Vierundzwanzig

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Lucien

Gierig setze ich die Schüssel an den Mund und nehme einen großen Schluck von der Brühe darin.

Ich sitze in einem Gasthaus im Inneren der Stadt - ich habe mir ein Zimmer gemietet und befinde mich gerade in einer Art Speisesaal. Ich habe mir zuvor die Freiheit genommen, mein äußeres Erscheinungsbild etwas in Ordnung zu bringen - ich habe ein Bad genommen, meinen Vollbart abrasiert, meine verknoteten Haare entwirrt und sie zu einem Schwänzchen gebunden. Den Sack mit den restlichen, selbst geschmiedeten Waffen habe ich längst verkauft - ich benötige kein unnötiges Gewicht. Es geht hier zu, wie in einer lebhaften Taverne: lautes Gelächter, viele Stimmen, Kartenspiele, und zwielichtige Geschäfte, die in den Schatten abgeschlossen werden.

Ein Stich der Sehnsucht durchzuckt mich. In Sol ist es ganz normal gewesen, wenn es so lebhaft zuging. Der Lebensstil der Solaner ist verschwenderisch und voller Lebensfreude gewesen - wo es Essen gab, gab es auch Musik, wo es Musik gab, gab es Alkohol, und wo es Alkohol gab, gab es auch zwielichtige Gesellen. Wo es Letztere wiederum gab, gab es auch Kurtisanen, und wo es diese gab, gab es gute Laune.

Aber das letzte Mal, dass ich eine Taverne in Sol gesehen habe, ist es ganz still gewesen. Es ist kaum jemand zugegen gewesen, und die, die da gewesen sind, haben sich in sich zurückgezogen und kein Wort gesprochen. Es ist eine trostlose Atmosphäre gewesen - kein Wunder, immerhin ist ihr König ermordet, ihr Prinz auf der Flucht und ihr Land besetzt worden.

Hier in Luna dagegen feiert man noch in vollen Zügen. Die Lunier haben keinen Grund, Trübsal zu blasen - ihr Königreich floriert noch immer. Auch, wenn es hier keine weiblichen Kurtisanen gibt, da es hier als unschicklich gilt - oder so ähnlich habe ich das zumindest mal gehört - ist die festliche Atmosphäre greifbar.

Ich höre, wie jemand meinen Decknamen flüstert und sehe aus dem Augenwinkel, wie jemand auf mich zeigt - es ist eine Gruppe von Mädchen, ihrem Aussehen her Bedienstete des Gasthauses. Eine von ihnen errötet, als sie in meine Richtung blickt, und die anderen tuscheln noch aufgeregter miteinander.

Bei dieser Aufmerksamkeit fühle ich mich geschmeichelt. Aber wenn der Wirt mitbekommen würde, wie seine eigene Tochter einem fremden Schmied schöne Augen macht, würde er einen Wutanfall bekommen - das weiß auch sie, daher hält sie Abstand. Verschwörerisch zwinkere ich ihr zu und sie wird noch röter.

Ja, ich weiß, dass es ungerecht ist, mit den Gefühlen dieser Mädchen zu spielen. Snow geht mir immer noch nicht aus dem Kopf und ich sehne mich derart nach ihrer Nähe, dass ich mittlerweile von einem konstanten inneren Schmerz heimgesucht werde.

Allein schon, um mich davon abzulenken, spiele ich hier dieses Spiel. Snow wird mich wohl niemals zurückwollen - immerhin bin ich Mitschuldig an dem Tod ihres Zwillingsbruders. Also was ist schon dabei, wenn ich mich ein wenig amüsiere?

Natürlich ist es ungerecht der Wirtstochter gegenüber. Ich mache ihr Hoffnung, während ich Hals über Kopf in eine Andere verliebt bin. Und obwohl ich weiß, dass es mich wie einen hinterhältigen, kaltherzigen Idioten aussehen lässt - ich kann der Versuchung, mich endlich von meiner unerwiderten, hoffnungslosen Liebe abzulenken, nicht widerstehen.

Vielleicht sollte ich aber zuerst einmal erklären, warum ich es mir leisten kann, ohne Umhang im Wirtshaus herumzusitzen, ohne, dass ich jeden Moment mit einem Aufschrei und einem Trupp Soldaten rechnen muss - und was es mit dem mysteriösen Schmied namens Leo auf sich hat, als der ich mich ausgebe...

Storming LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt