Tentaculas und Mittagsschlaf

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Mit einem schnellen Griff packte ich die Rebe der Tentacula, die sich mit aller Kraft zu wehren versuchte. Um uns herum war das reiste Chaos. Wir hatten von Professor Sprout den Auftrag bekommen, jeder einer Tentacula ein Fläschchen voll Gift abzuzapfen. Ungewollt leicht belustigt stellte ich fest, dass Potter und Lupin mit ihrer Schlingpflanze deutlich mehr Probleme zu haben schienen.
„Glaub mir, das ist keine gute Idee.", sagte Marlene leise, während sie an den Dornen der Ranke zog, die ich hielt, um ihr etwas Gift abzuzwacken. Sie musste sich nicht die Mühe geben zu flüstern. Das Fluchen unserer Mitschüler um uns herum war laut genug.
„Und warum sollte ich dir das glauben?", fragte ich sie mit leicht ironischem Unterton. „Weg!"
Marlene duckte sich unter dem Ast hinweg aus der Reichweite der Tentacula und ich ließ die Ranke los. Ich schüttelte meine Arme aus. Nach fast anderthalb Stunden Ringen mit einer Pflanze, die absolut keinen Bock hatte, etwas von ihrem Gift abzugeben, fingen sie doch langsam an zu brennen. Meine Freundin schwenkte die grau-rötliche Flüssigkeit in dem knapp dreiviertel vollen Fläschchen in ihrer Hand.
„Das ist ein Werwolf. Das sollte dir eigentlich als Begründung reichen." Sie zog sich kurz ihre Drachenlederhandschuhe von den Händen, um sich die kleinen Locken wieder hinter die Ohren zu schieben, die sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst hatten. Auch meine kleinen Fusselhaare lockten sich vom Schweiß auf meiner Stirn.
„Als hätte ich mich mit noch nichts Gefährlicherem abgegeben.", gab ich zurück. Mit einem Kopfnicken gab ich ihr zu verstehen, dass sie sich bereithalten sollte. Kurz knackte ich mit den Fingerknöcheln, dann machte ich einen schnellen Schritt nach vorne und packte das dicke Ende der nächsten Ranke.
„Ich hab aber ehrlich keine Lust drauf, dass meine beste Freundin von einem Werwolf zu einem Schnitzel verarbeitet wird." Marlene duckte sich wieder unter die Ranke.
Meine Oberarme zitterten und meine Hände schwitzten in den Handschuhen. „Ich hab mit zwölf einem leibhaftigen Drachen gegenübergestanden und bin nicht draufgegangen. Mach dir mal keinen Kopf."
Sie zog wieder an den Dornen und hielt das Fläschchen darunter, in das nach und nach kleine Tropfen fielen. „Aber den hast du nicht versucht zu zähmen wie eine Lebensmüde."
„Weg!", presste ich noch heraus, bevor die Ranke unser Pseudo-Armdrücken gewann. Gerade noch rechtzeitig wich Marlene den giftigen Dornen aus und flüchtete sich neben mich in Sicherheit. „Wenn Mom mich damals gelassen hätte, dann hätte das auch versucht. Mach dir mal um mich keinen Kopf."
„Meinst du, ich soll mir eher um den Werwolf Sorgen machen oder was?"
„Du redest immer von dem Werwolf. Da steckt ein Mensch unter dem Pelz und mit Menschen kann ich noch schlechter umgehen, als mit Tierwesen. Egal welche Gefahrenstufe."
Marlene seufzte und verkorkte die Flasche. „Das macht die Tatsache nicht besser, dass dich so ein Vieh in Sekunden töten kann."
„Ich bin schon mit einer ganzen Menge anderem fertig geworden."
„Oder auch nicht." Marlene tippte auf meinen Umhang ein meinem Rücken, wenige Zentimeter rechts neben meiner Wirbelsäule. Ich verdrehte die Augen.
„Das gehört halt dazu. Die Chance lass ich mir beim nächsten Vollmond nicht entgehen."
Marlene seufzte. Sie schien die Diskussion mit meinem Sturkopf aufgegeben zu haben. Gemeinsam beobachteten wir unsere Mitschüler um uns herum. Die meisten waren unserer Strategie gefolgt und packten die Ranken mit aller Gewalt.
„Noch drei Minuten!", tönte Professor Sprouts Stimme durch das Gewächshaus. „Denken Sie daran. Die vollste Flasche bekommt 25 Hauspunkte!"
Etwas kritisch betrachtete ich das Fläschchen in Marlenes Hand. Dann ließ ich meinen Blick wieder über den Rest der Klasse schweifen. Gerade schien jeder mit seiner eigenen Pflanze beschäftigt.
„Gib mir mal grad die Flasche.", murmelte ich.
Schulterzuckend reichte Marlene sie mir. „Wenn du willst, dass ich die Ranken halte, das kannst du mit meinen Laucharmen vergessen."
Ich grinste nur. „Brauchst du nicht."
Den Holzkorken drückte ich ihr wieder in die Hand und tauchte dann unter die Ranken. Natürlich fing die Schlingpflanze sofort an, mit ihren Ranken nach mir zu schlagen, aber ehe sie mich erwischen konnte, rieb ich mit zwei Fingern über eine der Ranken, die mir am nächsten war. Sofort stoppten ihre Angriffe. Schnell hielt ich die Flasche unter die Dorne, über der ich den Ast streichelte. Keine zehn Sekunden später war sie voll und ich tauchte wieder auf.
„Manchmal ist Gewalt nicht die richtige Lösung.", lächelte ich und ließ sie die Flasche wieder verkorken.
„Warum hast du das nicht gleich gemacht.", entgegnete Marlene mit einer Mischung aus Irritation und Genervtheit.
„Das funktioniert nicht immer und meistens nur, wenn man sich schon ein wenig mit den Dingern geprügelt hat. Außerdem hätten die anderen versucht, das nachzumachen und wären vermutlich dabei erwischt worden."
„In deiner eigenen kleinen Welt sind deine Argumente manchmal erstaunlich schlüssig.", murmelte sie. Ihre Worte wurden von Professor Sprout übertönt.
„Die Zeit ist um! Immer einer der Paare bringt mir bitte die Flasche!"
Mit einem irgendwie grenzdebilen Grinsen im Gesicht brachte Marlene unsere Flasche nach vorne. Nur wenige Sekunden vor dem Ende der Stunde, hatte sie alle sieben Fläschchen vor sich aufgereiht.
„Damit haben wir ein eindeutiges Gewinnerpaar! 25 Punkte gehen an das Haus Ravenclaw für Miss McKinnon und Miss Winter! Ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen!"
Marlene hielt mir ihre Hand zum Abklatschen hin. Ich schlug ein. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg nach oben zu Geschichte der Zauberei. Ich konnte nicht sagen, ob der Blick, den uns Lily zuwarf Neid, oder Missbilligung war, weil wir geschummelt hatten.

Im stickigen Klassenzimmer im zweiten Stock ließ ich mich auf unseren Platz in der vorletzten Reihe fallen. Mein Kopf schaltete schon fast automatisch ab, als Professor Binns' leiernde Stimme sich in meinen auditiven Cortex begeben hatte.
Meine Oberarme brannten immer noch. Mit einem unterdrückten Seufzen ließ ich meinen Kopf auf den Tisch sinken. Ich schlitterte ein paar Minuten lang zwischen Schlaf und einem semiwachen Zustand hin und her, bis der Schlaf schließlich doch die Oberhand gewann.
Ein Tippen an meinem Ellbogen weckte mich. Einen Moment dachte ich, es wäre ein Fwooper, der auf meinem Arm einen Stepptanz veranstalten würde, aber als ich aufsah stellte ich fest, dass es Marlene war, die mir ein Stück Schmierpergament zuschob. Ich rieb mir die Reste des Schlafsandes aus den Augenwinkeln und betrachtete die Bleistiftzeichnung.
Es war ein grob skizzierter Baum zu sehen, an den eine Art Seilkonstrukt gebaut war. Einige Stellen waren mit Pfeilen oder winzigen Worten beschriftet.
„Wenn ich dich schon nicht davon abhalten kann, kann ich ja wenigstens dafür sorgen, dass du nicht dabei draufgehst.", flüsterte sie.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt