Gedankenblockade

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Fast automatisch trugen mich meine Beine nach unten zum See. Vor Kälte zitternd saß ich nun also im Uferkies. Tränen tropften von meinen Wangen in meinen Schoß. Zuerst glühend heiß, dann eiskalt. Sie brannten auf meinen aufgesprungenen Lippen. Schmeckten salzig, wie Meerwasser. Ich wollte nicht weinen. Weinen war scheiße. Schwach. Sinnlos.
Aber ich konnte nicht anders. Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen, als am See zu sitzen und zu flennen. Ich habe keine Schwester. Es war klar, dass es irgendwann eskalieren musste. Schon seit Iduna das erste Mal über den Sommer wieder zuhause gewesen war, aber so...
Zu meinen Tränen landeten weitere Tropfen in meinem Schoß. Seewasser, das aus Dunars Mähne tropfte. Der Kelpie schob mit einem sanften Schnauben seine Schnauze unter meinen Arm. Ich drückte mein Gesicht an seinen Hals. So sah man immerhin nicht, dass ich weinte. Meine Tränen mischten sich mit dem Wasser aus seinem feuchten Fell. Aber so gut, wie der Kelpie Trost spenden konnte, so wenig konnte er Wärme spenden. Ich wusste nicht, was mich mehr beben lies. Die Kälte oder die Tränen.
Noch nie hatte Iduna so etwas gesagt. Ihre Antworten in der Schule waren oft barsch und knapp gewesen, aber sie hatte mich nie beleidigt, geschweige denn so angeschrien wie heute. Es fühlte sich so an, als hätte sie das Stück in meinem Herzen, dass ihr immer gehört hatte, einfach herausgerissen. Und es tat weh. Als würde eine eiserne Hand mein Herz zerquetschen und eine andere eiserne Hand meinen Magen.
Krampfhaft zitternd vergrub ich meine Hände in Dunars Mähne. Er drückte seinen Kopf dicht an mich, konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass ich weiter zitterte. Aber ich war froh, mit ihm alleine zu sein. Weinen war demütigend. Zumindest für mich.

Doch gerade in dem Moment hörte ich den Kies hinter mir knirschen. Ich wandte mich nicht um. Wer auch immer da war, sollte nicht sehen, dass ich weinte.
„Kalt?" Es war Remus.
Ich schüttelte den Kopf. Leider wurde meiner Aussage die Kraft dadurch genommen, dass ich nach wie vor zitterte. Mit einem leisen Seufzen ließ Remus sich neben mich sinken. Dunar hob seinen Kopf aus meinen Armen und betrachtete ihn einen Moment abwägend. Er schien ihn zu studieren, ob er mich mit Remus allein lassen konnte. Ein weiteres Mal blies er mir seinen lauwarmen Atem durchs Gesicht, bevor er mit langsamen Schritten wieder ins Wasser lief.
Fast schon hektisch versuchte ihr mir die Tränen aus den Augen zu wischen. Erfolglos. Sie wurden sofort durch neue ersetzt. Halb verzweifelt rang ich mit den Händen und knackte mit den Knöcheln. Er sollte nicht sehen, dass ich weinte! Er sollte eigentlich nicht hier sein!
Ich hörte Stoff rascheln. Kurz darauf legte sich ein warmer Winterumhang um meine Schultern. Remus saß jetzt so nahe bei mir, dass sich unsere Beine fast berührten. Krampfhaft widerstand ich dem Drang, von ihm wegzurutschen und zog stattdessen den Umhang enger um meine Schultern. Er roch nach Kaminfeuer und etwas nach nassem Hund.
„Danke.", murmelte ich und betete, dass er nicht auf die Idee kam, mich in den Arm zu nehmen.
„Marlene meinte, ich soll dich lieber alleine lassen.", sagte er leise, während er wieder mit seinem Ärmelknopf spielte. Marlene kannte mich gut. Ich wäre jetzt auch deutlich lieber alleine gewesen.
Ich zuckte nur die Schultern, auf denen Remus' schwerer Umhang lag.
„Wie kann deine Schwester nur so etwas sagen? Ich hab immer gedacht, sie wäre okay."
Sie war eigentlich auch okay und er hatte eigentlich nicht die Macht, über Iduna zu urteilen.
„Ich meine, was muss man für ein Monster sein, um jemandem so etwas an den Kopf zu werfen?!", fragte er.
„Sie ist kein Monster.", antwortete ich langsam. „Sie wird ihre Gründe haben."
Eine Stille entstand.
„Warum verteidigst du sie?"
Ich seufzte. „Weil du versuchst die Welt in Schwarz und Weiß aufzuteilen. In Gut und Böse, aber so funktioniert das nicht."
„Wie meinst du das?" Ich konnte spüren, wie er versuchte mich anzuschauen, aber ich wich seinem Blick aus.
„Jeder hat Gründe. Alles hat eine Ursache. Drachen greifen nicht ohne Grund Menschen an und Iduna hat das auch nicht ohne Grund gesagt."
„Aber es war falsch, das zu sagen! Ich hätte ihr gerne einen Schockzauber dafür auf den Hals gejagt!", wetterte er entschieden dagegen.
Mein Kopf schnellte herum. Jetzt sah ich ihm doch in die Augen. „Krümm ihr ein Haar und ich ertränke dich!", fauchte ich.
Er zuckte zurück und schien seine Worte sofort zu bereuen. Remus vergrub seinen Kopf einen Moment in den Händen. „Ich... Sorry. Ich verstehe sie nur nicht. Jemandem zu sagen, derjenige wäre nicht seine Schwester. Das ist doch schrecklich."
Ich versuchte die Tränen zu unterdrücken, die sich beim Gedanken an Idunas Worte wieder in meinen Augen sammelten. Verzweifelt versuchte ich, den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, aber es half nichts. Wieder landeten Tränen in meinem Schoß. Das leise Tropfen, das sie bei ihrem Auftreffen verursachten, klang für meine Ohren unfassbar laut durch die morgendliche Stille.
Remus rutschte noch ein Stück näher zu mir. Er schien einen Moment inne zu halten, dann hob er langsam seinen Arm und legte ihn um meine Schultern. Ein Kribbeln lief von der Stelle über meinen Rücken, auf der sein Arm lag.

Einen kurzen Moment konnte ich es aushalten. Fast sogar genießen, aber dann machte mir mein Kopf wieder einen Strich durch die Rechnung. Reflexartig wand ich mich unter seinem Arm heraus und stand auf.
Remus hellbraune Augen musterten mich gleichzeitig erschrocken und entschuldigend, während er ebenfalls aufstand.
„Ist- Ich meine- tut mir leid.", entschuldigte er sich stotternd.
Ich schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Ich weiß einfach nicht.... Es hat nichts mit dir zu tun. Wenn Andere versuchen mich anzufassen, dann... stellt sich mein Kopf irgendwie quer. Ich kann... Sorry." Zittrig nahm ich den Umhang von meinen Schultern, um ihn ihm zurückzugeben.
Er wehrte ab. „Behalt ihn. Zumindest bis oben. Es ist schon okay. Du- wenn du nicht willst- also, du weißt schon..."
Ich nickte. Ungewollt musste ich wieder an Idunas Worte denken. Er hatte recht. Es tat weh, aber nicht, dass sie es gesagt hatte, sondern, dass sie es auch so gemeint hatte.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt