„Hast du dir ein paar grüne Strähnchen stehen lassen, Winter?"

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Die Wiesen waren noch voller Morgentau und die Sonne hatte sich gerade erst über den Horizont geschoben, als ich durch das nasse Gras nach unten zum See lief. Hagrid hatte ich beim Frühstück nicht gesehen, also schlief er entweder noch, oder hatte schon vor uns gefrühstückt. Ich tippte eher auf letzteres. Trotzdem ging ich lieber alleine zum See, als mit ihm zusammen.
Das hintere Ufer des Sees lag im Schatten der ersten Bäume des verbotenen Waldes. Wenn man die Kelpies irgendwo traf, dann hier. Die brennende Sonne mieden sie und hier war es kühl und schattig.

Wie jedes Jahr war es schön wieder hier im Wald zu sein. Keine lärmenden Mitschüler. Niemand, mit dem ich reden musste. Nur die Natur und die Tierwesen. Was gab es Besseres?
Langsam ließ ich mich auf einen der Steinblöcke am Seeufer sinken und meine Beine übers Wasser baumeln. Die Steine lagen wie Findlinge am Seeufer und bis ins etwa schultertiefe Wasser verteilt. Stumm starrte ich in die Tiefen des schwarzen Sees. Wohl war. Er hatte seinen Namen nicht umsonst. Hier am Rand, wo das Wasser einem vielleicht bis zur Hüfte reichen würde, konnte man den steinigen Grund noch gerade so erkennen, aber schon ein paar Meter weiter, war das Wasser nur undurchdringlich schwarz. Wenn man Glück oder Sandwiches hatte, konnte man manchmal noch den Riesenkraken durchs Wasser ziehen sehen, aber die Meermenschen hatte selbst ich noch nicht gesehen, obwohl ich wirklich viel Zeit hier unten verbrachte.
Ein Rascheln im Gebüsch brachte mich dazu, meinen Blick von der dunklen Wassermasse abzuwenden, aber es war nur ein Kniesel, der einer Maus nachsetzte. Das Wasser ein paar Meter weg von mir warf Blasen. Wenig später tauchten zwei dunkelgraue Ohren auf. Denen folgte ein Pferdekopf. Ich lächelte. Natürlich war er gekommen. Wie er jedes Jahr kam.
Das dunkelgraue Pferd trat zu mir. Weil ich auf dem Stein saß, waren unsere Gesichter auf der gleichen Höhe. So wenig, wie ich Menschen in die Augen schauen konnte, so gut konnte ich das bei Tierwesen.
„Na, Dunar? Hast du mich vermisst?"
Der Wassergeist schnaubte leise und rieb seine nasse Schnauze an meiner Wange. Ich kraulte ihn hinter den noch feuchten Ohren.
„Ich hab nicht so viel Zeit. In fünf Minuten muss ich wieder oben sein. Wie geht's deiner Stute? Hat sie schon geworfen?"
Dunar wippte mit dem Kopf von rechts nach links. Sein Knotenhalfter klatschte gegen seinen Kieferknochen und spritze mich nass.
„Immer noch nicht? Dann ist das Fohlen aber reichlich spät."
Ich strich ihm mit der Hand über den Hals.
„Ihr packt das schon. Auch wenn es euer erstes ist. Ihr werdet tolle Eltern."

Fünf Minuten später hechtete ich noch kurz vor der Klingel in das Klassenzimmer für Zaubertränke. Professor Slughorn warf mir einen nicht wirklich identifizierbaren Blick zu, sagte aber nichts. Ich ließ mich neben Marlene auf unseren Stammplatz fast ganz hinten fallen.
„Du hast Seegras in den Haaren.", flüsterte sie, während Slughorn vorne zu reden begann.
Ah. Das erklärte dann wohl den Blick. Ich nickte und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare, um die Binsen loszuwerden, während wir von dem Tisch Gryffindors vor uns belustigte Blicke kassierten. Zwei der vier Rumtreiber. Lupin und Black. Wer auch sonst. Ich starrte konzentriert auf die Tischplatte, als wäre da mehr, als nur die Maserung des Holzes. Marlene stierte vermutlich wieder Black an. Vielleicht sollte ich mal versuchen, ihr einen Antiliebestrank zu brauen, obwohl sie bei meinem Talent für Liebestränke vermutlich als nicht identifizierbarer Blob auf dem Boden geendet wäre.
„Hast du dir ein paar grüne Strähnchen stehen lassen, Winter?", fragte Black von vorne in hämischem Tonfall.
Ich sagte gar nichts und starre weiter auf die Tischplatte. Einfach nichts sagen. Dann würde er schon aufhören.
„Ich hab dich was gefragt."
„Jetzt lass sie.", fauchte Marlene.
Vielleicht hoffte sie, dass Black sie dadurch bemerken würde, vielleicht lag ihr aber auch wirklich etwas daran, mich zu verteidigen.
„Ruhe auf den billigen Plätzen!", tönte Slughorn von vorne. „Das Schuljahr hat gerade erst angefangen und sie machen sich schon wieder nur unbeliebt."
Ich nickte nur, sah ihn aber nicht an. Hoffentlich würde er nicht noch weiter nachhaken, sondern einfach mit dem Unterricht weitermachen. Genau das tat er.
Wenige Sekunden später schwafelte er schon wieder über irgendwelche Gedächnistränke und meine Konzentration hatte mich verlassen. Ganz im Gegensatz zu Lily Evans, die vorne in der ersten Reihe saß und sich eifrig Notizen machte. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie mehr Schleim produzierte, als die Haare von Snape Fett produzierten.
Unter dem Tisch schlug ich meine Ausgabe von Phantastische Tierwesen auf und begutachtete den Zettel, auf den ich mir alle möglichen Kleinigkeiten zur Schwangerschaft der Kelpiestute aufschrieb. Leider hatte in keinem einzigen der Bücher der Bibliothek irgendetwas über die Tragzeit von Kelpies gestanden und so hatten Hagrid und ich uns damals einfach entschieden, mit der Tragzeit von Pferden zu rechnen. Das war bei unseren Kelpies im See hinterm Haus gut hingekommen, aber bei der Stute hier wollte es nicht so recht passen. Laut unserer Rechnung hätte sie schon Anfang der Sommerferien werfen müssen.
Langsam machte ich mir Sogen, dass mit dem Fohlen wirklich etwas nicht stimmen könnte.

„Miss Winter, sind sie geistig noch anwesend?", reißt mich Slughorns scharfe Stimme aus meinen Gedanken.
Schnell lasse ich meinen Zettel unter dem Tisch in meinem Buch verschwinden und nicke.
„Dann können sie mir doch sicher sagen, die Federn von welchem Tier in Gedächnistränken verwendet werden?"
Ich unterdrücke ein erleichtertes Seufzen. „Die des Jobberknolls."
„Sehr gut, Miss Winter."
Ich nicke nur. Hätte er mir irgendeine andere Frage gestellt, wäre ich absolut aufgeschmissen gewesen, aber, dass Jobberknollfedern für Tränke benutzt wurden bekam selbst ich noch auf die Reihe, obwohl ich es immer noch absolut schrecklich fand, mit den Federn Tränke zu brauen. Wer wusste schon, woher Slughorn die bekam. Am Ende kamen die aus Frankreich, wo die armen Vögel nur wegen ihrer Federn gezüchtet und geschlachtet wurden. Beim Gedanken daran drehte sich mir sicher mehr als ein Mal der Magen um.

Kelpie || HP/Rumtreiber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt