Eine Münze

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Am Donnerstagnachmittag, nach der Doppelstunde Pflege magischer Geschöpfe, hielt mich Professor Kesselbrand noch zurück. Während der Rest der Klasse durch den feinen Nieselregen zurück zum Schloss trottete und Marlene am Rand der Lichtung wartete, verkündete er mir eine der miesesten Neuigkeiten, die ich in einer ganzen Weile gehört hatte.
„Miss Winter. Ich hatte Sie ja schon einmal gefragt wegen den Kelpies." Ich nickte. Mit der rechten Hand drehte ich den kleinen Holzknubbel am Ende meines Zauberstabs in meiner Umhangtasche.
„Nun, da das Fohlen jetzt da ist, habe ich mir gedacht, wir könnten das in näherer Zukunft einmal machen. Wenn es ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen für die entsprechende Stunde einen Teil der Unterrichtszeit überlassen und Sie könnten ihren Klassenkameraden selber etwas über die Kelpies erzählen."
Nur mit Mühe schluckte ich. Wenn es mir nichts ausmachte. Und wie mir das was ausmachte. Referate halten war für mich in etwa auf dem selben Horrolevel wie physische Nähe, aber ich konnte ihm ja schlecht widersprechen, also zuckte ich nur die Schultern.
„Kann ich machen."
Sofort huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Das freut mich! Mit den geflügelten Pferden und den Thestralen dürften wir Anfang bis Mitte Oktober fertig sein. Dann können Sie mit den Kelpies weitermachen."
Mit einem krampfhaften Lächeln im Gesicht nickte ich und wandte mich zum Gehen, als er mich noch aufhielt.
„Miss Winter. Stressen sie sich nicht. Sie sind eine kluge und liebenswerte Schülerin. Niemand wird sie hieran messen, wenn Sie einfach sie selbst sind."
Ich nickte wiederholt und schloss zu Marlene auf. Ich selbst sein. In einer Situation, die für mich der Definition von Stress entsprach. Ich hätte mich lieber mit einem Lethifold geprügelt oder hätte einen Drachen gezähmt, als ein Referat vor unserer ganzen Klasse zu halten. Vor allem, wenn sich darunter 75 Prozent der Rumtreiber befanden
Ich selbst sein. Was wollte er mir damit überhaupt sagen? Als könnte ich in einer Stresssituation ich selbst sein. Ich konnte ja nicht mal in einer normalen Situation ich selbst sein. Ja. Wer war ich überhaupt?

Marlene seufzte, während wir uns durch das Eingangstor nach drinnen schoben.
„Das wird schon.", munterte sie mich auf, während wir in die Bibliothek gingen, um immerhin noch mit den Hausaufgaben anzufangen, von denen wir heute wieder viel zu viele für den normalen Menschen aufbekommen hatten.
„Du bist ein hoffnungsloser Optimist...", entgegnete ich nur.
Gemeinsam ließen wir uns an einen Tisch fallen. Marlene fing an, ihren Aufsatz für Verwandlung zu schreiben, während ich das Buch über Werwölfe wieder aus meiner Tasche zog. Meine Freundin hob die Augenbrauen und setzte ihre Feder kurz ab.
„Meinst du wirklich, dass das gegen die ganzen Gerüchte hilft, wenn du jetzt noch anfängst sowas zu lesen?", fragte sie skeptisch.
Ich zuckte die Schultern und blätterte weiter. Die Gerüchte waren inzwischen so abstrus geworden, dass es mir schleierhaft war, wie auch nur irgendjemand sie glauben konnte. Unter den Drittklässlern ging es momentan herum, ich wäre die Anführerin eines Werwolfrudels, das im Wald Einhörner fessen würde. Wer's glaubt wird Selig.

Aber die Gerüchte ließen mich nie wirklich los. Vor allem nicht abends in Bett. Wie diesen Donnerstag. Stumm starrte ich an den schwarz wirkenden Baldachin meines Bettes und versuchte an etwas schönes und einschläferndes zu denken, aber das klappte nur so semi. Eigentlich klappte es gar nicht.
Der Werwolf ließ mich einfach nicht mehr los. Wer war dieser Mensch? Ging er vielleicht sogar in unsere Schule? So unwahrscheinlich wäre das nicht. Immerhin sprangen hier ein paar hundert Schüler in der Gegend herum. Und dank dem-dessen Name-nicht-genannt-werden-darf mit Werwölfen in den Reihen, würde ich diese Möglichkeit nicht so schnell ausschließen.
Aber wer war er? Oder sie. Ich war viel zu weit weg gewesen, um festzumachen, ob es eine sie oder ein er gewesen war.
Zu den Gedanken schlich sich die Möglichkeit, die Überlegung, die ich schon unter dem Fieber in Erwägung gezogen hatte. War der Werwolf vielleicht meine Chance? Den Anderen zu zeigen, dass ich nicht nur ein Freak war, der seine Zeit mit Tierwesen verschwendete? Und vor allem Iduna zu zeigen, dass ich in ihrem Leben vielleicht doch eine andere Rolle, als eine nervige Wimper in ihrem Auge spielen konnte? Ganz so lebensmüde, wie es vielleicht schien war es vielleicht gar nicht. Letztendlich war ein Werwolf auch nur ein Tierwesen, in dem tief ein Mensch mit Gefühlen, Träumen und Ängsten steckte.
Aber wollte ich das überhaupt? Ob ich mit einem Werwolf fertig werden konnte, stand in den Sternen. Und ob ich dann ein geringerer Freak sein würde, nur noch mehr.
Mit einem Seufzen drehte ich mich auf die andere Seite. Ich kam mir vor wie ein, mit einem Wendezauber belegtes Schnitzel, das versuchte sich selbst zu panieren, aber irgendwann wirkte es doch und ich glitt in einen Schlaf, der zu meinem Glück frei von Werwölfen war.

Schuhuen und das Schlagen von Federn auf Papier kündigte die Posteulen an. Marlene sah kurz auf, entdeckte aber unter den umherfliegenden Eulen keine bekannte und wandte sich so unbeeindruckt wieder ihrem Porridge zu. Ganz in Gegensatz zu mir. Ich erkannte eine hellbraune Schleiereule sofort wieder. Wanya. Unsere Familieneule.
Sie brauchte zum Glück nicht lange, um mich zu finden. Elegant landete sie auf dem Tisch neben mir. Darum, jemanden zu stören, brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Seit ich aus dem Krankenflügel entlassen worden war, blieb erstaunlich viel Raum um unseren Stammplatz beim Essen meist frei.
Ich strich der schon recht senilen Eule über das Kopfgefieder, bevor ich ihr den Brief abnahm. Er war von Mom und Dad. Von wem auch sonst?
Meine Augen überflogen die Zeilen. Aber ein Absatz stach mir ganz besonders ins Auge.

Der Verlag hat mein Manuskript leider abgelehnt. Tipps zu magischen Geschöpfen seien nicht so gefragt. Auch die kleinen Geschichten dazwischen waren ihnen nicht spannend genug. Nicht einmal die, wie du als Achtjährige einen Kelpie gezähmt hast! Sie meinten es fehle der nötige „Kniff". Eine Geschichte, die das Buch wirklich verkaufen würde.

Die restlichen Zeilen nahmen meine Augen gar nicht mehr wirklich wahr. Der entscheidende Kniff. Eine Geschichte über eine Werwolfzähmung. Vielleicht würde das Geld dann endlich reichen, um nicht mehr jeden Knut drehen und wenden zu müssen und Dad eines Tages bei der Konfrontation mit einem Lethifold draufgehen zu sehen.
In meinem Kopf fiel eine Art Münze. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, von der mich so schnell vermutlich niemand abbringen konnte.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt