„Hey, Wolfsmädchen! Heul mal!"

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Nach dem Essen im Gemeinschaftsraum, nachdem ich mein logisches Denken wieder zurückerlangt hatte, erklärte Marlene mir ihre Konstruktion noch ein Mal genauer. An unserem kleinen Stammplatz neben einem der Fenster, an das gerade große Regentropfen prasselten. Normalerweise hielt mich Regen nicht davon ab, nach draußen zu gehen, aber Marlene bestand darauf, dass ich mir sonst eine weitere Erkältung einholen würde und ließ mich deshalb nicht aus den Augen.

„Also. Das ist ja schön, dass du der Meinung bist, dass du keinen Notfallplan brauchst, aber ein Plan B ist nie verkehrt."
Ich nickte nur langsam und drehte das dünne Lederarmband um mein Handgelenk. Marlene tippte mit ihrem Bleistift auf die Zeichnung.
„Das bauen wir an einen Baum im Wald, dann hast du einen Notfallschalter, falls was schief geht." Damit schien für sie alles erklärt. Erwartungsvoll sah sie mich an, wie der apportierende Niffler, als würde sie hoffen ein Leckerli zu bekommen,
„Marlene, das sind Striche um einen Baum.", sagte ich dann und fuhr mit der Spitze meines Zauberstabs über die dunkelgrauen Linien. „Was soll ich denn daran verstehen?"
„Ich hab das doch alles dazugeschrieben.", entgegnete sie und schob meinen Zauberstab vom Pergament, bevor ich es versehentlich in Brand setzen konnte.
„Deine Schr-" Ein Papierflieger unterbrach meine Worte. Er landete zwischen uns auf dem Tisch. Leicht frustriert warf ich ihn wieder dahin zurück, woher er gekommen war. Der Gemeinschaftsraum war mir lieber, wenn er deutlich weniger voll war. „Deine Schrift ist so klein, die könnte man nicht mal lesen, wenn man sie aufs dreifache vergrößern würde!"
„Freya, ich versuch dir zu helfen! Jetzt pack mal den angepissten Ton weg!", fuhr sie mich an.
„Ich... tut mir leid." Ich fuhr mir mit den Händen durchs Gesicht und über die Kopfhaut. „Ich bin einfach nur müde und-"
„Hey, Wolfsmädchen! Heul mal!", kam es von einem Jungen hinter meinem Rücken.
„Halt die Schnauze, Hackfresse!", schrie Marlene zurück.
Ja, mir war grade wirklich nach Heulen zumute, aber nicht so, wie er es vermutlich gerne gehabt hätte.
„Ich bin einfach nur müde und fühl mich ausgebrannt.", seufzte ich und versuchte den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken.
Marlene lehnte sich ein kleines Stück nach vorne. „Innere Blutungen?", fragte sie dann.
Ich nickte nur und strich mir die Haare wieder hinter die Ohren.
„Heiß duschen. Hilft bei mir immer am besten.", empfahl sie mir und faltete ihre Zeichnung zusammen.
„Gleich." Ich faltete die Zeichnung wieder auf. „Bitte. Erklär."
Sie lächelte. „Also..."

Zehn Minuten später machte ich mich auf den Weg nach oben.
„Gehst du jetzt flennen?!", folgte mir noch der Spott des Jungen von vorhin.
Aus den Augenwinkeln konnte ich noch einen roten Lichtblitz erkennen, bevor ich die Tür zu den Mädchenschlafsälen hinter mir zuzog. Ziemlich sicher hatte der Typ gerade einen von Marlenes Schockzaubern auf den Hals gejagt bekommen.

Colloportus.", murmelte ich. Mit einem Klicken verschloss sich die Badezimmertür. Meine Unterleibsschmerzen wurden fieser, während ich mich etwas ungeschickt aus meiner Schuluniform schälte. Jeden Monat der gleiche Müll. Mit einem Schwung meines Zauberstabs hob ich den Aufsaugezauber von meiner Unterhose wieder auf und warf sie in den Wäschesack, der neben der Tür stand.
Nachdenklich bürstete ich mir durch die langen, zottigen Haare und starrte mein Spiegelbild an. Die Akne auf meiner Stirn und an meinen Schläfen war schlimmer geworden. Das wurde sie immer, wenn ich meine Tage hatte, aber vielleicht kam das auch durch den Stress. In den Ferien war sie normalerweise nicht so schlimm. Aber immerhin lenkten meine Narben etwas davon ab. Manche in meinem Gesicht mochte ich sogar ganz gerne, zum Bespiel die, die direkt durch meine linke Augenbraue lief, die mir damals ein Schnatzer verpasst hatte.
Mit einem Seufzer zog ich meine Zotteln über die Schulter nach vorne und drehte mich um, sodass ich mit dem Rücken zum Spiegel stand. Die weißliche Narbe, die rechts neben meiner Wirbelsäule von meinem Nacken bis zum Steißbein verlief. Im Gegensatz zu manchen anderen Narben würde die wohl nie blasser werden. So alt war sie auch noch nicht einmal. Vielleicht sollte ich aufhören dumm vor dem Spiegel zu stehen und endlich mal duschen gehen...

Eiskaltes Wasser traf die cremeweißen Fliesen und meine Zehenspitzen. Wie immer dauerte es kurz, bis das Wasser warm wurde. Endlich wurde es erträglich warm. Wenige Sekunden später prasselte heißes Wasser auf meine Kopfhaut. Sofort konnte ich spüren, wie sich der Knoten in meinem Unterleib wenigstens etwas lockerte.
Meine Gedanken wanderten über Umwege zu den Rumtreibern. Ihr nächster Streich konnte eigentlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Vielleicht war Lupins Verhalten nur eine Vorbereitung gewesen. Obwohl, eigentlich war er nicht derjenige, der sich maßgeblich an den Aktionen beteiligte. Warum sah menstruieren unter der Dusche eigentlich immer so aus, als würde man gerade schwere Organschäden erleiden? Aber trotzdem hatte er die letzten Jahre nur wenig getan, um seine Freunde davon abzuhalten, anderen Leuten das Leben zu Hölle zu machen. Mich eingeschlossen.
Die Entschuldigung von Pettigrew ging mir trotzdem nicht aus dem Kopf. Mein Gefühl sagte mir, dass er es ernst mit mir gemeint hatte, aber mein Misstrauen hielt dagegen. Was, wenn das nur vorgespielt gewesen war?
Aber vielleicht wäre es auch für sie ein Signal, wenn ich den Werwolf zähmen würde. Vielleicht würden auch Black und Potter dann lernen, dass ich nicht nur ein Hackklotz war, auf dem sie das Holz ihres Spotts spalten konnten.
Mit einem Seufzer drehte ich das Wasser ab. Egal, wie ich es drehte und wendete. Immer lief es auf den Werwolf hinaus.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt