Fünfundvierzig

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WÄHRENDDESSEN IM SCHLOSS VON SOL...

Tray

"Erstatte Bericht, Eure Majestät", melde ich mich zu Wort, während ich auf dem Boden knie. Meine Stimme klingt nach wie vor kratzig und rau und schrill. Sie ist so angenehm wie Nägel, die an einer Tafel kratzen - aber das verwundert mich nicht mehr, nicht nach den Experimenten, die der König an mir und den anderen durchgeführt hat.

Er wolle Handelsbeziehungen erörtern, ist seine Nachricht an die fernen Kontinente gewesen. Ha, dass ich nicht lache! Handelsbeziehungen waren es, oh ja, aber längst keine legalen und auch keine, die man bei einer solchen Botschaft erwarten würde! Oh, und wie Idioten sind wir in die Falle hereingetappt, nachdem man uns allerhand vor dem Wahnsinn des lunischen Königs gewarnt hat...

"Ich höre?" Seine Stimme - oh, wie ich seine Stimme hasse! Diese monotone, arrogante, selbstgefällige, kalte...

Ich senke meinen Kopf noch ein Stück tiefer. "Uns hat Kunde von unseren Verbündeten in Luna erreicht. Es scheint, als sei der Angriff auf den Stützpunkt Eurer Tochter fehlgeschlagen. Ein gewisser, solischer Prinz ist ihr samt Prinzessin zu Hilfe geeilt, und es scheint, dass auch Eure jüngste Tochter sich auf ihre Seite geschlagen hat."

Schweigen.

Er denkt, wir seien dumme, blinde Biester, die er nach freiem Willen herumkommandieren kann - ha! Dieser arrogante, faule Sadist hat keine Ahnung! Den ganzen Tag sitzt er auf seinem Thon, leert einen Kelch Wein nach dem anderen und bellt irgendwelche Befehle!

Ich kann zwar nicht sehen im eigentlichen Sinne, aber ich kann spüren. Und deshalb weiß ich auch, dass er breit grinst, einen tiefen Schluck Wein nimmt und glückselig aus dem Fenster starrt. Er denkt, wir hätten keinen eigenen Willen, und deshalb ist er auch so dumm, dass er unbedachte Kommentare in unserer Anwesenheit von sich gibt - wie auch jetzt...

"Ist das so, ja?", sinniert er und grinst noch breiter, seine Augen glasig. "Dann wird es wohl jetzt nicht mehr lange dauern, bis sie erwacht. Nicht mehr lange, dann kehrt meine geliebte Königin zu mir zurück - und dann werden wir ein großes, blutiges Fest veranstalten...", er lacht leise.

Mit einem Fingernagel fährt er über die Oberfläche des Kelches und ein scharrendes, schrilles Geräusch ertönt. "Komm schnell zu mir zurück, oh Geliebte", haucht er und ihm ist anzuhören, dass er absolut nicht mehr in der Realität verankert ist, sondern irgendwelchen Träumen nachjagt. Der König ist wahnsinnig - oh welch Wunder! "Komm zu mir zurück, geliebte Cynthia, und bringe mir deinen Körper dar, oh Königin der Finsternis...", singt er leise vor sich hin.

Das wäre wohl der Moment, an dem ich die Augen verdrehen würde - wenn ich denn noch welche besitzen würde. Danke dafür, König von Luna. Hat mein Leben wirklich bereichert. Hust.

"Du!", ruft der König plötzlich aus und deutet auf mich, "Bring mir mehr Wein!"

Ich unterdrücke einen schweren Seufzer. Er wird sich wohl nie die Mühe machen, sich unsere Namen zu merken.

Ich verbeuge mich tief - was ohne Arme und dafür mit Flügeln gar nicht so einfach ist, aber ich habe es mir selbst beigebracht, und darauf bin ich, gelinde gesagt, sehr stolz. Abgesehen von mir wird ohnehin niemand je diese Leistung zu würdigen wissen.

Ergeben wende ich mich ab, schwinge mich in die Lüfte und mache mich auf den Weg zu der Vorratskammer für Wein.

Storming LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt