„Du hilfst ihr aber nicht!"

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„Warum machst du dir überhaupt Sorgen? So wie ich sie kenne, hockt sie doch eh wieder nur am See und hat die Zeit vergessen."
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das war die Stimme von Lily. Nicht jetzt. Nicht hier. Hell, no. Krampfhaft und mit zitternden Knien versuchte ich mich auf die Beine zu hieven. Sie waren vollkommen taub von der Kälte des Bodens. Ich umklammerte meine Kleider, die ich nach wie vor als Bündel an meine Brust gepresst hielt und hoffte inständig, dass sie mich einfach nicht bemerken würden. Dass ich einfach unsichtbar im Boden versinken würde.
„Du bist mitgekommen, also mecker nicht."
Marlene? Meine Tränen stoppten für einen Moment. Heiliger Kappa. Wie sollte ich ihr das bitte erklären? Wie konnte ich ihr das erklären, ohne wie ein Stück Dreck dazustehen? Leicht panisch schaute ich mich nach einem Versteck um. Wieder in den See? Wäre vielleicht besser, als-
„Freya?! Was im Namen von Merlins pinker Unterhose?!" Scheiße. Zu spät.
Ich hörte Marlenes schnelle Schritte auf mich zurennen. Keine Sekunde später tauchten ihre blau-grünen Augen in meinen Sichtfeld auf. Ich mied ihren Blick.
„Freya, alles okay?!" Sie packte mich an den Schultern, was einerseits dafür sorgte, dass ich nicht mehr wegen meiner tauben Beine schwankte, wie ein besoffener Bergtroll, andererseits, fühlten sich ihre warmen Hände auf meiner eiskalten Haut an wie glühende Kohlen. Ich wollte ihre Hände abwehren, aber dafür hätte ich mein Bündel mit den Kleidern loslassen müssen und meine Hände wollten mir einfach nicht gehorchen, sondern klammerten sich einfach weiter daran fest.
Im Augenwinkel sah ich Lily meine verstreuten Sachen auf dem Waldboden inspizieren. Wehe, sie rührte irgendwas davon an. Dann würde ich sie Dunar zum Mittagessen vorwerfen.
Marlene nahm ihre Hände von meinen Schultern und zog ihren Zauberstab.
„Achtung, warm."
Sie murmelte ein Wort. Aus der Spitze ihres Zauberstabs strömte warme Luft, die über meinen Körper strich und ihm langsam wieder Leben einhauchte. Die Luft brannte. So fühlte es sich zumindest an. Nach ein paar Minuten konnte ich meine Hände wieder halbwegs bewegen und mir nach und nach meine Kleider wieder überstreifen. Trotzdem war mir kalt, aber das würde ich sicher nicht zugeben.
„Was ist passiert?", fragte Lily mich vehement, während ich meine Sachen vom Waldboden einsammelte. Ich schüttelte den Kopf.
„Wer war das?!", hakte sie noch einmal nach, nachdem ich mich mit meiner Tasche in der Hand wieder aufgerichtet hatte. Ich konnte spüren, wie sie krampfhaft versuchte, mir in die Augen zu schauen, während ich weiter auf den Boden starrte.
„Jetzt sag doch mal was!" Nein. Was musste ich denn bitte tun, damit sie das verstand?
Marlene schob sich zwischen uns.
„Du siehst doch, dass sie dir nicht antworten will. Glaubst du, wenn du fünf Mal fragst, dann wird's besser?!", fuhr sie Lily an.
„Ich versuche doch nur, ihr zu helfen!", fauchte Lily.
„Du hilfst ihr aber nicht!"
Ich lief weiter rückwärts. Nicht noch mehr Streit. Bitte nicht. Ich hätte die beiden gerne auseinandergezogen, aber etwas in mir stellte sich quer. Dann würden sie mich anschnauzen und nicht mehr sich gegenseitig.
Marlene schnaubte. Sie schloss kurz die Augen, vermutlich um sich zu beruhigen, während Lily sie weiter feindselig anstarrte.
„Lily. Bitte lass es einfach einen Moment bleiben, ja?", sagte sie dann in ruhigem Ton. „Ich weiß, dass du wieder irgendwen schuldig machen willst, aber das hilft hier nicht." Sie drehte sich um und lief die paar Schritte, die uns beide noch trennten. Jeden anderen hätte sie in dieser Situation vermutlich umarmt, aber sie wusste genau, dass ich das auch in so einer Situation absolut nicht abkonnte und stand deshalb nur wie eine Säule aus Ruhe und Schutz neben mir.
„Das ist doch absolut lächerlich! Sie kann doch einfach sagen, wer das war. Problem gelöst!"
„Nein. Eben nicht." Marlene nahm meinen Umhangärmel. „Komm, du musst ins Warme, Freya."

Zügig eskortierte sie mich von der Lichtung und ließ Lily, mit der sie sich normalerweise recht gut verstand, einfach stehen.
„Wann begreift die endlich, dass das Gehirn anderer Menschen nicht genau so funktioniert, wie ihr eigenes?", murmelte sie, während sie neben mir über die Schlossgründe nach oben zum Schloss lief.
Ich zuckte die Schultern. Wann würde Marlene endlich begreifen, dass sie ohne Lily besser dran war? Je weniger sie mit Lily zu tun hatte, desto weniger hatte sie mit Potter zu tun und desto weniger hatte sie mit Black zu tun. Das wäre für uns beide eine Win-Win Situation.
Feiner Regen, fast wie Nebel, wehte mir ins Gesicht. Innerhalb kürzester Zeit war mir wieder eiskalt. Die große Halle war schon recht voll, für das anstehende Abendessen. Ich hasste es, zu den Stoßzeiten zu essen, aber da musste ich jetzt wohl durch.
Während dem Essen sprach keiner von uns beiden ein Wort. Still sortierte ich alle meine Notizen wieder in ihre Bücher, reparierte mein Tintenfass, das beim Sturz aus der Tasche einen Sprung bekommen hatte und bog die Spitze meiner Feder wieder gerade, während ich mir warme Erbsensuppe in den Magen löffelte. Die Suppe wärmte immerhin auch von innen.
Erst, als ich die letzten Reste der Suppe ausgekratzt hatte, setzte Marlene wieder zum Reden an.

„Möchtest du drüber reden? Oder lieber nicht?"
Ich schluckte und schüttelte dann den Kopf. Nein. Wenn ich jetzt anfangen würde darüber zu reden, dann würde ich wieder anfangen zu flennen. Außerdem würde mir Marlene eh nicht glauben, dass Black an der ganzen Sache schuld war.
Sie nickte und stand auf. „Irgendwann les ich deiner Schwester mal gehörig die Leviten, glaub mir.", murmelte sie und warf einen Blick zum Gryffindortisch, wo sie mit ihren Freunden saß. Mein Magen drehte sich um, als ich feststellte, dass unter ihren Freunden auch die vier Rumtreiber waren. Wahrscheinlich hatten die nicht mal auf dem Schirm, dass sie meine Schwester war.
Ich zwang mich wegzusehen und folgte Marlene aus der großen Halle zum Ravenclawturm.

Erst abends im Bad traute ich mich wirklich etwas zu sagen. Marlene stand vor dem Spiegel und putzte ihre Zähne, während ich meine Haare für die Nacht zu einem Zopf flocht.
„Potter und Black.", sagte ich leise. Es kostete mich unfassbar viel Überwindung. So viel, dass ich das Gefühl hatte, jetzt erst einmal eine Stunde lang nichts mehr sagen zu können.
Marlene schien nicht wirklich überrascht, aber doch schockiert. Ihre Zahnputzbewegungen wurden langsamer.
„Unten am See?", fragte sie dann langsam, gedämpft durch den Schaum der Zahnpasta.
Ich nickte und band langsam ein Zopfgummi um das ungleichmäßig lange Ende meiner Haare. „Sie haben meine Sachen geklaut während ich mit Dunar im See war. Pettigrew und Lupin haben nur danebengestanden und nichts gemacht."
Marlenes Zahnputzbewegungen stoppten vollends.
„Black wollte, dass ich mich wehre, dass ich was tue, aber ich hab nichts gemacht und..."
Ja. Was und? Und hatte mich gedemütigt? Hatte seinen Freund dazu angestachelt, mir meine Unterwäsche auszuziehen?
Mit einem Klatsch landete eine Pfütze von Marlenes Zahnputzschaum auf den Fliesen des Bads. „Ich bring ihn um.", murmelte sie und spuckte die Reste ihrer Zahnpasta ins Waschbecken. „Nein. Ich bring sie beide um. Meinetwegen erwürge ich sie nachts im Schlaf. Es ist mir egal. Ich bring Potter und Black um.", fauchte sie. „Ich. Bring. Sie. Um."

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt