Zehn

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[Von hinten höre ich, dass die durch den Krach aufgeschreckten Wilden endlich angekommen sind. Und sie alle haben meinen letzten Satz - und die darin verborgene Drohung - gehört. Ein lautes Schaben von Metall auf Metall verrät mir, ohne, dass ich mich umdrehen müsste, dass sie soeben ihre Waffen gezückt haben und einen Plan entwerfen, wie sie mich am Schnellsten unter die Erde bringen können. Oder eher unter das Eis und den Schnee?]

Der Junge hebt nur eine Hand und alles und jeder hält inne. Seltsam, dieser Fakt, dass ein Haufen Wilder vor einem kleinen Kind zittert und ihm jeden Wunsch von den Augen abliest. "Warum bist du hier, Dämonin des Frosts?", fragt er unverhohlen und legt fragend den Kopf schief.

Ich kann mir ein lautes Schnauben nicht verkneifen. "Was für ein bescheuerter Titel. Von wem habt ihr den aufgeschnappt? Von einem Betrunkenen, in dessen Wirtshaus ihr zuvor wart?", spotte ich. Würde man mich fragen, warum ich auf einmal so angriffslustig bin, könnte ich keine Antwort geben. Irgendetwas an der Art, wie dieser Hosenscheißer sich aufspielt, stört mich gewaltig. Vielleicht entlädt sich auch einfach meine Anspannung der letzten halbe Stunde, wer weiß - oder ich freue mich innerlich einfach, wieder mit Worten um mich werfen zu können.

"Es gibt hier weit und breit kein Wirtshaus, was du aufgrund deiner Herkunft auch weißt", grummelt der Junge. Aww, offenbar hat ihm mein kleiner Witz nicht gefallen. Armer, armer Junge. Jetzt bin ich aber gekränkt.

"Ach, wirklich?", schmunzle ich sarkastisch. Was tue ich hier eigentlich? Mit einem kleinen Kind sinnlos im Kreis diskutieren, als wäre ich ein Kleinkind? Und das bei meinem noch immer schmerzenden Hals! Ungeduldig scharrt der Junge mit den Füßen, was ich mit einem spöttischen Kopfschütteln kommentiere. Ich habe wirklich besseres zu tun, als mich mir mit sowas die Zeit zu vertreiben. "Ihr habt jemanden, der zu mir gehört, und ich bin hier, um sie abzuholen", komme ich auf den Punkt.

"Wer?", murmelt der Junge scheinheilig und malt gespielt fragend ein Fragezeichen in die Luft. "Ach richtig, die kleine Rothaarige mit dem losen Mundwerk", höhnt er.

Leise kichere ich spöttisch. "Bist du dir sicher, dass du dich in der Position befindest, sie klein zu nennen? Soweit ich weiß, ist sie älter als du."

"Aber nicht stärker", grinst er und wieder leuchtet die Mordlust in seinen Augen.

Ich will widersprechen und mich unabsichtlich wieder in einer sinnlosen Zankerei verlaufen, aber der Schrank findet dann doch seine Zunge wieder und mischt sich ein. "Hugo, bitte", murmelt er leise. In seiner Stimme schwingt nichts als Ehrfurcht mit.

Meine Güte, so behutsam, wie sie den kleinen, armen Hugo behandeln, könnte man meinen, er sei eine Glaspuppe.

"Na gut", seufzt Hugo theatralisch, wirbelt herum und schlägt einmal mit seiner kleinen Faust auf die Tür eines Holzschranks hinter ihm, die daraufhin aufspringt. Wie ein Stein fällt ein Mädchen, gefesselt und geknebelt, heraus. Sie wäre hart auf dem Boden aufgekommen, hätte ich nicht ein Lüftchen in ihre Richtung geschickt, das sie auffängt.

Freedom. Ihre roten Haare sind verfilzt und schmutzig, ihre Kleidung ist an einigen Stellen zerschlissen, aber sie ist unverletzt. Verwirrt blinzelt sie dem Licht der Fackeln entgegen, während ihr Blick fragend über uns schweift. Als sie mich sieht, reißt sie die Augen auf und ein Licht erblüht in ihren Augen.

Ich nicke ihr nur kurz zu, ehe ich mich wieder auf Hugo konzentriere. Der ist inzwischen wieder ernst geworden und der Hohn ist aus seiner Stimme geschwunden. "Ich mag jung sein, aber ich bin nicht dumm. Ich wusste, dass du hier früher oder später auftauchen wirst", erklärt er. "Und egal, was die Gerüchte alles über dich behaupten, in einem Punkt sind sie sich alle einig: Du besitzt eine Macht, die man lieber nicht unterschätzen sollte, und du begleichst immer deine Schulden." Nachdenklich verschränkt er die Arme.

Mit einer Hand deute ich ungerührt hinter mich. "Wenn deine Hündchen nicht sofort aufhören, Freedom mit ihren Blicken auszuziehen, kannst du dich darauf gefasst machen, in Zukunft einen blinden Wildentrupp anzuführen", knurre ich.

Ohne hinzusehen spüre ich anhand der Luftveränderungen, wie die Männer hinter mir zusammen zucken und sofort alle ertappt in unterschiedliche Richtungen blicken.

"Kannst du es ihnen verdenken? Sie haben seit Monaten keine Frau mehr gesehen, und dann tauchen sogar gleich zwei Schönheiten hier auf", zuckt Hugo mit den Schultern und schenkt irgendeine Flüssigkeit in zwei Gefäße. Ein schmutziges Grinsen umspielt seine Mundwinkel.

Diesen Hosenscheißer in seinem Alter so etwas sagen zu hören ist irgendwie mehr als verstörend. Und dazu seine Mimik... Allein schon beim Anblick läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Nicht aus Furcht - sondern aus Abscheu.

Ohne die Wilden eines Blickes zu würdigen, wedelt er mit der Hand Richtung Gang. "Kümmert euch um euren eigenen Kram", befiehlt er, "Ich habe hier Verhandlungen zu führen."

Zustimmendes Gemurmel erklingt hinter mir und ich höre sich entfernende Schritte. Erst jetzt drehe ich den Kopf, um dem Schrank in die Augen zu sehen. Der hat sich in der Zwischenzeit in eine Ecke zurückgezogen und die Arme vor der breiten Brust verschränkt, die Hände untergeschoben, um das Zittern von ihnen zu überspielen.

Ein Blick zu Freedom bestätigt mir, dass sie das Gleiche denkt, wie ich: Feigling.

Storming LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt