Hellbraune Augen

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Unruhig und nervös knackte ich also mit den Knöcheln, als ich mich am nächsten Donnerstag kurz vor der Stunde auf den Weg zum See machte, um die Kelpies zu holen. Dünner Nieselregen kräuselte die Seeoberfläche, aber gegen das dichte Geäst des Waldes hatte er keine Chance. Die Luft war feucht und kalt, obwohl es schon Nachmittag war. Nebelschwaden zogen über den See und die Schlossgründe, wie Gespenster ohne rechtes Ziel.
Dunar trottete entspannt aus dem See, gefolgt von der Stute und dem Fohlen. Ich hatte ihm zumindest versucht zu erklären, was ich mit ihnen vorhatte, aber trotz dem, dass er recht klug war, bezweifelte ich doch, dass er es komplett verstanden hatte.
Wie immer gab mir seine Nähe sofort Kraft und Zuversicht. Mit der Hand auf seinem Hals machten wir uns auf den Weg zur Lichtung, auf der wir Unterricht hatten. Zügig ging ich im Kopf noch einmal alles durch, was ich sagen wollte und zwang mich dazu nicht in Panik zu verfallen.
Das Fohlen trabte übermütig neben mich und schob seinen Kopf unter meine freie Hand. Eigentlich brauchte es langsam wirklich einen Namen. Nachdenklich kraulte ich ihm über den struppigen Mähnenkamm.

Irgendwie hatte ich gehofft, dass der Weg zur Lichtung nie enden würde. Dass ich einfach mit den Kelpies immer weiter durch den Wald laufen konnte, ohne jemals meiner Klasse gegenübertreten zu müssen, aber natürlich wurde mein Wunsch nicht erfüllt. Wohl oder übel stand ich schließlich am Rand der Lichtung. Die Augen sämtlicher Klassenkameraden ruhten teilweise auf mir, aber zu meinem Glück auch teilweise auf den Kelpies. Die Stute hatte sich neben das Fohlen gestellt. So zwischen ihnen zu stehen, gab mir immerhin ein gewisses Gefühl der Sicherheit.
Professor Kesselbrand nickte mir vom Rand der Lichtung aufmunternd zu. Zumindest sollte es vermutlich aufmunternd wirken. Ich nahm einen tiefen Atemzug, um mein rasendes Herz zu beruhigen und den Knoten zu lösen, der sich in meinem Magen gebildet hatte. Wie konnte es eigentlich sein, dass ich vor einem Referat vor meiner Klasse nervöser war, als bei der Konfrontation mit einem Werwolf?
„Also." Hoffentlich redete ich nicht zu leise. „Was Kelpies sind und wie sie aussehen sollten die meisten von euch ja wissen." Hing mein Hemd aus meiner Hose? „Kann mir jemand sagen, was Kelpies von normalen Pferden unterscheidet?" Nervös wanderte mein Blick über die Klasse. Was, wenn sich keiner melden würde und ich dastehen würde, wie ein unfähiges Stück Erumpentkacke?
Aber zu meiner Erleichterung hoben sich immerhin ein paar Hände. Ich nickte Alice zu, die zu Sprechen anfing.

Im Nachhinein weiß ich nicht mehr, wie ich die Dreiviertelstunde unter den Augen meiner Klasse überlebt habe, ohne hundert Tode zu sterben. Vermutlich nur, dank den Kelpies. Ebenfalls zu meinem Erstaunen, hielten sie die gehässigen Kommentare von Black in Grenzen.
„Wenn man sich lange genug das Vertrauen eines Kelpies erarbeitet, kann man sogar gefahrenlos auf ihm reiten, wie mit Dunar zum Beispiel. Habt ihr noch Fragen?", schloss ich schließlich.
Black hob die Hand. Sein übliches fieses Grinsen im Gesicht. „Also kannst du reiten?", fragte er, vermutlich selber sehr überzeugt von seinem obszönen Witz.
Ich kniff die Augen zu dünnen Schlitzen zusammen, blieb aber weiterhin stumm. Seinen blöden Kommentar konnte er sich sonstwo hinschieben. Nur war jemand anderes in der Klasse eindeutig weniger friedfertig als ich. Ich konnte sehen, wie Marlene ihren Zauberstab aus ihrem Gürtel zog. Ich warf ihr einen warnenden Blick zu, den sie gewissentlich ignorierte. Doch bevor sie Black ins Jenseits befördern konnte, wurde sie von Professor Kesselbrand unterbrochen.
„Vielen Dank, Miss Winter. An dieser Stelle würde ich die Stunde für heute auch beenden.", wandte er sich an die Klasse. „Sie können nach oben zum Schloss gehen, wenn sie noch Fragen haben, beantwortet Miss Winter sie ihnen sicher gerne."
Ja. Wahnsinnig gerne. Wehe, jemand kam auf die Idee, mir Fragen zu stellen, wo doch vorhin schon niemand mehr welche gehabt hatte.
Während die Klasse sich nach und nach verdünnisierte, zog ich meinen Umhangzipfel aus dem Maul des Fohlens, was sich offensichtlich ziemlich gelangweilt hatte und meinen Umhang wohl als sehr lecker befunden hatte.
Alice kreuzte zusammen mit Marlene vor mir auf.
„Der ist so süß.", sagte sie leise. „Darf ich ihn mal streicheln?"
Die Frage wurde ihm sehr schnell vom Fohlen selber abgenommen. Der kleine streckte seine Schnauze nach oben und versuchte, an ihrer Hufflepuffkrawatte zu kauen. Lachend strich Alice ihm über die Stirn. Dunar stupste sie ebenfalls mit der Schnauze an, um etwas von den Streicheleinheiten abzubekommen. Marlene tat ihm den Gefallen und kraulte ihm über die dunkelgraue Stirn.

Ich ließ meinen Blick kurz über die Lichtung wandern. Wenn sonst alle weg waren, konnten die Kelpies endlich wieder zurück in den See. Auf der Lichtung stand nur noch Lupin. Pettigrew und Black waren schon auf dem Sprung von der Lichtung und schienen auf ihn zu warten. Über Dunars, zu Marlene hinuntergebeugten, Hals sah ich zu ihm. Einen kurzen Moment trafen meine Augen seine. Sie waren hellbraun.
Mich beschlich ein merkwürdiges Gefühl. Schnell senkte ich den Blick wieder. Etwas kam mir an diesem Blick bekannt vor. Aber was? Woher kannte ich diese Augen? Ich sah Menschen nicht gerne in die Augen Schon seit ich ein kleines Kind war, hatte ich Augenkontakt gemieden, wo immer es ging. Die einzigen, denen ich wirklich in die Augen schauen konnte, waren Tierwesen.
Es traf mich wie ein schlag in die Magengrube. Ich kannte die Augen. Ich hatte sie schon einmal gesehen. In der Nacht im Wald. Lupin hatte die gleichen hellbraunen Augen, wie der Werwolf, als sich seine Augen verändert hatten. Es ergab alles Sinn. Seine Narben. Sie sahen alle gleich aus, weil sie von Werwolfkrallen stammten. Von seinen eigenen Krallen. Deshalb war er mit mir im Krankenflügel gewesen.
„Marlene.", flüsterte ich. „Komm mit."
Wir hasteten mit den Kelpies zurück zum See. Marlene musste anfangen zu rennen, um mit meinem Tempo Schritt zu halten.
„Was ist denn los mit dir?", keuchte sie, als wir das Seeufer erreicht hatten und die Kelpies wieder abgetaucht waren.
„Hast du deine Zettel über Lupin dabei?", fragte ich sie zittrig.
„Ja, aber-"
„Gib her.", unterbrach ich sie.
Irritiert zog Marlene den Stapel Pergament aus ihrer Tasche und reichte ein paar der Zettel an mich weiter. Hektisch blätterte ich durch die Seiten. Meine Augen überflogen Marlenes kleine, aber ordentliche Handschrift.

Zwei mal im Krankenflügel gewesen; Abstand ein Monat; Um Vollmond; evtl Zufall

Zitternd reichte ich die Seiten wieder an Marlene zurück. Er war es. Er war der Werwolf. Kein Zweifel. Hatte er deshalb eingewilligt, mich zu treffen? Hatte er mich im Wald erkannt?
„Alles okay bei dir? Du bist so blass?", fragte Marlene besorgt.
„Ja." Ich schluckte. „Alles okay."
Ich ging mit einem Werwolf in die Klassen. Heilige Scheiße.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt