Der Werwolf

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Mein Herz klopfte wieder heftig, während ich ins Unterholz starrte. Ich spürte, wie meine Hände anfingen zu schwitzen und meine rechte Hand den Griff meines Zauberstabs unangenehm rutschig machte. Zittrig zwang ich mich dazu, nicht die Luft anzuhalten und presste die Luft aus meinen Lungen, um dann wieder kontrolliert einzuatmen.

Nicht einmal eine Sekunde später brach der Werwolf vor mir aus dem Gebüsch. Mein Herz verabschiedete sich irgendwo in meine Magengegend und ich musste gegen den Fluchtreflex ankämpfen. Sein Knurren durchdrang Mark und Bein. Von seinen Eckzähnen tropfte der Speichel. Anscheinend war nur die Überraschung, dass ich nicht vor ihm geflohen war der Grund, dass ich nicht schon tot war.
Ich starrte ihm in die hellblauen Werwolfaugen. Nur der Himmel wusste, warum ich mir nicht schon längst in die Hose gemacht hatte. Langsam hob ich die freie Hand.
„Ruhig." Meine Stimme zitterte und bebte. Das Knurren des Werwolfs wurde lauter.
„Das bist du nicht.", flüsterte ich. „Das bist nicht du."
Sein Knurren wurde einen Moment leiser. Nach wie vor unterbrach keiner von uns den Blickkontakt.
„Hör hin. Du bist kein Monster." Meine Stimme zitterte wieder. Eigentlich war ich so gut wie tot. Der Werwolf stand jetzt so nahe vor mir, dass ich seinen Atem riechen konnte.
„Du bist kein Wolf. Du bist ein Mensch. Hör hin.", flüsterte ich. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Es grenzte an ein Wunder, dass ich noch nicht zerfetzt auf dem Waldboden landete.
Doch in diesem Moment passierte etwas Merkwürdiges. Die Augenfarbe des Wolfes veränderte sich. Von der hungrig geweiteten Pupille aus, verfärbten sie sich zu einem hellen Braun. Das Knurren aus der Kehle des Wolfes wurde leiser.
„Du bist kein Monster.", flüsterte ich noch ein Mal. Das Knurren verklang. Seine Augen schienen eine eigene Sprache zu sprechen. Langsam und zögerlich machte er einen Schritt nach vorne, in Richtung meiner heftig zitternden Hand. Er witterte kurz. Anscheinend hatte er mich nur durch meinen Geruch gefunden.

Plötzlich durchbrach Hufgetrappel die Stille. Der Bann war gebrochen. Innerhalb eines Herzschlages färbten sich die Augen des Wolfes wieder hellblau. Er fletschte die Zähne und setzte zum Sprung an. Reflexartig packte ich den Eisenring, der neben mir am Baumstamm hing.
Diffindo!" Mit einem panischen Schwung meines Zauberstabs durchtrennte ich das Seil. Ein schmerzhafter Ruck an meiner linken Schulter riss mich in die Höhe. Gleichzeitig schoss ein Schmerz durch mein rechtes Bein.
Oben auf dem Ast klammerte ich mich verzweifelt an den Baumstamm, um nicht sofort wieder in die Tiefe zu poltern. Unten versuchte gerade ein Hirsch, den Werwolf wegzudrängen. Leider ohne Erfolg. Der Wolf schlug die Krallen in den Stamm, als würde er an ihm nach oben klettern wollen. Er knurrte jetzt so wütend und hungrig, dass es mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Etwas tropfte vom Ast nach unten auf den Waldboden. Blut. Mein rechtes Hosenbein war aufgerissen und Blut lief durch einen langen Schnitt nach unten zu meinen Füßen und tropfte nach unten. Schmerz pulsierte durch mein Bein. Wie es schien, hatte der Werwolf lange und scharfe Krallen, die er sich jetzt auch zunutze machte. Angestachelt von dem Geruch des Blutes schlug er die Krallen in den Stamm und begann nach oben zu klettern.
Scheiße. Ich musste hier weg. Widerwillig steckte ich den Zauberstab in meine Umhangtasche und nahm den Kleiderbügel vom Ast. Jetzt würde sich wohl gleich herausstellen, ob das Seil halten würde, über das ich jetzt den hölzernen Bügel hängte. Das Knurren des Wolfes kam näher. Mit einem entsetzten Blick nach unten musste ich feststellen, dass er schon fast an meinem Ast angekommen war.
Mit angehaltenem Atem und einem Stoßgebet zum Himmel stieß ich mich vom Ast ab. Zweige schlugen mit entgegen, aber vor allem an die offene Stelle an meinem rechten Bein. Schmerzhaft knallte ich mit den Knien voran auf die Dachschindeln von Hagrids Schuppen. Der Werwolf war mir mit langen Sprüngen aus dem Wald gefolgt. Schemenhaft erkannte ich seine Umrisse, die auf mich zuhetzten, während ich mit fahrigen Händen die Dachluke aufzog.
Schnell kletterte ich nach innen, aber bevor ich mich fallen ließ riskierte ich einen letzten Blick zurück. Dem Werwolf folgen ein Hund und ein Hirsch. Die gleichen wie das letzte Mal. Ich erkannte das zwölfendige Geweih des Hirsches und so viele schwarze Hunde konnten hier in der Gegend nicht unterwegs sein.
Die Krallen des Werwolfs kratzen über das Holz der Hütte. Schnell knallte ich die Luke zu und ließ mich nach unten auf die Kommode sinken, das Scharben der Krallen in den Ohren.

Meine rechte Socke war getränkt mit dunkelrotem Blut. Der Werwolf hatte eine Vene erwischt. Nein, es war nicht das erste Mal, dass ich mich so heftig verletzte, aber das machte den Schmerz trotzdem nicht besser.
Zitternd zog ich meinen Pullover und mein T-Shirt aus. Den Pullover zog ich auch so schnell wie möglich wieder an, bevor ich das Shirt mit meinem Zauberstab in Streifen schnitt. Ungewollte Schmerzenstränen liefen meine Wangen entlang nach unten. Meine linke Schulter tat weh, wenn ich den Arm bewegte. Die Wunde brannte und pulsierte, während ich die Stoffstreifen um mein Bein wickelte, um die Blutung zu stoppen.
Der Wolf kratze weiter hinter meinem Rücken am äußeren Holz der Hütte. So schnell würde er hier nicht reinkommen, bei all den Stürmen, die die Hütte schon überlebt hatte.

Vorsichtig ließ ich mich von der Kommode gleiten. In einer Ecke bewahrte Hagrid alte, löchrige Decken auf. Gerade, als ich eine davon aus der Kiste zog, kratze es an der Tür. Mein Körper sprang wieder auf Alarmbereitschaft. Was zum Teufel kratze da. Der Werwolf kratze an der Rückseite. Das unverkennbare Knurren war nicht zu überhören. Es waren eindeutig stumpfe Krallen. Den Zauberstab wieder fest in der Hand humpelte ich zur Tür.
War das der Hund? Etwas anderes konnte es eigentlich nicht sein. ich drückte mein Ohr an die Tür. Ein leises Winseln drang durch das Holz. Das war eindeutig der Hund. Und es klang so, als bräuchte er Hilfe.
Kurzentschlossen richtete ich meinen Zauberstab auf das Türschloss. Das Knurren des Wolfes lag nach wie vor in meinem Rücken. Wenn er mit dem Hund zusammen reinkam, dann würde ich draufgehen. Nochmal würde ich es nicht schaffen, zu ihm durchzudringen. Aber dann hätte der Hund immerhin eine Chance. Lieber ich, als der Hund.
Alohomora." Das Türschloss klickte leise. Vorsichtig drückte ich die Klinke nach unten und schob die Tür einen schmalen Spalt auf.
Ich blickte in zwei tiefbraune Hundeaugen. Ehe ich es mich versah, hatte sich der Hund durch die Tür gezwängt. Schnell zog ich sie wieder zu. „Colloportus!"
Erst jetzt bemerkte ich, wie heftig mein Herz pochte. Zitternd ließ ich mich auf den Boden sinken. Der Hund schnüffelte mein verletztes Bein ab. Der behelfsmäßige Verband war mittlerweile mit Blut getränkt. Erschöpft lehnte ich mich an eines der Regale, während der Hund seinen Kopf auf meinen Bauch sinken ließ.
Mit schwacher Hand strich ich ihm durch das struppige Kopffell.
„Was machst du um die Zeit hier draußen, hm?", fragte ich ihn leise.
Sein Blick wurde vorwurfsvoll, als würde er mich das gleiche fragen.
„Streuner? Oder kommst du aus Hogsmeade?" Wie zu erwarten war, erhielt ich keine Antwort. Der Hund ließ sich nur weiter von mir das Fell kraulen.
Ich konnte förmlich spüren, wie mein Adrenalinpegel sank und ich müde wurde. Die Anwesenheit des Hundes gab mir eine gewisse Sicherheit. Doch der pochende Schmerz in meinem Bein und der stechende Schmerz in meiner Schulter wollten einfach nicht nachlassen. Wegen dem Bein würde ich morgen wohl oder übel zum Madam Pomfrey gehen müssen. Hoffentlich würde mir bis dahin eine gute Ausrede einfallen und der Riss würde sich nicht entzünden.

Das Kratzen der Krallen auf Holz verfolgte mich in dieser Nacht in meine unruhigen, abgehackten Träume, die ich im Sitzen mit dem Hundekopf auf dem Schoß hatte.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt