Das Fohlen und der Werwolf

3.2K 286 9
                                    

Panisch rannte ich zu meiner Kommode, packte Zauberstab und Umhang und sprintete aus dem Schlafsaal. Wenn sie aufwachten, sollte mir das egal sein. Auf dem Weg durch den menschenleeren Gemeinschaftsraum warf ich mir meinen Umhang über.
Raus auf die Gänge. Meine nackten Füße verursachten patschende Geräusche auf dem kalten Stein. Wenn Filch mich erwischen würde wäre es mir egal. Sollte er doch. Ich konnte eh schneller rennen als er.
Treppen nach unten, Gänge entlang. Bitte. Es durfte nichts Schlimmes passiert sein. Raus aus dem Tor. Das Gras war nass. Meine Füße waren jetzt schon wieder taub. Kalt war mir aber sonst nicht, während ich über die Wiese nach unten zum See sprintete.

Dunar wieherte, als er mich kommen sah. Unruhig war er am Seeufer hin- und hergetigert. Seiner Gestik nach zu urteilen war er nicht gerade entspannt. Eher das Gegenteil, seine Ohren zuckten unruhig und ungeduldig in alle Richtungen. Seine Augen waren weit aufgerissen, während er in den See trabte. Er schnaubte wieder und wieder. Ich ließ meinen Umhang in den Uferkies fallen und watete nur im Schlafanzug in den See. Das Wasser war wie immer unfassbar kalt und zog an meinem Pyjama, aber auf meinen Körper konnte ich jetzt gerade keine Rücksicht nehmen.
Mit schnellen Zügen, den Zauberstab fest umklammert, schwamm ich zu Dunar und zog mich auf seinen Rücken. Mir blieb gerade ein mal eine Sekunde um tief Luft zu holen, bevor er sich in die Tiefe des Sees stürzte. Ich konnte nichts anderes machen, als mich dicht an seinen Hals zu drücken und zu hoffen, dass mich nichts erschlagen würde. Der Druckunterschied war massiv, während Dunar immer weiter in die Tiefen galoppierte. In meinen Ohren rauschte und fiepste es gleichzeitig. Meine Augen hielt ich fest geschlossen. Es war eh alles schwarz und so riskierte ich nicht blind zu werden.

Genau so schnell, wie sie angefangen hatte, war die torpedogleiche Fahrt auch wieder vorbei. Dunar bremste ab. Ich fühlte meine Lunge jetzt schon kribbeln. Wir waren auf dem Meeresgrund. Das spürte ich am Kies unter meinen Füßen, als ich mich von seinem Rücken gleiten ließ, aber obwohl ich meine Augen geöffnet hatte, sah ich keinen Unterschied zu vorher. Zögernd streckte ich meinen Zauberstab aus. Unter Wasser wie durch Zeitlupe. Lautlos zaubern. Oh Hell.
Lumos!
Nichts passierte. Scheiße.
Lumos! Lumos!
Endlich. Ein schwaches Leuchten.
Vor meinen Füßen im Kiesbett lag die Stute. Sie schien Schmerzen zu haben. Meine Lungen fingen an zu brennen. Das Fiepsen in meinen Ohren machte es nicht besser. Mit ungeschickten Schwimmbewegungen kniete ich mich neben sie und stich ihr über den Bauch. Sie gab einen erstickten Laut von sich. Keine Frage. Das Fohlen war auf dem Weg. Aber es kam nicht raus. Die Augen der Stute schrien mich förmlich nach Hilfe an, aber was sollte ich schon machen? Ich hatte noch nie in so einer Situation irgendwas machen müssen.
Meine Lunge drohte zu bersten. Ich musste jetzt etwas machen, bevor ich eine riesige Portion Seewasser einatmen würde. Mir fiel nur ein Zauber ein, der in vielleicht helfen könnte, aber der würde für niemanden schön sein.
Zittrig schwamm ich hinter die Hinterbeine der Stute. Und schickte ihr in Gedanken eine Entschuldigung, die sie nie hören würde.
Accio!
Im selben Moment erlosch das Licht an meinem Zauberstab und ein hohes, schrilles Wiehern schnitt durchs Wasser. Das Fiepen in meinen Ohren wurde lauter und etwas felliges knallte gegen mich. Es presste mir die Luft aus den Lungen. Das letzte bisschen wertvoller Sauerstoff schwamm gen Oberfläche.
Ich griff nach dem felligen Bündel, während bunte Formen und nie dagewesene Farben durch mein schwarzes Sichtfeld zuckten. Es war das Fohlen. Und es atmete. Mit letzter Kraft schob ich das zappelnde Fohlen in Richtung der Stute.
Ich stieß mich vom Boden ab. Luft. Ich brauchte Luft, aber ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde. Ich würde ertrinken. Hier und jetzt. Meine Arme und Beine ruderten schwach durchs Wasser. Nach oben. Luft. Atmen.

Etwas stieß gegen meine Beine. Dunar. Mit kraftvollen Galoppsprüngen schob er mich nach oben.
Mein Kopf stieß durch die Oberfläche. Ich schnappte panisch nach Luft. Keuchend und spuckend hing ich an seine Mähne geklammert und versuchte der Ohnmacht zu entgehen. Dunar wieherte leise und drückte seinen Kopf an meinen Rücken.
Nach einigen Minuten hatte ich mich wieder gefasst. Auf tauben Beinen watete ich, an Dunar geklammert zum Ufer.
Ich wollte den Zauberstab heben, um meine Kleider zu trocknen, aber da war nichts. Mein Zauberstab war weg.
„Scheißdreck.", entfur es mir. „Dunar. Findest du den? Sonst komm ich morgen nochmal mit-" Aber ehe ich zuende gesprochen hatte war Dunar schon wieder verschwunden.
Ich lächelte, während ich mich schlotternd in den immerhin trockenen Umhang wickelte. Still starrte ich auf die Wasseroberfläche, in der sich der volle Mond spiegelte. Weite Kreise breiteten sich von der Stelle aus, an der der Kelpie abgetaucht war. Wer einen Kelpie zum Freund hatte, der brauchte sich um nichts zu sorgen, was er im Wasser verlor.
Unruhig trat ich von einem Bein aufs andere. Kacke, war das kalt. Der Wind hatte nicht nachgelassen und mein klatschnasser Pyjama durchtränkte meinen Umhang innerhalb von wenigen Minuten. Ich rieb mit meinen Fußsohlen über meine Schienbeine, damit sie nicht vollends abstarben. Meinen Ohren hatte der plötzliche Druckunterschied nicht gutgetan. Nach wie vor erfüllte sie ein durchdringendes Piepen.
„Komm schon Dunar. Komm schon.", murmelte ich.
Ein knackender Zweig ließ mich herumfahren. Dem folgte ein Knurren.

Das ohnehin schon kalte Blut in meinen Adern gefror. Am Waldrand stand ein Werwolf.
Werwölfe. Mein Gehirn ratterte automatisch alles herunter, was ich über sie wusste. Töten kam nicht in Frage. Da steckte ein Mensch drinnen. Töten allgemein gehörte verboten. Ich machte langsam einen Schritt zurück. Der Kies knirschte unter meinen eisklotzgleichen Füßen, während auch der Werwolf langsam auf mich zukam. Ich war wehrlos. Rennen konnte er schneller als ich. Keine Frage, aber vielleicht konnte ich besser schwimmen. Lieber ertrinken als ein Werwolf werden. Plötzliche Bewegungen vermeiden, sonst bekommt er vielleicht Angst.
Langsam machte ich weitere Schritte zurück. Das Wasser ging mir bis zu den Waden. Der Werwolf war vielleicht noch ein paar Meter von mir entfernt. Jeden Schritt, den ich zurück machte, machte er nach vorne. Nur waren seine Schritte ein Vielfaches von meinen.
Immer weiter zurück. Das Wasser ging mir bis zur Hüfte. Vor dem Ufer stoppte der Werwolf. Wollte er nicht ins Wasser? Hatte er Angst, sich das Fell nass zu machen? Oder wollte er warten, bis mich die Kälte zwang zum Ufer zurückzukehren.
Jetzt stand mir das Wasser bis zu den Schultern. In meinen Beinen hatte ich jegliches Gefühl verloren. Ein leises Schnauben erklang hinter mir. Dunar schob sich neben mich. In seinem Maul klemmte mein Zauberstab. Dankbar nahm ich ihn ihm ab.
Stumm beobachteten wir den Werwolf am Ufer, der wie ein Panther im Käfig am Ufer auf und ab lief und knurrte. Bis ihm zwei Schatten aus dem Wald folgten. Ein riesiger Hund und ein Hirsch. Mit viel Mühe drängten sie den Werwolf zurück in Richtung Wald. Der Hund warf einen Blick auf den See. Ich wusste nicht, ob er mich sah, oder erkannte, aber er schien einen kurzen Moment Inne zu halten und mich zu beobachten, während ich mich an Dunar festhalten musste, weil meine Beine mein Gewicht nicht länger tragen wollten.

Dunar schob mich mit dem Kopf auf seinen Rücken. Als der Werwolf außer Sicht war, schritt er langsam aus dem Wasser und nach oben zum Schloss. Sein Körper war nicht warm, wie der eines normalen Pferdes, aber immerhin lauwarm, was schon reichte, um meinen Beinen wieder Leben zu geben.
Vor dem Schlosstor hielt er inne. Weiter konnte er mich nicht bringen. Den Rest musste ich alleine schaffen. Ich wickelte meine Hände aus der Mähne und ließ mich von seinem Rücken gleiten. Meine Beine fühlten sich an, als würden sie in Abermillionen kleine Scherben zerbrechen.

Ich weiß nicht mehr, wie ich es die unzähligen Treppen nach oben geschafft habe. Ich weiß nur noch, dass mich Mrs Norris lampenartige Augen aus einem Gang angestarrt hatten, Filch mich aber trotzdem nicht erwischt hatte. Vielleicht hatte die Katze tatsächlich eine Art Gewissen.
Meine letzte Erinnerung aus der Nacht bestand daraus, dass ich meine klatschnassen Klamotten zum Trocknen über einen Stuhl gehängt hatte und dann völlig entkräftet ins Bett gefallen war.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt