Januarvollmond

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Der graue Schulalltag kehrte zurück und neben Hausaufgaben, Aufsätzen und Unterricht fand sich bald keine freie Minute mehr. Das Schloss war so überbevölkert wie eh und je. Aber vor allem mir fiel es auf, dass die Rumtreiber sich mir gegenüber deutlich netter verhielten. Keine abfälligen Kommentare oder schiefe Blicke mehr. Es war mehr ein neutrales Zusammenleben im Angesicht von Remus, der mehr und mehr Zeit mit mir zusammen verbrachte. Inzwischen ging mir Marlenes bedeutungsschweres Augenbrauenwackeln, wenn Remus sich in einem Umkreis von zwei Metern befand, gehörig auf den Wecker.
Das Ende des Januars nahte unerwartet. Auch der Vollmond nahte. Dienstagabend, noch nach dem Abendessen kauerten Remus, Sirius und ich noch verzweifelt über der Bibliothek über unseren Zaubertrankaufsätzen. Leider enthielt keines der Bücher, die sich vor uns auf dem Tisch stapelten irgendetwas Sinnvolles.
Mein Blick wanderte immer wieder zu der großen Uhr an der Wand, während das Kratzen der Federn meine Ohren füllte. Die Sperrstunde und auch die Schließung der Bibliothek rückte näher. Remus war Vertrauensschüler, bei ihm war es egal, ob er danach noch draußen war. Außerdem hatte er dank des Vollmonds eh anderswo zu sein, aber ich musste in spätestens fünfzehn Minuten oben im Ravenclawturm sein.
Auch Sirius' Blick wanderte zwischen seinen Worten immer wieder zur Uhr und dann aus dem Fenster, in die stockfinstere Nacht.
„Moony, wir müssen langsam raus.", sagte er schließlich entschlossen und schraubte sein Tintenfass zu. Seine Worte ließen keine Widerrede zu.
Zügig packten wir unsere Sachen. Der Zeiger der Uhr tickte unaufhörlich weiter.

An Madame Pinces strengem Blick vorbei hechteten wir auf den Gang. Sieben Minuten hatte ich noch, dann musste ich oben sein. Schnell wollte ich den Weg in Richtung Gemeinschaftsraum einschlagen, als mich Remus noch am Ärmel packte. Einen Moment hatte ich den Impuls, ihm durch die nicht vorhandene Mähne zu strubbeln.
„Warte noch kurz.", sagte er zittrig.
Sirius warf einen Blick aus dem Fenster. Wir teilten vermutlich grade den gleichen Gedanken. Remus musste endlich raus.
„Moony, die anderen warten draußen. Wir müssen nach unten.", unterbrach Sirius seinen Redeansatz.
Remus wandte sich kurz um. Es war offensichtlich, dass ihm diese Bewegung Schmerzen verursachte. „Geh schon mal vor.", wies er seinen Freund an.
Sirius hob die Brauen. „Du musst raus hier Moony!", entgegnete er entschieden.
„Geh!", fuhr Remus ihn an. „Ich komm nach."
Sirius hob abwehrend die Hände und verschwand auf die Marmortreppe, die in die Eingangshalle führte.
„Remus, meinst du wirklich, dass das jetzt der richtige Moment ist?", fragte ich ihn zittrig. Ich hatte noch sechs Minuten, aber er vermutlich weniger.
„Hör zu, ich..." Er sah mir in die Augen. Ich widerstand dem Drang, einfach an die Wand hinter ihm zu starren. „Mir ist etwas klar geworden. So wie das mit dir ist, so hab ich mich noch nie gefühlt."
Ich spürte mein Herz heftig gegen meine Rippen pochen. „Remus, du-"
„Ich weiß selber, dass das bescheuert klingt." Er lächelte, aber es war unübersehbar, dass er Schmerzen hatte. Fünfeinhalb Minuten.
„Nein, das ist-", versuchte ich ihn zu unterbrechen.
„Schau mal." Er wies mit dem Finger nach oben. Über uns hingen die Reste der Weihnachtsdeko, die McGonagalls Aufräumaktion überlebt hatten. Ein einsamer, etwas vertrockneter Mistelzweig hing über der Tür der Bibliothek.

Er hatte doch jetzt nicht ernsthaft vor...
Sein Blick wanderte einen Moment zu meinen Lippen und dann zu dem Anhänger an der Kette, die um meinen Hals hing.
„Du trägst sie?", fragte er leise, als wäre es überraschend.
Ich nickte langsam. Er löste seinen Blick nicht von meinem. Ein bläulicher Schimmer lag in seinen Augen, aber er schien es nicht zu bemerken. Langsam senkte er seinen Kopf und schloss die Augen. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut, aber vor allem spürte ich mein Herz, was aus meiner Brust zu springen drohte.
Seine Lippen berührten meine. Nur ganz leicht. Fast wie eine Feder.

Ich hätte gerne etwas gespürt. So wie Marlene es immer beschrieben hatte. Als würde jemand in deinem Magen ein Feuerwerk zünden. Als würden Ameisen in deinem Nacken steppen.
Aber ich fühlte nichts.
Außer ein plötzliches Knurren. Remus löste sich von mir. Seine Augen waren hellblau geworden und auf seinem Gesicht, das in einer Art Schock verzerrt war, breitete sich graues Fell aus.
Erschrocken wich ich zurück. Es ging schnell, aber war schrecklich mit anzusehen. Seine Schuluniform riss und ich konnte sehen, wie er verzweifelt versuchte nicht zu schreien. Wenige Sekunden später stand ich einem ausgewachsenen Werwolf gegenüber. Die Krallen klackerten leise auf dem Steinboden. Seine Augen fixierten mich bedrohlich. Das war nicht mehr Remus. Es war das Biest, das in ihm wohnte.

Weiter zitternd wich ich zurück. Den Blick nicht von seinem wendend streckte ich die Hand aus. Der Werwolf knurrte. Er duckte sich, als würde er zum Sprung ansetzen. Das Blut rauschte in meinen Ohren und vermischte sich mit seinem Knurren.
„Ruhig.", sagte ich langsam. Meine Stimme zitterte heftig, genau so wie meine Hand.
Es hatte wenig Effekt auf den Wolf. Er grub die Hinterpfoten in den Steinboden und sprang. Reflexartig duckte ich mich und er verfehlte mich um Zentimeter. Knurrend kam er hinter mir auf und wirbelte herum. Es schien ihn nur noch mehr anzustacheln, dass er mich verfehlt hatte. Der Speichel tropfte von seinen Reißzähnen.
Ich machte Schritte zurück. Er nach vorne. Vorbei an der geschlossenen Tür der Bibliothek und an der Tür der Besenkammer, die daneben lag. Wieder streckte ich die Hand nach vorne.
„Das bist nicht du. Du bist ein Mensch.", flüsterte ich. Die Schritte des Wolfes wurden langsamer, bis er zum stehen kam.
„Remus. Hör hin. Hör auf dein Herz."
Etwas schien in dem Wolf zu brechen. Er senkte die Lefzen und schloss das Maul.
„Remus.", flüsterte ich erneut.
Und es geschah wieder. Seine Augen färbten sich braun. Ohne hektische Bewegungen zog ich meinen Zauberstab. Nur für alle Fälle. Langsam senkte ich die andere Hand auf die Stirn des Wolfes. Das weiche Fell berührte meine Handfläche und ich spürte die Wärme, die von ihm ausging.
Sein Knurren war verstummt. Die braunen Augen wirkten erwartungsvoll.
Mein Herz pochte weiter heftig. Es fühlte sich so an, als hätte jemand meine Beine durch Flubberwürmer ersetzt. Langsam ließ ich mich vor dem Wolf auf die Knie sinken.
„Hallo Remus.", flüsterte ich.

Das Eingangstor knallte. Es passierte noch schneller als die Verwandlung vorhin. Remus Augen wurden wieder blau. Das Knurren kam zurück. Der Wolf fletschte die Zähne und schnappte nach mir. ich stolperte einen Moment aus seiner Reichweite.
Scheiße. Das hier war nicht wie im Wald damals. Ich hatte keinen Plan B. Hektisch sah ich mich um, während die Zähne des Werwolfs meinen Arm knapp verfehlten. Es sei denn... Mein Blick fiel auf die Besenkammer. Viele Alternativen hatte ich nicht.
Einem weiteren Zähneschnappen ausweichend richtete ich meinen Zauberstab auf die Tür der Besenkammer. Mit einem Knall flog sie auf. Der Kopf des Wolfes fuhr einen Moment herum, schnellte aber sofort wieder zurück, als hätte er verstanden, dass es nur eine Ablenkung war.
Ich richtete den Zauberstab ein weiteres Mal auf die Tür. Dieses Mal fuhr der Werwolf vollständig herum.

Aus der Kammer marschierte ein Besen mit Händen und Füßen, der beim Anblick des Werwolfes panisch zu rennen begann. Dicht gefolgt vom Wolf sprintete der Besen die Marmortreppe hinab und an einem großen schwarzen Hund vorbei aus dem Schloss.
„Hol das Stöckchen.", murmelte ich, während ich zusah, wie der Hund die Schlosstür von außen zuzog und mir einen letzten anerkennenden Blick zuwarf. Ich nickte ihm zu und machte mich mit weichen Knien auf den Weg nach oben. Sollte ich Filch über den Weg laufen, konnte der mich getrost am Arsche lecken.

„Wo warst du?", flüsterte Marlene, als ich mich ins Bett legte.
„Zaubertränke machen.", murmelte ich abwehrend, während mein Kopf sich schon verabschiedete.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt