Didi ist verzückt von dem schier endlosen All-You-Can-Eat-Buffet, das sich vor uns auftut. Ihre dunklen Augen funkeln, als sie ihren Teller mit Szechuan-Hühnchen belädt. Der köstliche Duft von Di San Xian strömt mir in die Nase. Ich mache es wie meine Freundin und lange kräftig zu. Die Party wird nicht so schnell enden. Es ist also besser, wenn ich meinen Magen rechtzeitig fülle. Vor den nächsten paar Bierchen.
Unsere jährliche Betriebsfeier ist tatsächlich ein weiterer Pluspunkt an meinem Job. Anfangs hätte ich das gar nicht so eingeschätzt, doch es hat sich herausgestellt, dass Chefchen nur an diesem einen Abend im Jahr kein bisschen knausert.
Das chinesische Restaurant ist proppenvoll mit unserer Belegschaft. An den vielen runden Tischen, die ausgewogen verteilt in dem großen Gastraum stehen, sitzen wir heute in wechselnder Zusammensetzung beieinander. Ich habe mich vorhin mit unserem Kollegen Timo aus dem Layout unterhalten, dann hat Didi mich zum Essen weggeschleift. Nun heißt es, bald einen neuen Platz zu ergattern, denn unsere Rezeptionistin Claudia ist es, die jetzt unseren Head of Layout in Beschlag nimmt. Leider sieht es danach aus, als bliebe uns nichts anderes übrig als ein einsamer Tisch am Fenster in der Ecke. Zu meinem Unmut. Weil Emilio und Tillmann sich nämlich dorthin verzogen haben. Letzterem ist die missliche Situation anscheinend auch schon aufgefallen. Er grinst süffisant, während ich meiner sorglos pfeifenden Kollegin folge, die auf die beiden Männer zusteuert.
„Hallo", flötet sie in ihrer üblichen Manier und bedankt sich bei Emilio, der extra aufgestanden ist, um einen Stuhl für sie zurückzuschieben. An sich ist Emilio ganz in Ordnung. Didi und er verstehen sich gut. Ich habe aber nicht viel mit ihm zu tun. Wir gehen freundlich miteinander um. Allerdings ist er wirklich mit Tillmann befreundet, sogar außerhalb der Arbeit, und selbst bei aller gebotenen Höflichkeit ziehe ich da nun mal die Grenze.
„Charlotte Engler, hier, an unserem Tisch – welch Ehre", tönt Tillmann prompt. Ich bin auf den letzten verbleibenden Stuhl neben ihm geglitten und setze mein Pokerface auf. Eine neutrale, unbeeindruckte und dabei doch moderat aufgeschlossene Miene. Die könnte ich auch dann noch aufsetzen, wenn direkt vor mir eine Bombe explodieren würde. Es ist eine sorgfältig einstudierte Maske.
„Tillmann Hollbruck – immer wieder ein Vergnügen", erwidere ich. Er grinst noch ein Stück breiter. Ich wende mich meinem randvollen Teller zu und greife nach den bereitliegenden Stäbchen.
„Wir haben uns lange nicht mehr unterhalten", sagt er. Genüsslich beiße ich von einer Auberginenscheibe ab. Am liebsten würde ich ihn ignorieren. Das gestaltet sich aber nicht sonderlich einfach, solange er mich zutextet. „Du hast die Neoliberalen so ausgequetscht in deinen letzten beiden Interviews, dass ich mich nach dem Lesen sofort ans Klavier gesetzt habe, um ein Requiem für sie zu spielen."
„Und? Weißt du schon, wem du deine Stimme bei der nächsten Wahl stattdessen gibst?", frage ich ihn spitz.
Er will ein Wortgefecht? Das kann er haben.
Tillmann lacht und schaut rüber zu Emilio, der ebenfalls kichert.
„Was ich meinte, war ...", fährt er andächtig fort. „Für deine Verhältnisse war das ungewöhnlich emotionale Berichterstattung." Mein Kopf ruckt zurück in seine Richtung und Didi neben mir schnalzt genervt mit der Zunge.
„Du meine Güte, Tillmann", springt sie sofort für mich in die Bresche. „Charlotte hat bei beiden Interviews die journalistischen Standards eingehalten, das weißt du genau. Sie lässt eben niemanden so leicht von der Angel. Das ist es ja gerade, was sie zu einer ausgezeichneten Kandidatin für diese Art von Zwiegespräch macht."
„Hinzugefügt sei außerdem, dass nur ein Narr glaubt, Politik sei eine völlig rationale Angelegenheit", knirsche ich und lasse meine Augen dabei die ganze Zeit auf Tillmann ruhen. Er lehnt sich zurück, spreizt die Beine und starrt mich herausfordernd an.
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So genial
Fanfictie"Manchmal verlieben sich Menschen ineinander, ist das nicht genial? Ich meine, das ist doch der glücklichste Zufall von allen, oder? Du triffst diese eine Person und auf einmal wird dir wieder bewusst, wie viel Liebe du eigentlich im Herzen tragen k...