Lucien
Mühsam schleppe ich mich durch die hohe Schneedecke. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt eine Pause eingelegt habe.
Das Terrain hier ist aber auch wirklich ungastlich. Eine kniehohe Schneedecke, unter der unebene, raue Felsen lauern, einige höher als andere. Die ruhige Schneelandschaft wird unregelmäßig von hohen Gebirgsketten durchzogen, die ich entweder umgehen oder über sie hinweg klettern muss. Anfangs bin ich noch geklettert - anfangs habe ich noch genug Energie dafür gehabt.
Mittlerweile habe ich aber gelernt, dass jeder Funken Energie essentiell ist, um zu überleben. Selbst mit meiner Feuermacht, die mich permanent von innen heraus zu wärmen versucht, ist mir kalt.
Dabei ist das wirklich Schlimme gar nicht die Kälte. Es ist der Wind. Solange er mich umtost, kann ich kein Feuer hervorrufen, denn es aufrecht zu erhalten würde mich wieder zu viel Energie kosten. Egal wie dick ich mich einpacke, der Wind findet immer eine Stelle um durch meine Kleidung zu wehen, und das macht die Kälte noch schlimmer.
Meine größten Sorgen bereitet mir aber Snows Verfassung. Ich habe sie so gut es ging versorgt, und dabei nahezu meinen gesamten Vorrat an medizinischer Versorgung aufgebraucht - rein theoretisch müsste sie ihre Wunde überlebt haben.
Es sei denn, Cheri, Freedom und die Anderen sind in einen Kampf verwickelt worden - ohne Snow mit ihrer gewaltigen Macht kann ein derartiger Angriff fatal enden.
Auf der anderen Seite... Ich habe Snow zurückgelassen. So gesehen habe ich vielleicht gar nicht das Recht, mich um sie zu sorgen. Was nichts daran ändert, dass ich es tue...
Tief seufze ich und betrachte die Atemwolke, die dabei entsteht. Vor dem weißen Schneehintergrund mit der schwächlichen Sonne am Himmel funkelt die Wolke wie eine Handvoll Juwelen.
Trotz der tödlichen Gefahr dieses Gebiets, muss ich zugeben, dass es schön ist. Geradezu tödlich schön. Ein breits Grinsen stiehlt sich auf mein Gesicht. Diese Landschaft hier ist genauso wie seine Prinzessin. Es ist, als wäre Snow aus einem dieser großen Berge samt dem Schnee und der Rauheit herausgehauen worden.
Unnachgiebig, stur, mächtig, eigensinnig, tödlich, wiederborstig, robust... und wunderschön. Liebenswert, wenn man sich die Zeit genommen hat, sie zu studieren. Ihr Verhalten, ihre Art, die Weise wie sie spricht, wie sie geht, wie sie lacht, wie sie atmet...
Okay, Lucien, du kommst vom Thema ab. Du bist in Snow hoffnungslos verliebt, wir haben es alle verstanden. Deine Aussagen werden schon unheimlich. Du bist ein Prinz und kein notgeiler Stalker - wobei das meistens sogar auf dasselbe hinauskommt.
Ich kann nur den Kopf über mich selbst schütteln. Lucien, Prinz von Sol - derart einsam und verzweifelt, dass er schon gedankliche Selbstgespräche mit sich führt.
Wobei... würde ich losziehen und der Welt verkünden, dass ich ein Prinz sei, in dem Aufzug, wie ich derzeit herumrenne - niemand würde mir glauben. Man würde mich für verrückt erklären und auf die Straße setzen, damit ich elendig zugrunde ginge.
Der feuerrote Vollbart in Kombination mit den verfilzten, zerzausten, ungebändigten, langen Haaren ist aber auch wirklich nicht ehrfurchteinflößend. Meine Haare sind schon so lang, dass ich sie mir zu einem Schwänzchen binden könnte, wenn ich denn ein Band gehabt hätte.
Wobei ich zugeben muss - das Gesicht, das mir entgegen gestarrt hat, als ich einen Blick auf eine gefrorene Wasseroberfläche risikiert habe, sah trotz aller Ungepflegtheit noch genauso sexy aus wie zuvor. Einige Damen würden sicher auf diesen Look stehen.
Naja, wäre da nicht der fürchterliche Gestank, der von mir ausgeht. Ich weiß nicht einmal mehr, wann ich zuletzt ein Bad genommen habe.
Nicht, dass mir die Aufmerksamkeit der Damen etwas bedeuten würde. Nicht solange es eine gewisse Schneeprinzessin gibt, die mein Herz erobert hat.
Und die sich entschieden hat, mich zu verabscheuen. Ich kann es ihr nicht ganz verdenken.
Kopfschüttelnd stapfe ich weiter. In weiter Ferne sehe ich bereits den hellen Wachturm, der allen Reisenden verkündet, dass es nicht mehr weit ist bis zur Stadt, die dahinter liegt. Mein Ziel.
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Storming Light
Fantasy↬ Wenn Leben und Tod kollidieren...↫ ...Ich will nicht sterben. Das ist alles, woran ich denken kann. Als er mich ansieht, fährt ein schmerzhafter Stich durch mich hindurch. Ich kenne ihn. Ein einziges Gefühlskarussel dreht sich in mir, so plötzlich...