Zurück in Hogwarts

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Es dauerte eine Weile, bis Iduna die Kraft fand, wieder aufzustehen und wir ins Haus gehen konnten. Der Duft von Truthahn und Kartoffeln erschlug einen förmlich, wenn man die Tür aufzog. Auf dem wackeligen Tisch brannten Kerzen und er ächzte förmlich unter dem Gewicht des Essens.

„Wo seid ihr denn noch gewesen?", begrüßte uns Dad. Er und Mum saßen anscheinend schon seit einer Weile am Tisch.
„Hat mit dem Schnee länger gedauert.", erklärte ich schnell, und ließ Iduna vor mir auf die Eckbank rutschen. Zum Glück schienen weder Dad noch Mum ihre geröteten Augen und die salzigen Reste ihrer Tränen in den Augenwinkeln aufzufallen.
Wenig später füllte ohnehin gefräßige Stille die kleine Küche.

Als ich nach einer hitzigen Partie Zauberschach gegen Mum endlich nach oben in mein Zimmer ging, fielen mir sofort die vier Briefe ins Auge, die ich heute Morgen noch schnell auf meinen Schreibtisch gelegt hatte und meine Hand wanderte automatisch zu der Kette, die nach wie vor um meinen Hals hing.
Langsam blätterte ich das raue Papier um. Der Duft des Pergaments und des Wachses der Kerze, die auf meinem Schreibtisch stand, vermischten sich. Auch über zwölf Stunden später wusste ich nicht wirklich, was ich von ihnen halten sollte. Am besten würde ich einfach warten, bis die Ferien vorbei waren, dann würde sich hoffentlich einiges klären.
Gerade, als ich mich fest in meine Bettdecke gewickelt hatte, hörte ich wieder Idunas leises Schluchzen von der anderen Seite der Bretterwand. Kurzentschlossen stand ich wieder auf, nahm den uralten, ranzigen Plüschcrup von meinem Kopfkissen und tappte durch den stockfinsteren Gang zu Idunas Tür.
Im Gegensatz zu meinen, mit Postern überzogenen Wänden, waren die Wände von ihrem Zimmer kahl und farblos. Sobald ich mich durch die Tür geschoben hatte, hörte ich ihr Schluchzen deutlicher. Ohne etwas zu sagen, kletterte ich zu ihr ins Bett, drückte ihr das Stofftier in die Hand und umarmte sie fest, bis ihr Weinen leiser wurde. Es war das erste Mal, dass ich jemanden lange umarmte, ohne, dass mir meine Blockade in den Weg kam.

Doch schneller, als die Ferien angefangen hatten, waren sie auch schon wieder vorbei. Mit dem Koffer in der einen und Iduna an der anderen Hand standen wir schließlich vor dem Gartentor. Ich spürte, wie meine Schwester neben mir die Schultern straffte.
„Du schaffst das.", redete ich ihr Mut zu. Ich wusste, dass sie sich darauf vorbereitete, wieder ihre Rolle als Schülersprecherin einzunehmen. „Blut ist dicker als Wasser.", schob ich noch hinterher.
Sie warf mir ein Lächeln zu. Ein ehrliches Lächeln, bevor sie ihre Augen schloss, um sich zu konzentrieren. Auch ich schloss die Augen, um mich auf die anstehende Übelkeit vorzubereiten. Wieder fühlte es sich so an, als würde man mich durch einen Gartenschlauch drücken. Der gewohnte Kotzreiz drehte mir den Magen um.
Wenige Sekunden Schreckenstransport später stolperten wir auf das Kopfsteinpflaster der Hauptstraße in Hogsmeade. Erfreulicherweise ersparte mir mein Magen dieses mal das Übergeben, aber das machte die Übelkeit nicht besser.

Von Hogsmeade aus ging es zu Fuß zum Schloss. Die Schüler, die mit dem Hogwartsexpress ankommen würden, würden erst heute Abend hier sein. Jetzt war es gerade ein mal früher Mittag.
Vor dem Schloss trennten sich unsere Wege. Ich ließ ihr ein paar Minuten Vorsprung, dann würde sie ihren Freunden ohne mich auf den Fersen begegnen können. So kam ich schließlich alleine im Gemeinschaftsraum an. Er war fast ausgestorben. Nur an einem Tisch saß ein Zweitklässler, der den Kopf in die Arme gebettet hatte und der augenscheinlich döste.
Auch der Schlafsaal war leer. Über die Ferien war niemand in Hogwarts geblieben und so lagen alle Betten ordentlich und aufgeräumt vor mir. Fahrig stopfte ich meine Klamotten wieder zurück in ihre Schubladen, steckte die Briefe der Rumtreiber in die oberste der vier Schubladen und zog mir wieder meine vertraute Schuluniform an.
Ich mochte sie. Hier in der Schule sah dank der Uniform niemand, wie abgetragen meine Klamotten schon waren. Zum großen Teil hatte meine Muggelkleidung vorher Iduana gehört und das sah man teilweise auch. Aber in der Schuluniform sahen alle gleich aus. Vermutlich war das auch der Grund, aus dem noch noch niemand von Idunas Freunden stutzig geworden war, warum ihre Kleider so abgetragen waren und aussahen, als hätte unsere Grandma sie schon getragen, was leider auch oft der Fall war.

Ich entschied mich, vor dem Mittagessen noch zu Hagrid zu gehen. Zeit hatte ich eh noch genug. Der Schnee auf den Schlossgründen lag zum Glück nicht so hoch, wie er es bei uns zuhause tat, trotzdem wäre ich mit einem Schlitten vermutlich sehr viel schneller bei Hagrids Hütte angekommen.
Erstaunt stellte ich fest, dass vor Hagrids Hütte ein großes Lagerfeuer brannte, das den Schnee um sich herum in einem weiten Kreis hatte schmelzen lassen. Ich musste lächeln, als ich die kleinen Salamander bemerkte, die über die Holzbalken huschten. Vermutlich hätten sie drinnen Hagrids Einrichtung abgefackelt. Der Winter setzte den Salamandern oft hart zu.
Leider war Hagrid nirgendwo zu sehen. Schulterzuckend machte ich mich also zu Seeufer auf. Eine dicke Eisschicht bedeckte den See. Fast schon routinegleich zog ich meinen Zauberstab. Den hellen Stab in einer zackigen Bewegung schwingend, murmelte ich „Incendio."
Flammen züngelten aus dem Ende meines Zauberstabes und leckten über das bläulich scheinende Eis. Sie schmolzen es langsam, aber sicher.
Wenig später klaffte ein etwa kelpiegroßes Loch im Eis und ich steckte, leicht schwitzend, meinen Zauberstab wieder ein. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis sich aus dem schwarz scheinenden Wasser zwei Ohren schoben, gefolgt von einer kleinen Strubbelmähne, in der sich fast augenblicklich Eiskristalle bildeten.
„Na, hast du mich vermisst, Kleiner?", begrüßte ich ihn und strubbelte ihm durch die eiskalte Mähne.
Er stieß ein leises Wiehern aus. Augenblicklich schnappte er sich den Ärmel meines Umhangs, um daran zu kauen.
„Hey!" Ich zog ihm den Stoff aus dem Maul und machte ein paar spielerische Schritte zurück. Erst jetzt schien dem Fohlen der tiefe Schnee aufzufallen. Auch die Stute hatte sich mittlerweile aus dem See gekämpft. Dicht gefolgt von Dunar trabte sie zu ihrem Fohlen in den tiefen Schnee.
So, wie der Kleine bockend durch den Schnee galoppierte, erinnerte er mich etwas an Marlene und mich in der ersten Klasse. Ich wusste nicht einmal warum.
Ich erinnerte mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Alleine hatte ich in einem Zugabteil gesessen und fast geheult, weil Iduna nicht zu mir mit ins Abteil wollte. Dann war Marlene gekommen und hatte sich zu mir gesetzt. Die Stimme ihres jüngeren selbst hallte noch klar und deutlich in meinen Ohren wider: „Warum hast du so Narben? Ist dein Vater Frankenstein?" Aus irgendeinem Grund, hatte mich das so wütend gemacht, dass ich sie geschlagen hatte. Wir hatten uns geprügelt und am Ende der Zugfahrt waren wir Freunde gewesen.
Ich seufzte und beobachtete das Fohlen dabei, wie es sich selbst mit Schnee panierte. Warum konnte es heute nicht auch so einfach sein? Warum konnte ich mich nicht einfach mit jemandem prügeln und alles wäre geklärt? Nicht, dass ich ein sonderlich gewalttätiger Mensch wäre, aber manchmal sagte eine Schelle mehr als tausend Worte.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt