Fünfzig

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Lucien

Nachdenklich sitze an der Kante von Snows Bett und starre auf ihren reglosen Körper hinab.

Seit Snow einen Teil der Festung in die Luft gejagt hat, hat sie ihre Augen kein einziges Mal geöffnet. Und dieses Ereignis ist nun schon zwei Tage her.

Glücklicherweise hat mein Schild Snow schützen können - er hat standgehalten und den meisten Schaden von Snow fernhalten können. Wäre es anders gelaufen, wäre ihr Körper nun wohl ein gefrorener Haufen zerfetzter Glieder.

Trotz des Schildes hat Snow allerdings eine bedrohliche, unnatürliche Kälte abbekommen - eine Kälte, die nicht natürlichen Ursprungs sein kann, da Snow durch ihre Magie eigentlich resistent gegen tödliche Einflüsse von Wasser und Kälte ist, ähnlich wie es sich bei mir mit Feuer und Licht verhält.

Schaudernd betrachte ich meine Handflächen, als die Erinnerung zurückkehrt, wie leicht und kalt sich Snow in meinen Armen angefühlt hat, während ich sie in ihr Zimmer getragen habe. Es ist vollkommen normal, dass Snows Haut als Eisgeborene - oder Kondensator, wie es laut Freyas Liebhaber bezeichnet wird - kühler ist als gewöhnlich, aber dieses Mal war es tatsächlich abnormal. Snows Haut war so kalt wie Stein.

Nachdem ich sie draußen gefunden habe, in einer flüssigen, lauwarmen Wasserlache liegend, die entstanden ist, als mein um sie geschlungener Schild die dicke Schneeschicht geschmolzen hat, habe ich mich mit ihr hier drin eingesperrt und seitdem das Zimmer kein einziges Mal verlassen.

Genauso wenig habe ich geschlafen. Alles, was ich getan habe, war Snow anzustarren und zu welchen Göttern auch immer zu beten, dass sie überleben und die Augen aufschlagen möge.

Ein Klopfen unterbricht meinen Gedankengang. Die Person vor der Tür wartet erst gar nicht auf meine Erlaubnis, sondern reißt die Tür schwungvoll auf, sodass sie laut knallend gegen die Steinwand schlägt.

"Ich habe es jetzt lange genug hinausgezögert", schnaubt Fire, meine kleine Schwester. "Ann und ich haben dir etwas mitzuteilen, Lu. Etwas wichtiges, dass du wissen solltest, bevor Snow wieder zu Bewusstsein kommt."

Gleichgültig starre ich weiterhin Snow an. Ich fühle mich immer noch wie betäubt - und dieses Gefühl einer alles verschlingenden Leere wird wohl auch nicht verschwinden, bis sie ihre Augen wieder öffnet.

Ich höre, wie Fire mit den Zähnen knirscht, ehe jemand ihr etwas leise ins Ohr flüstert. Eine Hand legt sich auf meine Schulter. "Es hat mit Snow und dir zu tun", klärt mich eine leise, besonnene Stimme auf. Snows kleine Schwester - Annrhia.

Widerwillig wende ich Ihnen mein Gesicht zu und starre sie ausdruckslos an. Was auch immer sie ansprechen wollen, es ist so wichtig, dass Fire mir nicht einmal eine Standpauke darüber hält, dass ich zu wenig schlafe.

Stattdessen starrt sie mich mit grimmiger Miene an. Dann holt sie tief Luft - und in ihren Augen lodert Mitgefühl auf. "Du und Snow - ihr seid nicht die, die ihr zu sein glaubt. Man hat euch von klein auf manipuliert. Ihr seid-", weiter kommt sie nicht, denn in diesem Moment stößt Ann einen Laut der Überraschung aus, während sie über meine Schulter blickt.

Hoffnungsvoll wirbele ich herum.

Snows Lider zucken, dann schlägt sie die Augen auf - und mich lächelt ein Paar onyxschwarzer Augen an.

Und sofort begreife ich: Das ist nicht Snow.

Storming LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt