. Sag mir einfach, ob der Stein echt ist."

Fragend lege ich den Kopf schief. "Was ist mit meiner Bezahlung?"

"Die bekommst du danach", blafft er ungeduldig. "Zuerst die Arbeit, dann bekommst du eine faire Belohnung."

Ich unterdrücke ein Grinsen. Dieser Mann ist leichter zu lesen als ein Buch. Er scheint seine ganze Hoffnung auf diesen kleinen Ring zu setzen - so sehr, dass er sogar über meine Provokationen von zuvor hinweggeht. Gleichgültig zucke ich mit den Achseln und nehme den Ring in Augenschein.

Er besteht aus einem breiten, filigran verzierten, silbernen Band, in dessen Mitte ein winziger, eisblauer, kristallartiger Stein eingesetzt ist. Er ist so klein, dass er nicht von allzu großem Wert sein kann - was genau macht dieses Ding dann so besonders? Das Silber ist ein klein wenig verformt, als sei es in Kontakt mit hoher Hitze gekommen. Probeweise halte ich den Stein in das Sonnenlicht und betrachte, wie das Licht sich in ihm spiegelt und reflektiert wird. Nachdenklich drehe ich ihn ein wenig und betrachte das Lichtspiel aus verschiedenen Perspektiven. Dann fällt mir ein Buchstabe auf, der in den Stein hineingearbeitet worden ist. Und als ich genauer hinsehe, erkenne ich, dass er mehrere Buchstaben beinhaltet, die mir zuvor entgangen sind.

Mir stockt der Atem, als ich versuche, das Wort zu entziffern. Es ist ein Name, fällt mir schnell auf. Ein Name, bestehend aus drei Buchstaben. Mein Mund wird staubtrocken, als ich begreife, wem dieser Ring gehört hat. "Woher habt ihr den?", frage ich und versuche heiter, aber desinteressiert zu wirken, was mir nicht einmal annähernd gelingt. Meine Stimme klingt viel zu erstickt, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

"Gefunden", ist die knappe Antwort. Dem Anführer ist nicht entgangen, dass ich etwas Wichtiges entdeckt habe. "Ist der Stein echt?", wiederholt er genervt.

Wäre ich nicht derart schockiert davon, was dieser Ring ist, den ich anfangs so verspottet habe, wäre mir die Aggressivität in seinem Tonfall aufgefallen.

"Nein, er ist eine Fälschung", antworte ich nach einigen stummen Augenblicken, in denen ich den Ring noch ein paar Mal im Sonnenlicht herumgedreht habe.

Der Anführer kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. "Du lügst. Du verschweigst mir etwas."

Überrascht sehe ich auf - und sehe mich umzingelt von Männern, die allesamt ihre Waffen auf mich richten, bereit, zuzuschlagen, wenn ich den Ring nicht auf der Stelle zurückgebe.

Storming LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt