Tierwesen ohne Ende

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Alleine machte ich mich also auf den Weg nach draußen auf die Schlossgründe. Der Himmel war verhangen und nur hin und wieder lugte die Sonne hinter den Wolken hervor. Der Wind pustete mir die Kapuze vom Kopf. Es tat gut, endlich wieder draußen zu sein und nicht mehr den ganzen Tag die grauen Steinwände anstarren zu müssen.

Langsam lief ich in Richtung der Eulerei. Warum sollte ich mich auch beeilen? Je länger ich brauchte, desto länger konnte ich draußen bleiben. In der Eulerei waren die Geräusche wie immer gedämpft. Nur hin und wieder hörte man das Rascheln von Flügeln und leises Gurren. Den Brief gab ich einem kleinen Raufußkauz, der damit aus dem Fenster hüpfte. Ich sah ihm nach, wie er über den verbotenen Wald davonsegelte. Wahnsinnig weit würde sein Weg nicht sein. Klar, wir wohnten nicht gerade um die Ecke, aber bis zum Osten von Schottland war es trotzdem nicht so weit, wie bis nach London, wohin eine Menge Schüler ihre Briefe schickten.

Wieder aus der Eulerei draußen und auf dem Weg zum See traf ich Hagrid wieder, der augenscheinlich vom Mittagessen kam.
„Na, lebst ja noch.", begrüßte er mich. Dank seines Bartes war es immer etwas schwer zu erkennen, aber er lächelte.
Ich nickte. Madam Pomfrey hatte mir gesagt, er hätte mich noch am Freitagabend besucht, aber ich hätte tief und fest gepennt und er hätte mich nicht wecken wollen.
„Wie geht's dem Fohlen?", fragte ich, während wir seine Hütte erreichten.
„Hab's noch nich' geseh'n." Er hob ein kleines Knotenhalfter von einem Haken an der Hüttenwand. „Kannst dein Glück ja mal versuch'n."
Er warf mir das Halfter zu und ich fing es geschickt. „Ich brauch kein Glück. Glück ist was für Anfänger."
Hagrid lachte. „Bist ja wieder ganz die Alte.", sagte er noch, bevor er in seinen Gemüsegarten verschwand.
Natürlich war ich noch die Alte. Als würde mich ein bisschen Fieber so kleinkriegen, dass ich mich komplett wandeln würde. Mit dem Halfter in der Hand setzte ich mich im Schneidersitz in das Kiesbett des Seeufers im Schutz der Bäume.
Der schwarze See war still. Nur der Wind kräuselte die Oberfläche hin und wieder etwas. Ich fuhr mit den Händen durch den Kies, bis ich einen passenden Stein fand. Klein, aber nicht zu klein, relativ flach und fast perfekt rund.
Ich holte aus, was sich im Sitzen als recht schwierig erwies, und ließ den Stein über die Wasseroberfläche schnellen. Er sprang drei mal mit jeweils einem leisen Plisch, bevor er in die Tiefen des Sees verschwand. Still sah ich zu, wie sich von der Stelle kleine Kreise ausbreiteten. Je weiter sie von der Stelle weg waren, desto größer waren die Ringe, aber sie wurden auch immer flacher, bis sie sich schließlich mit der schwarzen Oberfläche des Sees verschmolzen.
Ich wartete, bis die Kreise ganz verschwunden waren, bevor ich den nächsten hochhob und über das Wasser springen ließ. Nach vier Mal auftreffen verschwand auch dieser auf ewig in die Schwärze des Wassers.

Erst, als der vierte Stein weite Kreise zog, sah ich ein Paar Ohren, das aus dem Wasser lugte. Ich musste lächeln. Na endlich.
Den Ohren folgte ein Kopf, ein Hals und schließlich der Rest des Kelpies. Dunar kam mit aufgestellten Ohren auf mich zu und schnupperte mir durchs Gesicht. Natürlich tropfte seine Mähne wieder sofort auf meine Uniform. Schnell stand ich auf. Lust auf eine zweite Grippe hatte ich jetzt wirklich nicht.
Mit der freien Hand kraulte ich ihn hinter den Ohren, während er genießerisch die Augen schloss. „Wehe du holst mich nochmal in einer Vollmondnacht hier raus.", murmelte ich. Obwohl, dann würde ich vielleicht den Werwolf wiedersehen. Und vielleicht war das meine Chance, Iduna zu beweisen, dass ich nicht nur ein Stück Knieselkacke unter ihrem Schuh war.
Das leise Platschen des Wassers ließ mich meinen Augen von Dunars lösen. Aus dem See kamen die Stute und das Fohlen. Das kleine stand schon deutlich sicherer auf den Beinen als Dunar damals. Es hatte die Ohren neugierig in meine Richtung gespitzt und kam mit wackeligen Schritten auf mich zu. Wahrscheinlich war es vorher noch nie an Land gewesen. Die Stute sah immer noch etwas müde aus, aber sie betrachtete das Kleine mit Stolz, als es auf mich zulief und keine Angst zeigte.
Ein schneller Blick verriet mir, dass es ein Hengstfohlen war. Ich löste meine Hand von Dunar und kniete mich vor den Kleinen auf den Boden.
„Na, Hallo.", flüsterte ich. „Du hast mir vielleicht Kopfschmerzen bereitet."
Neugierig schnupperte er an meiner ausgestreckten Hand. Sanft strich ich ihm mit den Fingern über die Stirn. Sein Kopf schien unfassbar klein und zerbrechlich, aber seine dunklen Augen mustert mich trotzdem mit Neugierde.
„Geht ganz schnell.", flüsterte ich und hob die Hand mit dem Halfter. Ehe der Kleine es sich versah, hatte ich ihm das dünne Knotenhalfter über den kleinen Kopf gezogen. Erschrocken machte er einen Schritt zurück, fing sich aber gleich darauf wieder.
„Das wars schon." Ich strich ihm über den Hals und stand wieder auf. Jetzt war auch dafür gesorgt, dass er auch im Erwachsenenalter niemandem gefährlich werden konnte, der sich auf seinen Rücken setzte.
„Na dann. Setzt mal das junge Eltern sein fort.", grinste ich und klopfte Dunar auf den Hals. Er schnaubte und streckte mir seine Schnauze ins Gesicht, bevor er mit seiner kleinen Familie wieder zurück in den See schritt.
Es gab für mich keinen Zweifel daran, dass er für den Kleinen ein toller Vater sein würde.

Wieder alleine machte ich mich zurück auf den Weg zu Hagrids Hütte. Beziehungsweise zu der Tonne mit getrockneten Holzläusen, die bei seiner Hütte stand. Während ich den Deckel von der Tonne hob und mit dem Holzbecher im Inneren eine gute Menge Läuse herausangelte, fiel mir ein kleiner, schwarzer, pelziger Hintern auf, der in einer Lücke zwischen zwei Kisten zappelte. Ich seufzte und stellte den Becher mit den Holzläusen beiseite.
„Jedes Mal das gleiche mit dir, du Schlawiner." Mit einem Ruck zog ich eine der Kisten beiseite und hob den Niffler am Nackenfell aus dem Spalt. „Jedes Mal bleibst du irgendwo stecken." Ich ließ ihn auf meine Armbeuge klettern, wie eine Katze. „Entweder machst du demnächst eine Diät, oder du suchst dir Spalte, wo dein Bauch durchpasst." Irgendwie genervt, aber trotzdem belustigt kraulte ich ihm durch sein Bauchfell, bevor ich ihn wieder auf den Boden setzte. Er setzte sich auf die Hinterbeine und wühlte mit den Vorderpfoten in seinem Beutel. Draus erklang gedämpftes, metallenes Klappern.
Als ich mich mit dem Becher Läuse gerade auf den Weg machen wollte, schien der Niffler gefunden zu haben, was er suchte. Stolz hielt er eine Gabel mit leicht verbogenen Zinken nach oben.
Ich unterdrückte ein Seufzen. „Kleiner, das ist Hagrids Gabel. Bring sie zurück, oder behalt sie, aber ich kann nichts damit anfangen."
Der Niffler stieß einen leisen Klagelaut aus und ließ den Kopf sinken. Jetzt fühlte ich mich doch etwas schleckt. Ich schüttete mir ein paar der Holzläuse in die Hand und ließ sie in auffressen. Stumm sah ich ihm dabei zu. Das machte er schon seit Jahren. Die meisten Niffler horteten die Dinge, die sie Fanden, wie ein Drache seinen Schatz, aber dieser hier hatte die merkwürdige Angewohnheit, die Dinge, die er klaute wieder verschenken zu wollen.
Sobald er alle Holzläuse verspeist hatte wurden seine Augen sofort groß und rund.
„Vergiss es. Mehr bekommst du nicht. Sonst wirst du ja noch dicker."
Etwas beleidigt zog der Niffler ins Unterholz ab.

Mit dem, jetzt nicht mehr ganz vollen Becher Läuse kam ich schließlich an meinen drei Zielbäumen an. Eine Weide, eine Stechpalme und eine Eiche. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, es wären ganz normale Bäume, aber in jedem der drei Stämme befand sich eine kleine Höhle, die jeweils von einem kleinen, grünen Zweigmännchen bewohnt wurde.
Um mein Kommen anzukündigen, schüttelte ich den Becher kurz. Dieses Geräusch verfehlte seine Wirkung so gut wie nie. Schon nach wenigen Sekunden kam über einen Ast der Stechpalme ein kleines Wesen, was man sehr gut selber für einen Ast hätte halten können. Es war nie schlecht, sich mit Bowtruckles gut zu stellen, dachte ich, während ich ihm ein paar der Läuse in meine Handfläche schüttete. Außerdem waren sie einfach unfassbar niedlich.
Nach und nach folgen die anderen beiden Bowtruckles, die dem ersten Gesellschaft leisteten. Am Anfang hatten sie sich immer noch gezankt, wer jetzt als erstes Essen durfte, aber mittleiweile hatte ich das Gefühl, dass sie sich Gegenseitig tolerierten. Vielleicht waren sie sogar so etwas wie Freunde geworden.
Während ich den dreien dabei zusah, wie sie nach und nach die Holzläuse verschlangen, landete mit leisem Flügelschlag ein kleiner, blauer Vogel auf meiner Schulter. Vor dem Jobberknoll erschreckte ich mich mittlerweile nicht mehr. Wo es etwas zu essen gab, war zumindest dieser eine nicht weit. Mit einem leisen Seufzer hielt ich den Becher so neben meine Schulter, dass er sich ein paar herauspicken konnte.
Etwas strich um meine Beine. Als ich herabsah stellte ich fest, dass es ein Kniesel war.
„Sorry. Keine Hand mehr frei.", murmelte ich und verzichtete auf das Schulterzucken. Wahrscheinlich war der Kniesel auch eher an dem Vogel auf meiner Schulter interessiert, als an den Holzläusen.

Wenig später waren die Holzläuse verputzt und die Tierwesen wieder abgezogen. Nur der Kniesel war noch geblieben und ließ sich von mir hinter den flauschigen Ohren kraulen.
Plötzlich fiel mir etwas großes Weißes auf. Etwas großes weißes mit einem Horn, was gar nicht weit von uns junge Zweige von Bäumen abknabberte.
Langsam stand ich auf. Selbst ich hatte hier im Wald erst selten Einhörner gesehen. Aber erst recht noch nie so nahe. So ruhig und gelassen, wie es mir möglich war machte ich ein paar Schritte auf das Einhorn zu. Einen Moment hob es seinen Kopf in meine Richtung, fraß dann aber in aller Seelenruhe weiter.
Nein, sämtliche Erzählungen kamen nicht an die wahre Schönheit des Einhorns heran. Langsam, ruhig, aber trotzdem mit heftig schlagendem Herzen lief ich langsam weiter auf das Einhorn zu. Es schien mich zu bemerken, aber eher zu ignorieren.
Gerade, als uns noch vielleicht zwei Armlängen trennten, hob es plötzlich den Kopf. Und mit nur wenigen Galoppsprüngen war es schon in die Tiefen des Waldes verschwunden.
Aber irgendetwas sagte mir, dass ich nicht der Grund für die Flucht gewesen war. Hinter mir ertönte das Knacken eines Zweiges und dann ein Räuspern.
„Ähm. Hi? Stör ich?"

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt