4. Sterne gucken

3.1K 87 37
                                    

Das Haus roch genauso vertraut wie mein eigenes Zuhause. Ich war praktisch jeden Tag hier gewesen und seit Anders Vater vor neun Jahren gestorben war, hatte ich auch die meisten Nächte hier verbracht.

Sein Vater war bei der Arbeit in der Fabrik auf schreckliche Art ums Leben gekommen. Er war zwischen die Maschinen gekommen und man hatte ihm nicht mehr helfen können.

Die ersten Jahre war Ander beinahe jede Nacht schreiend aus seinen Albträumen erwachte und in Tränen ausgebrochen. Erst als er zwölf geworden war, hatten die schlimmen Träume aufgehört, bis sie endlich ganz verschwunden waren.

Und seitdem war es zur Gewohnheit geworden, dass wir bei einander übernachteten. Wir schliefen beide besser, wenn der andere da war.

Ich kickte meine Schuhe in die Ecke und lief in die Küche, wo ich mich auf die Ablage setzte. >> Kekse her oder ich gehe <<, grinste ich und streckte die Hände aus.

Während Ander die Kekse aus dem Regal holte, checkte ich mein Handy und schaute auf mein Hintergrundbild. Es war ein Foto von mir und meinen Freunden aus Griechenland. Auch Linus, mein Ex-Freund, war unter ihnen.

Wir hatten uns direkt in der ersten Woche meines Auslandjahres kennengelernt und waren zwei Monate später zusammengekommen. Ich war mir sicher, dass keiner von uns beiden dachte, dass diese Beziehung noch existieren würde, wenn das Jahr vorbei war, doch das tat sie.

Und kurz bevor ich gefahren war, hatten wir besprochen, dass es besser war Schluss zu machen. Ich konnte mir gut vorstellen nach der Schule nach Griechenland zu ziehen und dort zu studieren, doch vorher musste ich hier nicht nur ein, sondern wegen des Auslandjahres gleich zwei Jahre zur Schule gehen.

Während Ander mir von seinem Tag erzählte, aß ich bestimmt zehn Kekse. Niemand backte besser als Tanja. Als ich schon Bauchschmerzen bekam, nahm mir der hübsche Junge die Keksdose ab und brachte die Reste vor mir in Sicherheit.

>> Sterne gucken? <<, fragte er und begeistert rutschte ich von dem glatten Holz.

>> Wer zuerst oben ist. <<

Ander war natürlich zuerst oben. Er hatte sogar vorher die Dose zurück ins Regal gestellt. Als ich die Tür zu seinem Zimmer aufstieß, lag er bereits auf dem Bett, die Ellenbogen hinter sich abgestützt.

>> Flughörnchen <<, rief ich, streckte Arme und Beine von mir und landete auf ihm. Die Hitze seines Körpers drang durch meine Klamotten. Ein paar Sekunden legte er seine Hände auf meinen Rücken und grinste zu mir hoch.

Doch dann ächzte er und schob mich von sich runter. >> Für so ein zartes Mädchen bist du verdammt schwer. <<

Ich lächelte liebenswürdig. >> Ja, ich weiß. << Ich griff nach der Fernbedienung auf seinem Nachttisch. >> Bereit? << Ich schaltete das Licht aus ohne auf eine Antwort zu warten und da waren sie.

Die Sternensticker, die man als Kind überall hin geklebt hatte und die im Dunkeln leuchteten. Das Problem war nur, dass der Kleber, den Ander benutzt hatte, weil seine Sterne immer wieder von der Decke gefallen waren, so gut war, das wir sie, egal wie oft wir es versucht hatten, einfach nicht abbekamen.

Und irgendwann hatten wir das Sternegucken für uns entdeckt. Ich starrte hoch zu den kleinen Sternen und das Glücksgefühl in meinem Bauch wurde größer.

Ich war zuhause, ich war endlich wieder zuhause.

>> Vermisst du Griechenland schon? <<, fragte Ander in die Stille. >> Ja, ziemlich. << Vor allem vermisse ich meine Freunde, dachte ich. Einen Moment ließ ich mir meine Worte nochmal durch den Kopf gehen. >> Aber nicht so sehr, wie ich zuhause vermisst habe. <<

Eleanor und Ander ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt