Novembervollmond

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Die nächsten Wochen zogen sich. Obwohl es erst Oktober war, fieberte ich jetzt schon den Weihnachtsferien entgegen. Endlich wieder nach Hause. Die ganzen Schüler, der Unterricht und das Schloss stressten mich nicht weniger, als noch vor fünf Jahren. Ein kleiner Lichtblick waren immerhin die Gesichter der Rumtreiber, wenn sie ihre Sachen verteilt über Korridore und Treppen fanden.
In der Zeit bis zum nächsten Vollmond passierte es immer häufiger, dass Lupin plötzlich zufällig in der Bibliothek war, wenn ich gerade Aufsätze schieb, oder zufällig unten am See war, wenn ich mich um die Kelpies oder andere Tierwesen kümmerte. Schon nach dem dritten Mal glaubte ich hier nicht mehr an einen Zufall, aber ließ es gutmütig über mich ergehen. Um ehrlich zu sein war er mir sympathischer, als ich erwartet hatte. Ich hatte ihn immer, wie Pettigrew für einen Rumtreiber aus der zweiten Reihe gehalten, dabei war er im Grunde ein guter Kerl. Er arbeitete hart für seine Noten und scheute nicht, anderen zu helfen, wo er konnte.
Trotzdem wollte es mir nicht aus dem Kopf gehen, dass er nach wie vor mit Potter und Black befreundet war. Mehr als befreundet. Sie verhielten sich wie Brüder. Sie hatten die geschwisterliche Beziehung zueinander, die ich auch gerne zu meiner Schwester gehabt hätte. Zum Glück schienen die beiden immerhin den Anstand zu haben, sich halbwegs von mir fern zu halten.
Auch Pettigrew stellte sich als nicht so übel heraus. Auch er arbeitete hart und hatte deutlich mehr auf dem Kasten, als ich erwartet hätte. Nein, er entsprach nicht dem klassischen Schönheitsideal, aber wer tat das schon? Man musste ja nicht wunderschön sein, um gemocht zu werden.

Der Novembervollmond rückte langsam näher. Wie so oft saß ich zufällig zusammen mit Remus, Marlene und Peter in der Bibliothek. Bis auf Peter verzweifelten wir kollektiv an unserer Zaubertrankhausaufgabe. Peter war so schlau gewesen, Zaubertränke abzuwählen.
„Und was genau macht jetzt diese bekloppte Schrumpelfeige in dem Trank?", fragte Marlene mit einem resignierten Seufzen.
„Gute Frage, nächste Frage.", entgegnete Remus und blätterte durch das Register seines Zaubertränke für Fortgeschrittene.
„Deko.", murmelte ich. Ein Teil in mir hatte schon aufgegeben und sich mit einer miesen Note abgefunden.
Remus seufzte ebenfalls und rieb sich über die Augen. Er sah nicht unbedingt gesund aus. Die Haare hingen ihm verstrubbelt und leicht strähnig ins Gesicht. Tiefe Augenringe zierten sein Gesicht und er schien müde und ausgelaugt. Auch Peter schien sich Sorgen um ihn zu machen. Immer wieder schaute er über den Rand seiner Ausgabe von Quidditch im Wandel der Zeit, als würde er sichergehen wollen, dass Remus nicht aufgrund eines Schwächeanfalls auf seinem Stuhl zusammenklappte. Alle paar Minuten zog er seine Armbanduhr, die er dank Marlene von einer der Schweinestatuen in der Eingangshalle hatte sammeln dürfen, aus der Umhangtasche und warf nervöse Blicke darauf.
Gegen viertel vor fünf, als auch Marlene ihren Aufsatz aufgegeben hatte und mit ihrer Feder kleine Kniesel an den Rand ihres Pergaments kritzelte, bedeutete Peter schließlich wortlos Remus, dass es Zeit zu Gehen wäre.
Remus' letzter Blick zurück galt mir. Seine Augen sagten eines sehr eindeutig. Geh nachts nicht raus.
Resigniert wandte ich mich wieder meiner Ausgabe von Phantastische Tierwesen zu. Ich rang mit mir. Einerseits wäre es meine Chance. Wenn ich ihn jetzt als Mensch besser kannte, hatte ich vielleicht bessere Chancen, durch sein Werwolf-ich zu dringen. Andererseits wäre er vermutlich unfassbar wütend auf mich. Und wenn zusätzlich zu meiner Schwester noch jemand nicht gut auf mich zu sprechen war, würde mir das vermutlich nicht gut bekommen...

Und so lag ich schließlich abends im Bett, den Blick an den schwarz scheinenden Baldachin geheftet. Der Vollmond draußen verbarg sich hinter den Wolken. Ich konnte hören, wie die drei anderen Mädchen aus unserem Schlafsaal tuschelten, aber ich ignorierte es. Sie hatten einsehen müssen, dass ich doch kein Werwolf war und sich ihre gestreuten Gerüchte als substanzlos herausstellten, trotzdem konnten sie es einfach nicht lassen, alle auf einem Bett sitzend zu lästern, was das Zeug hielt, als läge ich nicht auf der anderen Seite des Schlafsaals und könnte sie Wort für Wort verstehen.
„Jetzt hängt sie auch noch mit Lupin rum.", hörte ich Helena flüstern.
„Gleich hässlich sind sie ja.", antwortete Mary. Der Lattenrost des Bettes, auf dem sie saßen quietschte.
„Aber wenn sie einen Fuß in die Nähe von Sirius setzt, dann dreh ich ihr den Hals um!", fauchte Helena.
Die hatte ja Vorstellungen. Der Tag, an dem ich mit Black anbandeln würde war der Tag, an dem die Kelpies Walzer lernen würden.
„Aber Remus ist doch auch irgendwie niedlich. So schüchtern wie er ist." Das war Eyleen.
„Der hängt mir viel zu viel mit Pettigrew rum. Schau dir den mal an! Wie der schon aussieht, mit den Schneidezähnen und den Pickeln.", entgegnete Helena.
Etwas in mir implodierte. So leise, wie ich konnte angelte ich in Richtung meiner Kommode nach meinem Zauberstab. Zielgenau schob ich ihn durch die Vorhänge und dachte Locomotor Mortis. Ich hoffte inständig, dass der Zauber Helena treffen würde, aber ihre beiden Freundinnen wären mir auch recht. Manchmal kamen sie mir nicht vor wie einzelne, denkende Menschen, sondern wie Helenas Untertanen. Dabei hatte ich Eyleen in der ersten Klasse noch ganz gerne gemocht. Sie hatte mir oft ihre Bücher ausgeliehen, wenn sie sie gerade nicht gelesen hatte, aber nach ein paar Jahren hatte sie sich mit den anderen beiden einfach deutlich besser verstand, als mit Marlene und mir.
Wenige Minuten später, als zwei der drei aufstanden, um nach ihrer Lästersitzung wieder in ihre eigenen Betten zurückzukehren ertönte ein zufriedenstellendes Quieken und ein dumpfes Poff. Helena war mit dem Gesicht voran auf dem Teppich gelandet. Geschah ihr recht. Ich hörte sie leise fluchen, während sie den Beinklammerfluch wieder aufhob. Geschah ihr recht. So über das Aussehen von Menschen zu urteilen war widerlich und gehörte sich nicht. Nein, Peter kam vom Aussehen her nicht an Black oder Potter heran, aber das machte ihn drum nicht zu einem schlechten Menschen!
Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, angesichts von Helenas andauerndem leisen Fluchen, schlief ich schließlich ein.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt